"Dona Nobis Pacem" - Standing Ovations für Neumeiers neues Ballett
Sonntagabend hat es in der Hamburgischen Staatsoper Standing Ovations und Jubel für John Neumeiers Ballett "Dona Nobis Pacem" ("Gib uns Frieden") gegeben. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz war gekommen, um mit Neumeier und seinem Ballett die Uraufführung anlässlich seines 50-jährigen Jubiläums in Hamburg zu feiern.
Gerade noch war John Neumeier ungewohnt in den Schlagzeilen: Hamburgs Ballettchef John Neumeier wurde Rassismus vorgeworfen. Seine "Othello"-Choreografie für das Königlich Dänische Ballett nach Kritik von Tänzerinnen und Tänzern an rassistischen Stereotypen aus dem Programm genommen, die Zusammenarbeit mit Kopenhagen ausgesetzt. In Hamburg nun der Begeisterungssturm für seine neue Inszenierung.
Inspiriert von Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll
Auch wenn John Neumeier auch dieses Mal die Warnung an sein Publikum rausgab: "Suchen Sie keine durchgehende Handlung" - zieht sich doch ein roter Faden durch den Abend: der bedrohte Frieden und die Sehnsucht danach. Choreografische Episoden, inspiriert von Johann Sebastian Bachs Messe in h-Moll - die kunstvolle Vertonung der wichtigsten Texte eines Gottesdienstes, Meisterwerk der europäischen Musikgeschichte, die handschriftliche Partitur Bachs sogar von der Unesco in das Weltdokumentenerbe aufgenommen.
Idee hatte Neumeier vor Kriegsausbruch in Ukraine
Die Idee zu dem Ballettstück hatte John Neumeier vor dem 24. Februar. Durch den Krieg in der Ukraine bekommen die einzelnen Geschichten jetzt eine noch eindringlichere Relevanz. Es sei ihr sehr nah gegangen, sagte eine Zuschauerin, eine andere meinte: "Ich finde, das ist eine wunderbare Kombination zwischen Musik, Tanz und Zeitgeschichte."
Zu Beginn des Abends: fast fünf Minuten Stille. Eine Herausforderung. Das Licht im Zuschauerraum ist noch an, als der erste Tänzer als Soldat über die Bühne geht, fällt. Dann erst kommt der Dirigent und wird klatschend vom Publikum begrüßt. Alles vermischt sich, der Krieg ist Wirklichkeit, wir sind dabei.
Erster Solist Aleix Martínez als namenloser Erzähler
Wie ein Reisender, ein Erzähler begleitet uns Aleix Martínez als namenlose Figur, als "Er". In seinem Koffer sind Fotos, Lebenserinnerungen. Er begegnet Soldaten, Kindersoldaten sogar, die im Krieg sterben. Ein wenig Aufatmen, wenn rot gekleidete Frauen mit geöffneten Armen fast spielerisch leicht tanzen oder die Engel in verheißungsvollen, weißen Kleidern Frieden möglich erscheinen lassen. Und tatsächlich: Die Tänzer und Tänzerinnen schmiegen sich an die wunderbare Musik, sind fast wie die Noten, die einfach dazugehören.
Bundeskanzler Scholz von Inszenierung berührt
Holger Speck ist ein außerordentlicher Dirigent, der sein Vocalensemble Rastatt und das Hamburger Ensemble Resonanz sicher durch Bachs Messe leitet. "Es war Glaube, Liebe, Hoffnung - von John Lennon über Hiroshima. Es war ganz viel und ganz großartig", sagte eine Zuschauerin. Der Schrecken das Atombombenabwurfs - eine Szene, die Bundeskanzler Olaf Scholz besonders berührt hat, wie er später in einer kurzen Rede betonte: "Sehr berührt auch deshalb, weil das nicht nur ein Teil dieses Stückes ist, sondern eine ganz konkrete Gefahr, mit der wir in diesem Jahr konfrontiert sind. Es war deshalb wirklich wichtig, dass bei dem G20-Treffen die gesamte Weltgemeinschaft noch einmal gesagt hat: Diese Grenze darf nicht überschritten werden."
Neumeier: "Stück ist keine Antwort auf politische Ereignisse"
Sein Stück sei keine Antwort auf die politischen Ereignisse, sagt John Neumeier. Aber selten war die Ballettbühne so unmittelbar verwoben mit der Realität. Diese Messe zu choreografieren sei die größte Herausforderung seiner Karriere, sagte John Neumeier. Zum Glück hat er sie angenommen. Die Sehnsucht nach Frieden ist nicht nur in Kriegszeiten da, sondern immer im Seelenleben eines jeden Menschen. Das zeigt dieser Abend in einer durchdringenden Tiefe, die ihresgleichen sucht. Jubel am Schluss - zu Recht.