Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten © Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Foto: Martin Bein

Elke Gryglewski: "Auschwitz hat Auswirkungen bis heute"

Stand: 26.01.2025 06:00 Uhr

Das Grauen in deutschen Konzentrationslagern hat bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Diesen Schluss zieht Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, aus ihrer täglichen Arbeit.

Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten © Stiftung niedersächsische Gedenkstätten Foto: Martin Bein
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Elke Gryglewski ist unter anderem Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen und hält als solche für ihre Erinnerungsarbeit Kontakt mit den letzten Zeitzeugen: "Wir wissen, dass die seltene Möglichkeit mit Überlebenden zu sprechen, von sehr hohem Wert ist." Da die Zeitzeugen altersbedingt aber immer weniger werden, übernähmen nach Ansicht Gryglewskis authentische Gedenkstätten die Aufgabe der Erinnerungsarbeit. "Wir merken es an unserem Publikum, dass es wichtig ist, dort zu sein, wo es geschehen ist. Was immer dieses 'Wo-es-geschehen-ist' auch bedeutet."

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Rosen liegen auf einem Gehweg neben Stolpersteinen - kleinen Gedenktafeln, die an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der NS-Zeit verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden. © picture alliance / Norbert Schmidt Foto: Norbert Schmidt

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Im Gespräch betont Elke Gryglewski, dass vor dem Gedenken aber das Schließen von Bildungslücken stehe, bei jüngeren wie bei älteren Menschen, zumal sich die Diversität von Antisemitismus in der Vergangenheit erweitert habe: Er komme von rechts wie von links, aber auch aus muslimischen Communitys. "Diese Phänomene müssen wir sehr ernst nehmen."

Ist der 27. Januar heute möglicherweise nur noch ein historisches Datum im Geschichtsunterricht?

Elke Gryglewski: Nein. Auf ganz vielen unterschiedlichen Ebenen hat dieses Datum Auswirkungen bis in die Gegenwart, die Zeit des Nationalsozialismus insgesamt. Für die Überlebenden war das Leid oft nicht zu Ende, weil sie erst danach realisierten, dass ihre Familien alle ermordet waren, sie keine Heimat mehr hatten. Diese Traumata des Erlebten gehen bis in die vierte Generation hinein. Das heißt, das Leid ist gewissermaßen tradiert worden. Wir wissen heute, dass auch in den Familien der Täter psychische Folgeerscheinung bis in die vierte Generation gehen. Wir wissen, dass aufgrund unterschiedlicher Erlebnisse ganz viele Ideologien und Gedanken aus dieser Zeit bis heute tradiert worden sind. Es gibt Strukturen, Gesetze und so weiter. Es ist so, dass das Ende des Krieges, die Befreiung der Lager einen ganz klaren Bruch darstellen, wir aber an vielen Stellen darüber nachdenken müssen, wo die Kontinuitäten sind. Gerade wenn wir uns mit der Frage "Was bedeutet diese Zeit für die Gegenwart?" auseinandersetzen wollen.

Wie vergegenwärtigen wir uns überhaupt das, was vor 80 Jahren stattgefunden hat? Die Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden naturgemäß immer weniger. Ihr täglich Brot ist aber die Erinnerungsarbeit. Wie geht das dann noch, wenn wir diese Menschen nicht mehr haben?

Gryglewski: Wir wissen, dass die seltene Möglichkeit, mit Überlebenden zu sprechen, von sehr hohem Wert ist. Gleichzeitig wissen wir auch, dass die meisten jungen Leute diese Gelegenheit schon lange nicht mehr haben. Das heißt, dass wir diejenigen sind, die noch in Kontakt mit Überlebenden waren und dass es vor allen Dingen für uns von großer Bedeutung ist, wenn Menschen sterben, die zu Freunden geworden sind und die letzten Jahrzehnte unsere Arbeit begleitet haben. In die Rolle der Zeitzeugen treten tatsächlich die Gedenkstätten als die Orte, wo es geschehen ist, wo die Nachlässe und die Zeugnisse von Überlebenden gesammelt werden, und wo die Geschichte ausgehend von Orten erzählt werden kann.

Wir sprechen immer von Erinnerungsarbeit. Es ist aber wichtig, sich zu vergegenwärtigen, dass der erste Schritt in diesem "sich Erinnern" erstmal Wissensvermittlung ist, weil ganz viele Menschen inzwischen wenig Kenntnisse zu dieser Geschichte haben. Und um erinnern zu können, um darüber nachdenken zu können, was es für uns bedeutet, welches die Folgen sind und wie wir dieser vielen Opfer gedenken wollen, ist es wichtig, eine Wissensgrundlage zu haben, von der aus wir alle anderen Fragen besprechen können.

Sie haben in den vergangenen Jahren auch viel geforscht über Antisemitismus, Judenhass und Leugnung des Holocaust, der aus einer Ecke der muslimischen Welt kommt. Rechtsnationale sprechen da von einem emigrierten Antisemitismus. Aber ist es nicht in der Tat so, dass viele kulturell anders geprägte Menschen einen tief verankerten Judenhass haben, der sich mit einem rechtsnationalen zusammentut, und der Sie an Gedenkorten möglicherweise vor neue Fragestellungen stellt?

Gryglewski: Es ist richtig, dass wir uns mit der Diversität von antisemitischen Haltungen auseinandersetzen müssen. Sowohl Antisemitismus im Rechtsextremismus als auch Antisemitismus beispielsweise in muslimischen Communitys müssen wir sehr ernst nehmen. Wenn Sie sagen, es gebe eine neue Form von Antisemitismus - da würde ich für die letzten Jahre tendenziell sagen: Wir haben das Problem, dass sich im Moment rechter, muslimisch geprägter und linker Antisemitismus treffen. Die Klammer dessen, von woher die Arbeit von Gedenkstätten infrage gestellt wird, hat sich erheblich ausgeweitet, und wir müssen in ganz unterschiedliche Richtungen argumentieren und begründen, warum unsere Arbeit bleibend bedeutsam ist.

Das Gespräch führte Jürgen Deppe. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 26.01.2025 | 15:00 Uhr

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