Georg Baselitz: Welt auf dem Kopf
Georg Baselitz ist einer der erfolgreichsten Künstler der Gegenwart. Der Coup, der ihm den Durchbruch bescherte: Baselitz stellt seine Figuren auf den Kopf. Am 23. Januar ist der Maler, Bildhauer und Grafiker 85 Jahre alt geworden.
Provoziert der Mann eigentlich aus Prinzip? Der Schluss liegt nahe, wenn man aufzählt, welche Botschaften Georg Baselitz der Welt in den vergangenen Jahrzehnten verkündet hat: Seine DDR-Kollegen seien "Arschlöcher". Frauen könnten schlechter malen als Männer. Und Ausstellungen wie die documenta verdienten die Bezeichnung "Paralympics". Den Kampfmodus, den er in seiner Jugend brauchte, um künstlerisch zu überleben, hat Baselitz nie abgelegt: "Sie bekommen erst mal von außen zu hören, was für'n Mist Sie machen", sagt der Künstler. "Und dagegen müssen Sie Strategien und Rüstzeug entwickeln: Das hab ich mein Leben lang gemacht."
Baselitz widersetzte sich dem Sozialistischen Realismus
An der Ostberliner Kunsthochschule Weißensee, wo er 1956 sein Studium begann, sollte Baselitz Arbeiterhelden malen. Männer und Frauen, die tatkräftig am Aufbau der Republik mitwirken. "Der Sozialistische Realismus war der Stil, der von Josef Stalin als der einzige angemessene künstlerische Weg beim Aufbau des Sozialismus dekretiert worden war", beschreibt der Kunsthistoriker Robert Fleck das kulturpolitische Programm der DDR. Sich Stalins Propagandakunst zu widersetzen, das bedeutete die Infragestellung der Berufsausübung, der persönlichen Integrität und der Freiheit.
Als er seinen Professoren eine Bilderserie im Stil des Kubismus präsentierte, bekam Baselitz die Härte des Systems zu spüren. "Ich wollte in dem System positiv sein, das Beste machen. Aber nicht so, wie die wollten", sagt er. "Ich hatte mir effizientere Modelle ausgedacht. Und die sagten: Du bist hier nicht gebraucht. Du fliegst raus."
Durchbruch im Westen
Dem Maler blieb nichts anderes übrig, als sein Studium im Berliner Westen fortzusetzen. Noch vor dem Mauerbau siedelte er um. Aber auch dort eckte er an: Wegen "Unsittlichkeit" beschlagnahmte die Polizei in einer Ausstellung 1963 zwei seiner Leinwände. Wahrscheinlich hatte der Galerist den Beamten gesteckt, dass in der Schau explizite Darstellungen männlicher Genitalien zu sehen seien. Der Plan ging auf: Der Skandal sorgte für beachtliches Presseecho. Aufmerksamkeit, die der junge Künstler durchaus verdiente: In einer Zeit, in der abstrakte Kunst Hochkonjunktur hatte, malte Baselitz mit bemerkenswertem Eigensinn düster-ungeschlachte Figuren.
"Ich bin in eine zerstörte Ordnung hineingeboren worden, in eine zerstörte Landschaft, ein zerstörtes Volk, in eine zerstörte Gesellschaft", sagt Baselitz. "Ich wollte keine neue Ordnung einführen. Ich hatte mehr als genug sogenannte Ordnungen gesehen."
Baselitz arbeitet sich an der deutschen Geschichte ab
Der Nationalsozialismus und die SED-Diktatur haben Baselitz nie losgelassen. In seiner kruden Malerei und den grob gesägten Holzskulpturen arbeitet er sich an der deutschen Geschichte ab. Er demontiert Heroen und attackiert Mitläufer. Auch, indem er seine Figuren seit 1969 konsequent auf den Kopf stellt.
Baselitz, der gern im Stil eines Malerfürsten auftritt, gehört heute zu den weltweit erfolgreichsten Kunstschaffenden. 2019 wurde er als einziger Deutscher in die ehrwürdige Académie des Beaux-Arts in Paris aufgenommen. Dass er als Großverdiener noch immer das Image des renitenten Aufrührers pflegt, ist für ihn kein Widerspruch. Selbstzweifel scheinen den gebürtigen Sachsen noch nie geplagt zu haben: "Ich finde meine Sachen unglaublich, die ich gemacht habe".