"Nachtland": Bitterböse Komödie über deutsche NS-Vergangenheit
Das Stück "Nachtland" an der Landesbühne Nord in Wilhelmshaven kreist um ein von Adolf Hitler gemaltes Bild - und zwingt eine Familie dazu, sich mit verdrängter Vergangenheit und Antisemitismus auseinanderzusetzen.
Die Büchse der Pandora ist geöffnet. Die Geschwister Nicole und Philipp und ihre jeweiligen Partner haben ein Aquarell auf dem Dachboden gefunden. Es stammt aus dem Nachlass des Vaters und es könnte von Hitler gemalt worden sein. Aber wie ist es in die Familie gelangt - und hatte der Vater eine Ahnung davon? Weil der tot ist und nicht mehr gefragt werden kann, wird eine Hitler-Kunstexpertin zu Rate gezogen.
"Es ist echt?"
"Ohne jeden Zweifel!"
"Ein echter Hitler, kriegen wir das schriftlich?"
"Aber tun sie es zurück in den Rahmen."
Dialog in "Nachtland"
Kein Gedanke mehr an "den Kitsch einfach wegwerfen" oder "selber behalten zur Erinnerung an Papa". Die Geschwister und Fabian, der Ehemann von Nicole, wittern das ganz große Geschäft - so viel zu Moral und Geschichtsbewusstsein.
Text von Marius von Mayenburg: "Lebendig und heutig geschrieben"
Werte haben angesichts von 100.000 Euro ganz schnell ausgedient, sagt Regisseur Maximilian Schuster. Das spiegeln die Dialoge der Paare, aber auf eine hintergründige Art und Weise. "Das ist mehr Sarkasmus und Zynismus und nicht der moralische Zeigefinger", so Schuster. "Das liegt an der Sprache von Marius von Mayenburg, der das so lebendig und heutig geschrieben hat. Es ist Sprache, wie sie im echten Leben auch genutzt wird." Und das macht das Stück "Nachtland" so realistisch und zeitgemäß. Von Mayenburg hatte es zu seiner Uraufführung 2022 an der Berliner Schaubühne selbst inszeniert.
Doch es gibt noch einen Haken beim großen Geschäft mit dem Bild: Über 100.000 Euro würde es laut der Expertin nur einbringen bei "überzeugender Provenienz". Sohn Philipp: "Sie sagt, wenn mein Papa das auf dem Flohmarkt gekauft hat, dann reicht das nicht, dann gibt´s nur ein paar Tausend."
Gier siegt über Werte
Korrektiv in diesem Kammerspiel ist Philipps Frau Judith. Sie ist Jüdin und plädiert dafür, das Bild zu zerstören. Es soll auf keinen Fall verkauft werden. Doch die Gier der Geschwister, man ahnt es schon, ist stärker. Deren Motive zu entlarven, keinen Zweifel daran zu lassen, dass auch in dieser Familie nie über die deutsche Vergangenheit und die eigene Rolle darin geredet wurde, all das kommt ans Licht. Es geht zur Sache.
"Es sind ganz lebendige Dialoge, wie sie an jedem Küchentisch oder auf der Straße geführt werden können", so Regisseur Schuster über den Text. "Das macht das Ganze lebendig und ein bisschen lustig - aber bitterböse und ohne Zeigefinger."
Aktueller Stoff in Zeiten von wachsemdem Antisemitismus
Trotzdem ist der Zuschauer gefragt: Darf man so sein wie Nicole, die Tochter, die nur an ihren eigenen Vorteil denkt? Oder ist ihr Bruder Philipp nicht noch viel schlimmer, weil er seiner jüdischen Frau nie die Wahrheit über seine Familie im sogenannten "Dritten Reich" erzählt hat? Hier geht es auch um ganz persönlichen Verrat. Das macht dieses Sprechtheater spannend und aktuell zu einer Zeit, wo Antisemitismus und Rassismus wieder salonfähig gemacht werden.
"Nachtland": Bitterböse Komödie über deutsche NS-Vergangenheit
Das Stück an der Landesbühne Nord in Wilhelmshaven kreist um ein von Adolf Hitler gemaltes Bild.
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