VIDEO: Letzter Verkaufstag der täglichen "Mopo" - "WochenMopo" kommt (3 Min)

1949 erobert die "Mopo" den Hamburger Zeitungsmarkt

Stand: 16.09.2024 00:00 Uhr

Die Hamburger Morgenpost, kurz "Mopo", ist Deutschlands älteste Boulevardzeitung. Am 16. September 1949 erscheint die erste Ausgabe. Zur Geschichte des Blatts gehören drohende Insolvenzen und mehrere Eigentümerwechsel.

von Stefanie Grossmann

Erfinder der "Mopo" ist Heinrich Braune. Der Sozialdemokrat bietet als Journalist Adolf Hitler die Stirn und erhält daraufhin 1933 von den Nationalsozialisten Berufsverbot. Er sitzt einige Wochen im Konzentrationslager Fuhlsbüttel und überlebt schwere Misshandlungen. 1948 ist er als stellvertretender Chefredakteur des "Hamburger Echo" tätig, bis er die "Mopo" mit einer Auflage von 6.000 Exemplaren am Morgen des 16. September 1949 im Berliner Format an den Start bringt. Kostenpunkt: zehn Pfennig für sechs Seiten.

Erstausgabe der Hamburger "Mopo" vom 16. September 1949 © Hamburger Morgenpost Archiv
Aufmacher der ersten "Mopo"-Ausgabe: Streit um die Bildung der Adenauer-Regierung und die Abreise des Hamburger Boxers Hein ten Hoff zu einem Kampf nach Düsseldorf.

Die "Mopo" wird im Pressehaus am Speersort geschrieben und gedruckt. Verleger ist der SPD-eigene Verlag Auerdruck. Auf alten Schreibmaschinen aus den Vorkriegsjahren bringen Braune und sein Team die "Mopo" zu Papier. Die Belegschaft arbeitet unermüdlich, bis die alte König und Bauer Druckmaschine um drei Uhr nachts das erste Exemplar auswirft. Der inhaltliche Fokus liegt auf Sensationellem und den neusten Nachrichten aus der Stadt. Braune und seine Kollegen werten dafür Fotos aus, Reporter sind ständig auf der Jagd nach interessanten Geschichten.

"Eine Zeitung, die den Finger in die Wunde legt"

Der "Erregungswert" wird für die "Mopo"-Redakteure zum Kriterium der Nachrichtenauswahl. Die Zeitung unterscheidet sich damit vom so biederen "Hamburger Echo". Deren Leitartikeln gehen über zwei Seiten. Die "Mopo" will eine schnelle Zeitung sein - und eine Zeitung, die ihren Leser jeden Morgen wie einen guten Freund begrüßt.

"Eine unabhängige Zeitung mit leidenschaftlichem, politischem Engagement ohne Scheuklappen, aber immer da mit dem Finger drückend, wo es schmerzt." Heinrich Braune aus "Morgen wird nicht gedruckt. Papier ist alle" von Carsten Gensing (2024)

Wirtschaftswunderjahre - "Mopo" erreicht höchste Auflage

Straßenverkäufer Friedrich Baumann bietet am 15. September 1959 die "Mopo" mit der Schlagzeile "Sowjets haben den Mond getroffen" an. © Archin Hamburger Morgenpost
Der Straßenverkauf ist über Jahrzehnte ein wichtiges Geschäft.

Beobachter zweifeln an dem Erfolg des Blattes, und selbst Braune ist erstaunt, wie gut sein Konzept aufgeht. Die Auflage floriert - innerhalb des ersten Jahres von 6.000 auf 100.000. Ende der 1950er-Jahre liegt die Auflage bei 469.000. Der Höhepunkt. Die "Mopo" profitiert eindeutig von den Wirtschaftswunderjahren.

Als Braune 1990 stirbt, hält Helmut Schmidt die Trauerrede. Er nennt ihn einen genialen Blattmacher, für den Journalismus kein Beruf, sondern eine Lebensaufgabe war. Er sei aber auch jähzornig gewesen und habe einem Kollegen gerne mal eine Schreibmaschine hinterhergeworfen, erzählt der"Mopo"-Podcast "Der Tag an dem die Hamburger Morgenpost zum ersten Mal erschien".

