Ausstellung "Bodies of Ambivalence": Teilhabe für Mütter im Kunstbetrieb
Wie kann künstlerisches Arbeiten in Verbindung mit Sorgearbeit aussehen? Welche Strukturen braucht es für eine gerechtere Aufteilung von Care-Arbeit und für mehr Sichtbarkeit von Müttern in der Kunst? Die Hamburger Ausstellung "Bodies of Ambivalence" geht diesen Fragen nach.
Eine Villa im betulichen Hamburger Stadtteil Alsterdorf. Es geht vorbei an einer Hecke, hinein in einen gepflegten Garten und versteckt hinter Koniferen findet sich: 146 Contemporary, eine White-Cube-Galerie, im seitlichen Flügel eines Wohnhauses. Ausgerechnet hier gibt es aktuell ein paar subversive, fast aufrührerische Arbeiten zu entdecken, die die Frage stellen, ob Mutter und Künstlerin sein überhaupt gleichzeitig möglich ist. Warum auch in diesem Sektor so wenig für Vereinbarkeit getan wird und warum man für das Stillen eigentlich nicht bezahlt wird.
Komplexität statt Klischees
Gründerin der Galerie und Gastgeberin ist Elena Bulycheva. Die Künstlerin hat nicht nur ihr Atelier zu Hause, sondern hat sich dort auch den Traum einer Galerie erfüllt. "Bodies of Ambivalence" heißt die aktuelle Ausstellung im Raum 146 Contemporary. Sie vereint acht künstlerische Positionen - ausschließlich von Frauen aus Norddeutschland. Darunter Zeichnungen, Fotografien, Objekte und eine Videoarbeit. Die Arbeiten könnten kaum unterschiedlicher sein, aber sie alle beschäftigen sich im weitesten Sinne mit dem Thema Care-Arbeit. Was das alles sein kann, weiß Kuratorin Sascia Bailer: "Mir war es wichtig, kein Klischee von Mütterlichkeit zu reproduzieren, sondern aufzuzeigen, dass es ein Bereich ist, der uns alle berührt. Sowohl als Kinder wie auch als Eltern. Aber auch wenn wir nicht Eltern sind, sind wir in Fürsorgebeziehungen zu anderen."
Mehr Teilhabe durch kleine und große Maßnahmen
Die promovierte Wissenschaftlerin forscht schon lange an der Schnittstelle zwischen Fürsorge-Arbeit, zeitgenössischer Kunst und strukturellem Wandel. Ihr aktuelles Buch "Caring Infrastructures" beschäftigt sich mit der Frage, wie faire Arbeitsbedingungen und Geschlechtergerechtigkeit in die kuratorische Praxis eingeschrieben werden können: "Es macht schon einen großen Unterschied, wenn Ausstellungseröffnungen nicht nur in den Abendstunden stattfinden, wenn Eltern üblicherweise ihre Kinder ins Bett bringen. Diese kleine Veränderung kann schon für mehr Teilhabe am Kulturgeschehen sorgen."
Auch Aktivismus kann Care-Arbeit sein

Oder eben ein Wickeltisch im Ausstellungsraum. Mit diesem Bild spielt Künstlerin Katia Lina Sternel. In ihrer Arbeit kommen oft klassische Pflastersteine zum Einsatz - auch auf dem Wickeltisch: "Es war erstaunlich, wie oft Eltern ihre Kinder tatsächlich in der Ausstellung gewickelt haben", erklärt die Künstlerin "Die Kinder konnten wiederum am Boden mit den Pflastersteinen spielen und auch das hat die Eltern entlastet." Doch es steckt noch mehr in ihrer Arbeit: Die Pflastersteine erinnern an Demonstrationen und weisen darauf hin, dass auch Aktivismus als ein Beispiel für Care verstanden werden kann. Denn wer sich für eine Sache einsetzt, wie beispielsweise für den Umweltschutz, der kümmert sich und sorgt vielleicht dafür, dass die Grundlagen, die unser Überleben sichern, wertgeschätzt werden. Auf diese Vielschichtigkeit des Begriffs "Care" legt Sascia Bailer in ihrer Eröffnungsrede besonderen Wert.
Ein Stipendium - exklusiv für Eltern

Die Ausstellung hinterfragt die oft romantisierte und klischeehafte Vorstellung von Sorgearbeit als "Arbeit aus Liebe". Schließlich sprechen die Zahlen zum Thema für sich: Frauen übernehmen weiterhin 44 % der unbezahlten Sorgearbeit. Gleichzeitig befinden sich unter den Top 10 der global erfolgreichsten Künstler*innen zwar acht Väter, aber keine Mütter. Künstlerin Marcia Breuer wurde das zu viel. In ihrem Text "Mehr Mütter für die Kunst" von 2019 äußert sie ihren Unmut und hat zugleich konkrete Vorschläge, was sich ändern müsste. Die Resonanz dazu war überwältigend und so wurde daraus nicht nur ein Netzwerk, sondern später auch ein Stipendium. Gemeinsam mit der Hamburger Kulturbehörde entwickelte sie das Residenzstipendium "Parents in Arts" bei dem Eltern zwei Wochen lang ungestört arbeiten können - auch dank einer Kinderbetreuung die mitgedacht wurde: "Zwei Wochen sind eigentlich ein lächerlicher Zeitraum für künstlerisches Arbeiten, aber für Eltern kann das eine wertvolle Zeit sein, wenn sie echt zum Arbeiten zur Verfügung steht", erklärt Marcia Breuer.
Alternativen zur Kleinfamilie als Ort der Isolation
Bei genauerem Hinsehen wird klar: Der betuliche Stadtteil könnte kaum passender sein. Denn genau hier, wo hinter hohen Hecken die Welt so erschreckend heil erscheint, liegt eben auch ein Teil des Problems: Im System Kleinfamilie, das für viele Mütter auch Isolation und Abhängigkeit bedeuten kann. Die Rede ist von Müttern in der Elternzeit, die sich plötzlich sehr einsam fühlen, von Schwierigkeiten beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit, vom Abgehängt-Sein. Denn die Familie als Mikrosystem schafft nicht nur Geborgenheit, sondern auch viele unbewegliche Strukturen die Teilhabe sogar erschweren können, etwa wenn vieles von der Kooperation des Partners abhängt. Die Ausstellung liefert Provokationen und Denkanstöße, wie Alternativen zu diesem System aussehen könnten.
Ausstellung "Bodies of Ambivalence": Teilhabe für Mütter im Kunstbetrieb
Was macht es so schwer, gleichzeitig Mutter und Künstlerin zu sein? Eine Ausstellung in einer Hamburger Galerie geht der Sache auf den Grund.
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Galerie 146 Contemporary
Bebelallee 146
22297 Hamburg
- Öffnungszeiten:
- Besichtigungstermine nach Absprache per Mail unter: 146contemporary@gmail.com
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