Luftangriff amerikanischer Bomber. © picture-alliance / dpa

Vor 80 Jahren: Als mehrfach Bomben auf Schwerin fielen

Stand: 07.04.2025 05:00 Uhr

Ab dem 7. April 1945 wurde Schwerin mehrfach bombardiert. Der damals achtjährige Horst Stutz überlebte einen Angriff in einem Hochbunker. Den Sirenenlärm hat er noch Jahrzehnte später im Ohr.

von Eva Storrer, Holger Vonberg, Simone Hantsch

Lange gilt Schwerin als "bombensichere" Stadt. Zwar werden im Juli 1940 bei einem Luftangriff einige Häuser zerstört, ansonsten bleibt die Stadt aber verschont - bis zum 7. April 1945. "Da kamen die Flugzeuge auch am Tage", berichtet Horst Stutz dem NDR vor einigen Jahren*.

Stutz, der 1945 acht Jahre alt war, erläutert: "Sonst überflogen sie uns in Richtung Rostock nur nachts. Und wir gingen in den Luftschutzkeller, der in unserem Hause war. Und während die Flugzeuge über unser Haus flogen, bin ich auf den Hof gegangen. Dort sah ich, wie die Bomben ausgeklinkt wurden." Es erwischt den Stadtteil Feldstadt. Da dort seine Großeltern wohnen, eilt Horst Stutz mit seiner Schwester hin, um zu sehen, wie es ihnen geht. Sie laufen über den Friedhof. "Teilweise waren die Gräber so zerstört, dass da Leichenteile lagen, Gebeine. Und Sie können sich vorstellen, als Achtjähriger, meine Schwester war sechs Jahre, wie das gewirkt hat."

Bomben bestimmen die Spiele der Kinder

Horst Stutz und seine Freunde haben in ihrer Kindheit nichts anderes kennengelernt als Krieg. So bestimmen die Bomben auch die Spiele der Kinder. "Wir haben einen kleinen Unterstand gebaut", erzählt er. "Einer musste reinkriechen und die anderen warfen dann Steine drauf. Oben hing natürlich die Hakenkreuzflagge. Und dann war es so, dass eben derjenige der Beste war, der es am längsten dort aushielt."

Am 19. April 1945 wird Schwerin erneut bombardiert. Mitten in der Nacht müssen die Kinder aus dem Bett. Sie können nicht mehr in den hauseigenen Luftschutzkeller, sondern müssen zum Hochbunker nach Brautshöhe. Als sie dort ankommen, ist der Bunker wegen Überfüllung geschlossen. "Meine Mutter bekam einen Schreikampf. Dann wurden wir doch reingelassen", erinnert sich Horst Stutz. "Und nach Mitternacht kam dann ein Luftschutzwart zu uns und schenkte uns Nougatstangen, eine Köstlichkeit für die damalige Zeit. Er sagte, es sei der Geburtstag des Führers. Es war der 20. April." Zehn Tage später nimmt sich Adolf Hitler das Leben.

Eingang zum Führerbunker im Garten der Neuen Reichskanzlei in Berlin (Foto: Mai 1946). © IMAGO / United Archives
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Auch wenn Schwerin vergleichsweise wenig bombardiert wurde: Den Sirenenlärm wird Horst Stutz nie vergessen. Heult noch Jahrzehnte später irgendwo eine Sirene auf, denkt er sofort an diese Zeit zurück.

Ankunft der Alliierten

Am 2. Mai 1945 rücken amerikanische Truppen in Schwerin ein. Die Kinder bekommen Kaugummi und Schokolade. Ihre Wohnung muss Familie Stutz jedoch räumen. Unterschlupf findet sie in der Querstraße. In einem Haus ganz in der Nähe "war abends immer so richtig Stimmung, laute Musik und Gekreische von Frauen. Und dann sahen wir, wie die Amerikaner, wie wir damals sagten, mit dicken Bäuchen reingingen und nach einiger Zeit wieder mit leeren Bäuchen herauskamen", sagt er. So was tun anständige Frauen nicht, wird in der Nachbarschaft geraunt.

Kinderfreundliche Soldaten

Vier Wochen später übernehmen die Engländer Schwerin. Am 1. Juli werden sie von den Russen abgelöst. "Wir hatten damals die Vorstellung, dass die Russen so aussehen wie comicartige Soldaten", erzählt Horst Stutz. "Dass sie aussehen wie Asiaten, sogar gelb im Gesicht. Und wie die nun hereinkamen, waren wir doch überrascht, solche zu sehen, die unseren Vätern ähnelten."

Die russischen Soldaten haben abgezehrte Gesichter und tragen dreckige Uniformen. Was sie jedoch am meisten auszeichnet: "Diese unwahrscheinliche Kinderfreundlichkeit", sagt Horst Stutz. "Und ich werde nie diese Szene vergessen, wo dann unten in einer Tankstelle ein Russe saß, und ein Mädchen vorbeikam, und er auf das Mädchen zuging, seine Hand nahm - wir natürlich erschreckt guckten - und dann nahm er plötzlich seinen Säbel und schnitt dem Mädchen die Fingernägel." Dass sowjetische Soldaten versuchen, auch seine Mutter zu vergewaltigen, erfährt Horst Stutz erst später. Andere Frauen werden es nie erzählen. Sie schweigen ihr Leben lang.

* Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2010 veröffentlicht.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 1 Radio MV | 29.01.2010 | 19:00 Uhr

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