Zu hohe Verluste - 1980 steht die "Mopo" vor dem Aus

"Mopo"-Geschäftsführer Bernd Klosterfelde (re.) und Altkanzler Willy Brandt stoßen 1977 an. Auch Heinrich Braune (2.v.l.) ist dabei. © Hamburger Morgenpost Archiv
Redaktion und Gäste zeigen sich trinkfest: 1977 prosten sich "Mopo"-Geschäftsführer Bernd Klosterfelde (r.) und Altkanzler Willy Brandt zu. Heinrich Braune (2.v.l.) ist auch dabei.

Die goldenen Zeiten der "Mopo" enden Mitte der 1970er-Jahre: 1972 sinkt die Auflage auf 351.000 Exemplare. Das Interesse an parteigebundenen Zeitungen nimmt ab, außerdem hat das linke Blatt im 'Hamburger Abendblatt' eine starke Konkurrenz. Für die einzige Nicht-Springer-Zeitung in Hamburg wird die Krise schließlich zum Dauerzustand: 70 Millionen D-Mark Verlust macht die Zeitung in zehn Jahren. Am 31. Juli 1979 beschließt die SPD die Einstellung der Zeitungsdruckerei, im Dezember erhalten rund 300 Beschäftigte ihre Kündigung. Am 29. Februar 1980 soll die letzte Ausgabe erscheinen.

Schweizer Brüderpaar Greif rettet die "Mopo" vor der Pleite

Der spätere Ministerpräsident Björn Engholm (l.) ist zu Gast in der "Mopo"-Redaktion. Verleger Eduard Greif (r.) freut sich den prominenten Besuch. © Archiv Hamburger Morgenpost
Verleger Eduard Greif (re.) freut sich über prominenten Besuch: Häufig statten SPD-Politiker wie Björn Engholm (li.) dem linksliberalen Blatt einen Besuch ab.

Doch zehn Tage vor dem Aus kauft der Schweizer Geschäftsmann Eduard Greif das defizitäre Blatt. Zusammen mit Bruder Christian gründet er die Morgenpost Druck- und Verlagsgesellschaft. Die "Mopo" ist gerettet. Aber von den 150 Angestellten in Verlag und Redaktion bleibt nur ein Teil angestellt. Am 31. März 1980 ziehen Redaktion und Verlag ins Kaufmannshaus in der Bleichenbrücke. Teure Schweizer Designer-Möbel schmücken die Büros. Doch vom Zeitungsmarkt verstehen die Greifs nichts, sie wirtschaften das linksliberale Blatt weiter in Richtung Abgrund. Aus Kostengründen zieht die "Mopo" 1985 in die alte Sternwollfabrik nach Bahrenfeld.

"Unter den Greif-Brüdern wird die MOPO zum 'größten Zuhälter der Stadt', wie es damals ein links-alternatives Stadtteil-Blättchen anklagend formuliert. Im hinteren Teil der Zeitung etablieren die Verleger eine tägliche Kleinanzeigen-Seite. Unter der Rubrik 'Treffpunkte' bieten Prostituierte ihre Dienste an. Ein florierendes Geschäft. Die Treffpunkt-Anzeigen überleben die Greif-Ära noch um Jahrzehnte." Carsten Gensing: "Morgen wird nicht gedruckt. Papier ist alle" (2024)

Gruner+Jahr holt Wolfgang Clement als Chefredakteur

Wolfgang Clement als Student. 1987 bis Ende 1988 ist er Chefredakteur der "Hamburger Morgenpost". © picture-alliance / dpa Foto: Fotoreport Clement
Wolfgang Clement studiert Jura und volontiert parallel bei der Westfälischen Rundschau. 1987 wird der SPD-Mann Chefredakteur der "Mopo".

Im September 1986 verkaufen die Greifs die Zeitung für fünf Millionen Mark an Gruner+Jahr. Das Unternehmen will durch den Kauf in den Hamburger Zeitungsmarkt einsteigen. Gruner+Jahr setzt das charakteristische Tabloid-Format durch und holt Wolfgang Clement im Januar 1987 als Chefredakteur zur "Mopo". Der SPD-Politiker und gelernte Zeitungsredakteur scheint der richtige Mann für den Job zu sein. Unter Clement schärft die Zeitung ihr linksliberales Profil und positioniert sich gegen rechte Gewalt. Die Auflage steigt wieder, von 135.000 auf 180.000 Stück, und die Zeitung wird dank Clements Beziehungen häufiger zitiert. Doch dann rumort es zwischen dem streitbaren Zeitungsmacher und der Verlagsspitze, sie können sich beim Thema Blattkonzeption und Redaktionsetat nicht einigen. In der Folge verlässt Clement die "Mopo" 1989.

