Melodie Michelberger: "Wir sind mehr als unsere Körper"
Melodie Michelberger war als Teenager magersüchtig und arbeitete später als Mode-Redakteurin. Heute präsentiert sie sich auf Instagram einer breiten Öffentlichkeit - auch in Unterwäsche. Die Influencerin und Body-Positivity-Aktivistin wirbt dafür, den eigenen Körper so zu akzeptieren, wie er ist. Im Interview mit NDR.de spricht sie über den Schönheitswahn junger Mädchen, falsche Ideale und den Weg zu mehr Selbstzufriedenheit.
Wie würden Sie selbst Ihre Arbeit bezeichnen? Rebellieren Sie mit Ihrem Social-Media-Profil gegen das Schönheitsideal der Gesellschaft?
Melodie Michelberger: Mittlerweile empfinde ich das tatsächlich als Rebellion. Wobei das absurd ist - ich zeige ja nur meinen Körper. Aber mir ist es wichtig, dass ich es tue. Ich habe selbst viele Jahre unter dem Schönheitswahn gelitten. Jetzt will ich andere Leute inspirieren und ihnen Mut machen, dass sie sich selbst in ihrem Körper wohlfühlen dürfen.
Warum haben Sie kein Problem damit, sich so zu zeigen, wie Sie sind - im Gegensatz zu vielen anderen?
Michelberger: Ich habe lange Zeit versucht, in das Bild einer schönen Frau zu passen, wie es von der Gesellschaft vorgegeben wird. Aber irgendwann dachte ich: Warum will ich das? Warum will ich mich immer kleiner machen? Warum will ich mich schrumpfen? Warum will ich immer unzufrieden sein, wenn ich in den Spiegel gucke? Und dann habe ich versucht, mich so anzunehmen, wie ich bin. Ich habe versucht, mich eher von innen zu sehen, also das zu sehen, was mich als Menschen ausmacht. Das ist ja nicht mein dicker Bauch oder mein Hintern, sondern das, was in mir drin steckt.
Das hört sich einfacher an, als es vermutlich ist.
Michelberger: Die meisten Leute gucken in den Spiegel und sehen nur ihre Problemzonen. Ich sage das Wort ungern, aber für viele Leute ist ihr Körper gar nicht dieses wahnsinnig wunderbare System, das sie durchs Leben bringt, sondern eigentlich nur eine Aneinanderreihung von Problemzonen. Stattdessen sollte man versuchen, das zu sehen, was unser Körper jeden Tag für uns macht: Ich kann mit meinen Armen meinen Sohn umarmen. Ich kann mit meinen Beinen die Treppen hochsteigen. Ich kann tanzen. Ich kann fühlen.
Was muss sich ändern, damit Menschen überhaupt eine positive Einstellung zu ihrem Körper aufbauen können?
Michelberger: Ich glaube, das funktioniert nur, wenn wir lernen, anders über Körper zu sprechen. Ich höre immer wieder, dass Eltern ihre Kinder zurechtweisen und Dinge sagen wie: "Das kannst du nicht anziehen! Iss' das nicht!" oder ähnliches. Sie wollen sie davor bewahren, dass sich ihr Körper in einer Weise verändert, die sie nicht für gut halten. Aber das ist sehr problematisch.
Was wäre aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Michelberger: Wir müssen jungen Menschen vorleben, dass wir mehr als unsere Körper sind. Dass es viele verschiedene Körper gibt - kleine, große, dicke, dünne - und dass alle Körper gleich viel wert sind. Das können Kinder und Jugendliche in unserer Gesellschaft gar nicht allein schaffen. Jeder muss mitwirken und sich selbst fragen: Wie rede ich über andere Leute, wenn sie nicht dabei sind? Wie rede ich über meinen eigenen Körper? Werte ich mich selbst ab, wenn ich vor dem Spiegel stehe?
Warum haben wir denn solche Probleme damit, uns schön zu finden?
Michelberger: Es gibt eine klare Norm, wie ein Körper auszusehen hat. Mit dieser Norm werden wir schon in der frühen Kindheit bombardiert. Menschen aus den Katalogen oder im Fernsehen entsprechen fast immer dieser Schönheitsnorm. Wir entdecken keine großen Abweichungen. Die überwiegende Mehrheit der Menschen kann diesem Schönheitsideal aber gar nicht entsprechen, weil es so eng gefasst ist. Und trotzdem haben viele Menschen den Wunsch, genau so auszusehen. Sie erwarten für den Moment, in dem sie dieses Schönheitsideal erreicht haben, eine Art Aufwertung und eine größere Achtung durch die Gesellschaft. Darüber vergessen sie aber, dass das Wichtigste nicht die Wertung von außen ist, sondern dass wir uns selbst lieben. Diese Selbstliebe zu finden und die eigene Wertschätzung nicht von äußeren Faktoren und anderen Menschen abhängig zu machen, ist meiner Meinung nach der Schlüssel, um glücklich zu sein.
Haben Sie noch mehr Tipps, wie wir schaffen können, unseren Körper so anzunehmen, wie er ist?
Michelberger: Ich habe tatsächlich angefangen, mir im Spiegel manchmal zuzuwinken. Das kommt einem zunächst komisch vor, aber es hilft, vom Äußeren abzulenken und sich klar zu machen, dass wir mehr sind als unsere äußere Hülle. Es gibt so viel, was uns ausmacht: unsere Kreativität, unsere Liebe, all das, was wir tun. Wichtig ist auch, sich nicht zu vergleichen - auf gar keinen Fall mit Menschen, die wir in der Werbung, in den sozialen Medien und im Fernsehen sehen. Gezeigt werden dort Models. Das sind Menschen, die sehr hart an ihren Körpern arbeiten und deren Fotos teilweise noch nachbearbeitet wurden. Ein Vergleich mit ihnen macht uns krank und unzufrieden mit unserem eigenen Körper.
Die Fragen stellten Jo Hiller und Jennie Radü, NDR Fernsehen.