Kommentar zu Goecke: Kritik der Kritik an der Kritik
Der Hundekot-Skandal von Hannover hat zunächst einmal Ekel ausgelöst - dann aber auch ein paar Fragen: Sind Künstlerinnen und Künstler wirklich allzu hohem Druck durch strenge Rezensionen ausgesetzt? Anmerkungen dazu von Alexander Solloch aus unserer Literaturredaktion.
Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener hat einmal ein paar Hinweise formuliert, die das Zeug haben, unser Leben entspannter und schöner zu machen, konkret vor allem das Leben all jener Menschen, die sich künstlerisch betätigen. Er nannte sie: "Goldene Regeln, die Kritik betreffend", und dies ist ihr Wortlaut:
"1. Beschwere dich nicht über schlechte Kritik. 2. Bedanke dich nicht für gute Kritik. 3. Betätige dich niemals als Kritiker."
Der letzte dieser Regener-Ratschläge bedeutet vor allem auch: Kritisiere niemals Kritiker - am Ende färbt das immer in einem unansehnlich-garstigen Grünton aufs Werk ab, um das allein es doch gehen soll und nicht um die Befindlichkeiten des Menschen, der es schuf. Das Werk hat eine eigene Würde als etwas, das ganz allein und für sich bestehen kann, es braucht keinen Künstler-Kavalier, der es beschirmt und beschützt mit allem, was er hat an Wut und Worten und Weiterem.
Vornehmste Haltung des Künstlers: Schweigen
Die vornehmste Haltung des Künstlers oder der Künstlerin bestünde also darin, das Werk in die Welt zu setzen und fortan zu schweigen, mit einem Gesichtsausdruck, der erklärt: "Alles, was ich zu sagen habe, findet ihr in meinem Buch, meinem Bild, meiner Inszenierung. Abgesehen davon weiß ich nicht mehr, als ihr darüber zu wissen meint, und fast bin ich sogar geneigt, vehement zu bestreiten, dass ich in meiner Eigenschaft als ich irgendetwas Näheres damit zu tun haben könnte!" Der Dichter, der mit diesen Worten schweigt, ist natürlich eine Idealvorstellung, weit entfernt vom tatsächlich Möglichen, teils ja sogar aus guten Gründen wie zum Beispiel dem extrem guten Grund, an Gesprächssendungen und öffentlichen Veranstaltungen von NDR Kultur teilnehmen zu wollen. Aber bis zum anderen Ende der Skala, dort, wo gewütet, geschäumt und mit Kot geworfen wird, ist es doch eigentlich noch viel weiter.
"Augen auf bei der Berufswahl"
Der klägliche Angriff des Choreographen Marco Goecke auf eine Tanzkritikerin der FAZ entzieht sich jeder weiteren Diskussion. Auch das, was er, aber auch seine bisherige Vorgesetzte, die ansonsten so umsichtig handelnde und sprechende Opern-Intendantin Laura Berman, hinterher gesagt haben, ist schon hinreichend und treffend kommentiert worden. Wenn er die Härte seiner Arbeit als Beweis für ihre Unkritisierbarkeit heranzieht und sie den "unerträglichen Druck" beklagt, den die Kritik erzeuge, dann kann man's in der Tat nicht besser formulieren als Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung: "Augen auf bei der Berufswahl: Das Leben bietet viele Chancen zu hartem Arbeiten, ohne dass die Frau von der FAZ vorbeikommt."
Kritik erfordert Urteilskraft und Wortgewandtheit
Hinzuzufügen - und bitte gern auch breiter zu diskutieren - wäre dann allenfalls noch die Vermutung, dass sich die professionelle Kunstkritik unschuldig an der Entstehung dieses Drucks bekennen muss. Vielleicht erzeugt sie eher Unterdruck: War die Kritik, in Zeiten von Presse- und Meinungsfreiheit, denn jemals so differenziert, ausgewogen, deskriptiv, so lauwarm und mild, und ja: so langweilig wie heute? Man muss schon fast zehn Jahre zurückdenken, damit einem überhaupt mal ein Beispiel für eine Kritik einfällt, die sich aus lauter Bosheit vergaloppiert. Als ein Rezensent der FAZ der Schriftstellerin Judith Hermann mit einem Federstrich sämtliche für ihren Beruf erforderlichen Fähigkeiten absprach, konnte man sich wirklich empören, weil er nichts anderes in der Hand hatte als Erbsenzählerei. Tatsächlich erfordert die Komposition eines Verrisses eine Urteilskraft und Wortgewandtheit, über die eben nur wenige verfügen, schon gar unter den heutigen medialen Produktionsbedingungen. Literaturkritiker und -kritikerinnen zum Beispiel lesen viel zu viele Bücher in viel zu kurzer Zeit, dabei kann nur wenig Gutes herauskommen.
Judith Hermann aber hat, wiewohl sie die Rezension hart getroffen haben muss, einfach geschwiegen und weitergeschrieben; ganz im Sinne von Sven Regeners "Goldenen Regeln" Nummer 4 und 5, die man sich gar nicht oft genug vorsagen kann: "Die Welt ist dir nichts schuldig. Du ihr aber auch nicht."