Das Wattenmeer: Von der Müllhalde zum Weltnaturerbe

Stand: 22.01.2024 05:00 Uhr

Verschmutztes Wasser, schwindende Tierbestände: In den 1960er-Jahren ist das schleswig-holsteinische Wattenmeer in Gefahr. Am 22. Januar 1974 wird es Naturschutzgebiet, elf Jahre später zum Nationalpark. Seit 2009 gehört es zum Weltnaturerbe.

Die Nordsee als Müllabladeplatz, schwindende Pflanzen- und Tierbestände, Touristen, die gedankenlos Dünenzonen zerstören: Die Schutzbedürftigkeit des Wattenmeers wird im Laufe der 1960er- und 70er-Jahre immer offensichtlicher. Als der Club of Rome mit seinem bahnbrechenden Bericht "Die Grenzen des Wachstums" verdeutlicht, wie die immer globaler agierende Wirtschaft weltweit unter anderem Lebensräume zerstört, können viele hinter diese Erkenntnis nicht mehr zurück. Umweltschützer sind alarmiert und verstärken ihr Engagement.

Am 22. Januar 1974 reagiert die schleswig-holsteinische Landesregierung mit einem Schritt, der den Naturschutz im Norden ein entscheidendes Stück voranbringt. Sie erklärt eine Fläche von 140.000 Hektar zwischen dem Hindenburgdamm bei Sylt bis zur Halbinsel Eiderstedt zum Naturschutzgebiet. Damit setzt sie um, was Naturschützer zu diesem Zeitpunkt bereits seit Jahren fordern: einen großflächigen Schutz des schleswig-holsteinischen Wattenmeers.

Schutzstation kämpft seit 1962 um das Wattenmeer

Seit 1962 setzt sich der Naturschutzverein Schutzstation Wattenmeer für den einzigartigen Naturraum an der Nordseeküste ein. Er gründet Info-Zentren, gibt Schriften zum Schutz des Wattenmeeres heraus und wirbt für die Errichtung einer Schutzzone. 1968 können die Naturschützer einen ersten Erfolg verbuchen: Sie erreichen, dass die nordfriesischen Außensände Japsand, Norderoogsand und Süderoogsand als Naturschutzgebiet ausgewiesen werden.

Erste Ideen für einen Nationalpark Wattenmeer

1972 präsentiert der Verein auf dem Deutschen Naturschutztag seine Ideen für die Schaffung eines Nationalparks Wattenmeer. Ein sehr fortschrittlicher Vorschlag: In Deutschland gibt es Anfang der 70er-Jahre erst einen einzigen Nationalpark - im Bayerischen Wald. Doch was unterscheidet Naturschutzgebiet und Nationalpark? Bei beiden handelt es sich um Flächen, in denen Landschaft, Tiere und Pflanzen streng geschützt sind. In Abgrenzung zum Naturschutzgebiet handelt es sich beim Nationalpark aber immer um ein großräumiges Gebiet. Zudem können sich Naturschutzgebiete in Privatbesitz befinden, während Nationalparks immer öffentlich sind.

Vom Naturschutzgebiet zum Nationalpark

Seehunde liegen auf einer Sandbank vor der Halbinsel Nordstrand. © picture alliance / dpa Foto: Christian Charisius
Sie profitierten vom Naturschutz: Die Seehund-Bestände in der Nordsee haben sich seit den 70er-Jahren erholt.

Nicht überall stoßen die Naturschützer mit ihren Plänen auf Begeisterung: Viele Fischer und andere Küstenbewohner sorgen sich um ihre wirtschaftlichen Existenz. Radikaler Naturschutz würde die Region in die Armut treiben, so die Befürchtungen. Doch die Entwicklung nimmt ihren Lauf - und so bleibt die Verordnung vom 22. Januar 1974, die einen Großteil des schleswig-holsteinischen Wattenmeers unter Naturschutz stellt, nur ein Meilenstein: 1982 bringt das Landwirtschaftsministerium einen Gesetzentwurf ein, mit dem das Wattenmeer zum Nationalpark erklärt werden soll.

Es ist bereits der zweite Anlauf - ein früherer Gesetzentwurf war noch an den massiven Protesten in der Region gescheitert. Trotz des anhaltenden Widerstands vieler Küstenbewohner verabschiedet die Regierung im Juli 1985 das Nationalparkgesetz und schafft damit im schleswig-holsteinischen Wattenmeer den größten Nationalpark Deutschlands. Auch viele Naturschutzverbände stehen dem Nationalpark zunächst kritisch gegenüber. Sie fürchten, dass durch zusätzlich angelockte Touristen mehr Natur zerstört wird, als der Nationalparkstatus schützen kann.

Proteste gegen verschärftes Nationalparkgesetz

Auf entsprechenden Widerstand stoßen daher die Pläne für ein zweites, strengeres Nationalparkgesetz, die ab 1996 vorliegen. In den Wochen und Monaten vor seinem Inkrafttreten am 1. Januar 2000 gipfeln die Proteste in einem Demonstrationszug der Krabbenkutter durch den Nord-Ostsee-Kanal und Eierwurfattacken auf den damaligen Umweltminister Rainder Steenblock von den Grünen. An der gesamten Westküste Schleswig-Holsteins entzünden die Demonstranten Mahnfeuer.

Mit dem zweiten Nationalparkgesetz vergrößert sich die Nationalparkfläche in Richtung Meer und umfasst seither rund 4.400 Quadratkilometer. Das Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer ist damit der mit Abstand größte Nationalpark in Deutschland.

Vom Nationalpark zum Weltnaturerbe

Die anfänglich heftigen Widerstände gegen die Schutzzone sind über die Jahre einer immer breiteren Zustimmung gewichen - die Mehrheit der Küstenbevölkerung steht dem Nationalpark mittlerweile positiv gegenüber. Seit 1986 ist auch das niedersächsische Wattenmeer als Nationalpark geschützt, Hamburg folgte 1990. Wie einzigartig und erhaltenswert das Wattenmeer ist, ist spätestens seit 2009 auch international bekannt: Im Juni 2009 ernannte die UNESCO die niederländischen und deutschen Wattenmeergebiete zum Weltnaturerbe, seit 2011 zählt auch der zu Hamburg gehörende Abschnitt und seit 2014 große Teile des dänischen Wattenmeers dazu.

Karte: Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer

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