Vasco Boenisch © picture alliance/dpa Foto: Julian Stratenschulte
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Schauspiel Hannover: Neuer Intendant steht für "weltoffenes Theater"

Stand: 29.01.2025 17:13 Uhr

Der derzeitige Künstlerische Direktor des Schauspielhauses Bochum übernimmt ab der Spielzeit 2024/25 die Leitung des Schauspiels Hannover. Im Interview spricht Vasco Boenisch über seine neue Aufgabe und das kommende Programm.

Bis 2014 hat Vasco Boenisch als Theaterkritiker und Kulturredakteur gearbeitet, wechselte anschließend die Seiten und wurde Dramaturg. Seit 2018 arbeitet er am Schauspielhaus Bochum und wird in diesem Jahr Nachfolger von Sonja Anders, die dann Intendantin des Thalia Theaters wird.

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Herr Bönisch, für diese Stadtgesellschaft in Hannover, für dieses Haus, für diese Tätigkeit, welche Schlüsselqualifikation packen Sie in Ihren Methodenkoffer?

Vasco Boenisch: Begeisterungsfähigkeit, also auch andere Menschen begeistern zu können, Zugewandtheit, sowohl zu den Menschen in Hannover und Niedersachsen als auch zu den zukünftigen Mitarbeitenden, und natürlich einige Erfahrungen im Theaterbetrieb: ein gutes Netzwerk von interessanten Künstler*innen und eine gewisse Qualität, wenn es darum geht, Gastgeber zu sein - weil mir das nämlich sehr viel Spaß macht, sowohl privat als auch beruflich.

Für welches Theater stehen Sie?

Boenisch: Für ein weltoffenes Theater, eines, das sich mit den Menschen beschäftigt und die Menschen ins Zentrum stellt, und das auch einen gewissen ästhetischen Kunstanspruch hat. Ich mag es immer gerne, im Theater auch ästhetisch begeistert zu werden, als auch die wichtigen Themen unserer Zeit zu behandeln. Wir sind in einer Zeit, wo alle Menschen nach Orientierung suchen, manchmal auch nach Zerstreuung und nach Gemeinschaft. Wir haben das Gefühl, dass wir zunehmend allein oder orientierungslos sind, und das kann Theater wunderbar liefern, dass wir zusammen etwas erleben, zusammen etwas diskutieren können, einander begegnen und uns austauschen. Das ist heutzutage wichtiger denn je.

Es ist gerade in einer rasenden Geschwindigkeit zu beobachten, dass sich auch Wertvorstellungen und Kulturideen verändern. Was sind da Ihre Seismographen, um in die Gesellschaft hineinzuhören?

Boenisch: Wir sind ein Team von vielen Mitarbeitenden und beschäftigen uns sowohl privat als auch beruflich mit dem, was passiert. Wir lesen viel, wir hören viel, wir gehen auf die Menschen zu. Wir haben viele Antennen an unterschiedlichsten Stellen ausgefahren. Wir holen auch die Stadtgesellschaft zu uns hinein: Es gibt partizipative Projekte, wo Menschen aus der Stadt und aus dem Land auf der Bühne mitmachen werden. Wir werden im Bereich Stadtdramaturgie einen regen Austausch haben, was die Menschen bewegt, was sie gerne im Theater sehen wollen. Und so werden wir versuchen, an verschiedenen Stellen die Themen aufzuspüren.

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Sie haben der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" verraten, dass es nicht nur ein Eröffnungstag, sondern ein ganzes Wochenende geben wird, und dass es spektakulär werden wird. Können Sie uns ein bisschen mehr verraten?

Boenisch: Ehrlich gesagt, noch nicht alles. Wir werden Anfang Mai das komplette Programm vorstellen. Die Spielzeit wird mehr als 20 Premieren beinhalten. Dieser Eröffnungsreigen erstreckt sich über sechs Wochen, in denen wir etliche Premieren haben werden, wo man dann einen Eindruck davon hat, was das gesamte Spektrum unseres Theaters sein wird.

Was ich vom Spielplan der ersten sechs Wochen zumindest verraten kann, ist, dass wir eine Produktion zeigen, die mir persönlich sehr am Herzen liegt: "Das neue Leben", eine Inszenierung, die ursprünglich am Schauspielhaus Bochum entstanden ist, wo ich damals als Dramaturg mitgearbeitet habe, die auf eine sehr spektakuläre und auch sehr emotionale Weise von unerfüllter Liebe, Sehnsucht und den Lücken, die manchmal der Tod ins Leben reißt, erzählt. Wir hatten mit dieser Produktion inzwischen schon 50 Vorstellungen weltweit, und die Menschen sind berührt und begeistert wie selten im Theater.

Ich kann noch einen anderen kleinen Appetithappen geben, der viel mit Hannover und mit Niedersachsen zu tun hat: Wir werden den Roman "Die Frau mit den vier Armen" dramatisieren und zur Uraufführung bringen. Das ist ein Niedersachsen-Noir-Krimi, ein sehr humorvoller und trotzdem gesellschaftspolitisch relevanter Roman von Jakob Nolte, der auch ein schönes Ereignis werden kann.

Sie kennen Theater gut von innen. Klappen Sie manchmal die Feuilletons auf oder hören Sie Radio und denken: Ach herrje, was hat die oder der denn da jetzt wieder geschrieben?

Boenisch: Das passiert, aber das wird vermutlich immer mal wieder vielen Menschen so gehen, das gehört mit dazu. Letztendlich spricht das ja nur dafür, dass wir unterschiedliche Meinungen, unterschiedliche Perspektiven haben. Auch da ist Theater das richtige Medium, um das zu trainieren, weil man im Theater immer ein Stück weit überrascht wird, ein Stück weit etwas Unbekanntes, Ungeahntes erlebt. Das ist wichtig, dass wir uns diese Offenheit und letztlich auch diese Zugewandtheit bewahren, auch andere Meinungen gelten zu lassen und sich damit auseinanderzusetzen. Ich kann mich im Zweifelsfall selbst noch mal anders hinterfragen, wenn ich einen Text oder eine Kritik höre und denke: Interessant - so hat das gewirkt. Wir haben etwas ganz anderes bezweckt, und ich nehme es auch anders wahr. Aber das ist trotzdem auch eine Wahrheit, wenn es anders wahrgenommen wird. Sich damit auseinanderzusetzen, kann auch befruchtend sein.

Ich will nicht prophezeien, aber es mag in Hannover passieren, dass man am Schauspiel mit weniger auskommen muss, weniger machen kann. Wie wollen Sie das moderieren, ohne dass da so eine Wehmut und bleierne Schwere in die Prozesse reinkommt?

Boenisch: Es ist wichtig bei den Herausforderungen, die wir finanziell in der nächsten Zeit haben werden, dass wir dafür sorgen, intern transparent zu kommunizieren, damit sich die Menschen auch wertgeschätzt fühlen, ernst genommen fühlen und sich gegebenenfalls auch beteiligen können. Wir müssen genau gucken, was unsere prioritären Schwerpunkte sind, was uns wichtig ist und wo wir eventuell Abstriche machen müssen. Momentan erlebe ich es so, dass wir alle sehr motiviert und konstruktiv mit der Situation umgehen, dass wir voller Elan stecken, die Dinge jetzt anzuschieben und eine neue Intendanz zu starten. Trotzdem muss man den Sachverstand und den Klarblick bewahren, was möglich ist und wie man vielleicht auch mit neuen Kooperationen und neuen Produktionsweisen Ressourcen schonen kann, um dann das Freibleibende in die Kunst zu stecken.

Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 29.01.2025 | 16:30 Uhr

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