"Walküren" in Hannover: Schwerter und Pantoffeln einmal anders
Was wären Wagners Walküren, wenn sie sich heute am Theater neu erfinden dürften? Die Antwort darauf liefert die Dramatikerin Caren Jeß mit ihrer Adaption des Stoffes der nordischen Mythologie. Nun hat das Stück in der Regie von Marie Bues am Schauspiel Hannover Premiere gefeiert.
Das hat schon was von Bayreuth: Auf einem hoch aufragenden Felsen am Ende einer schiefen Ebene stehen die Walküren und blicken über die Welt. Schwarz sind ihre Kleider, die Amit Epstein in bester Opernmanier entworfen hat, eine krumme Vogelnase ragt ihnen ins Gesicht, ein Kragen aus schwarzen Vogelfedern rahmt sie. Bei Wagner hatten sie die Aufgabe, die toten Seelen der Helden vom Schlachtfeld nach Walhalla zu bringen und eine Armee für Wotan zu rekrutieren. Davon dürfen sie sich jetzt freimachen.
"Brünnhilde, auf die auch ein großes Augenmerk gelegt wird, ist die, die sozusagen den Vater, den großen Wotan, der die Macht immer noch patriarchal ausübt, hintergeht", erklärt die Regisseurin Marie Bues. "Sie versucht mit einer klugen List, die Walküren, die Geschichte und uns von dem Kanon zu befreien, indem wir eine Freiheit gewinnen, ihn umzudeuten."
Inszenierung setzt ein Mosaik zusammen
"Wir wollen hier weg. Wir wollen, dass alles anders wird", heißt es im Stück. Und da ist so einiges anders als sonst: Die Walküren sind nicht mehr an den Fels gekettet, sondern bieten den Männern die Stirn. Das Schwert, das in der Esche steckt, dem Baum der Welt, wird statt von einem Mann von einer Frau gezogen. Und Brünnhilde, souverän gespielt von Birte Leest, hat sich Herrschertechniken von Vater Wotan abgeguckt, um ihre Schwestern vom Fels zu befreien, sagt die Schauspielerin: "Es gibt keine Liebesgeschichte hier bei ihr in unserer Erzählung, sondern einen Machtkampf mit der Vaterfigur. In der man auf Augenhöhe fightet und nicht darunter steht, sondern ihn eigentlich austrickst. Wir spielen hier nicht die schöne Frau, die durch das Stück mit wehenden Haaren fliegt, sondern wir bemühen uns da im besten Sinne, eine Antiheldin zu zeigen."
Konstrukt des Helden wird zerlegt
Nicht nur das Konstrukt des Helden wird zerlegt, auch ein übergroßer Seiden-Pantoffel, wie ihn Wagner einst trug, sorgt im Publikum für Heiterkeit. Er hinterfragt, warum der Komponist so erfolgreich war. Aus den Walküren werden zuweilen Aktivistinnen. Das Licht im Zuschauerraum geht an und das Publikum wird direkt angesprochen und aufgefordert, Partei für die eigene Sache zu ergreifen.
"Die Walküren sind ja auch diejenigen, die noch mal so eine Frage stellen an Autorschaft und: Wer erfindet eigentlich die Narrative, auch unserer Gesellschaft?", sagt Marie Bues. "Es wird angeregt, dass man sich andere Gemeinschaften und andere Systeme von Eigenverantwortlichkeit und Solidarität überlegen müsste, um wirklich miteinander klarzukommen." Feminismus, Aktivismus, sich abarbeiten an einem deutschen Mythos: Die Inszenierung setzt das wie ein Mosaik zusammen, in dem ein vorherrschender Kanon abgeschafft ist, sich viele Perspektiven für jeden ergeben.
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