Chefredakteur Döpfner hat keine glückliche Hand

Clements Nachfolger geben sich die Klinke in die Hand. 1996 kommt schließlich Mathias Döpfner. "Als Chefredakteur des kriselnden Blattes war ich vom ersten Tag an eine Fehlbesetzung", gesteht er 2019 im Mediendienst. Döpfner macht die typischen Anfängerfehler, er entlässt einen Großteil der damals agierenden Ressortleiter. Anstatt jedem erst mal ein paar Monate zuzuhören. "Härte aus Unsicherheit", beschreibt er sein damaliges Verhalten. Auch ein neues Layout und längere Geschichten kommen bei der Leserschaft nicht an.

In Döpfners Zeit fällt die Reemtsma-Entführung. Im März 1996 kommunizieren die Entführer mit der Familie und der Polizei verdeckt über Kleinanzeigen in der "Mopo". Ansonsten herrscht Nachrichtensperre - über die Entführung selbst berichten sowohl die "Mopo" als auch andere Medien nicht. Auch Döpfner bleibt nicht lange: 1998 verlässt er die "kleine Zeitung mit großer Seele" in Richtung Springer-Konzern.

Frank Otto und Hans Barlach übernehmen die "Mopo"

Weil der gewünschte Erfolg ausbleibt, steigt Gruner+Jahr 1999 nach 13 Jahren aus dem Abenteuer Boulevard wieder aus: 130 Millionen Mark sind bis dato in der "Mopo" gelandet, und der Auflagenschwund auf dem Boulevardmarkt hält an. "Eine Wirtschaftlichkeit auf Dauer herzustellen, sei aller Wahrscheinlichkeit nicht zu erreichen", sagt Gert Schulte-Hillen, Vorstandsvorsitzender bei Gruner+Jahr, dem NDR 1999. Wegen einer Wirtschaftsflaute und hohen Arbeitslosenzahlen sinken die Marktanteile von Boulevardzeitungen. Der Abwärtstrend ist auch bei "Berliner Zeitung" und "Abendzeitung" zu beobachten.

Die neuen Besitzer des Boulevardblatts Hamburger Morgenpost, Hans Barlach (l.) und Frank Otto am 21.10.1999 in Hamburg. © picture-alliance / dpa Foto: Carsten Rehder
Ungleiches Paar: Die neuen Eigentümer Hans Barlach (l.) und Frank Otto sanieren die "Mopo".

Und so wechselt die "Mopo" kurz nach ihrem 50. Geburtstag wieder den Besitzer: Medienunternehmer Frank Otto und Künstlersohn Hans Barlach übernehmen das Traditionsblatt. Ihr Ziel: mit dem Blatt richtig Geld verdienen. Sie hoffen, dass auf dem schwer umkämpften Hamburger Zeitungsmarkt eine momentane Konsolidierungsphase anhält. Das Hamburger Kultblatt wird gesundgeschrumpft. Die Talfahrt der Auflagenzahl stabilisiert sich im Jahr 2000 auf 125.000 Stück. Erstmals verbucht die Geschäftsführung wieder ein Plus von 1,4 Millionen Mark, nach jahrelangen roten Zahlen. Der Grund dafür ist eine Preiserhöhung. Doch die verantwortlichen Eigentümer setzen zusätzlich den Rotstift an. Inhaltlich bleibt alles beim Alten, doch sie optimieren betriebswirtschaftliche Abläufe. Rationalisierungen bleiben nicht aus, etliche Mitarbeitende müssen gehen.

"Mopo" wird unter David Montgomery zum Renditeobjekt

2004 kauft Barlach Ottos Anteile, die beiden sind zu unterschiedliche Charaktere und verkrachen sich. 2006 übernimmt die BV Deutsche Zeitungsholding, eine Investorengruppe, bestehend aus dem US-Medienfonds VSS und der britischen Mecom, das Blatt von Barlach für 24 Millionen Mark. Geld, das Neu-Eigentümer David Montgomery wieder verdienen will, am liebsten mit einer Rendite von 20 Prozent. Dafür werden Verlag und Redaktion verzahnt. Außerdem soll "der Newsroom näher an das Anzeigengeschäft rücken", schreibt Carsten Gensing in seinem Buch "Morgen wird nicht gedruckt. Papier ist alle".

Das Konzept Profit vor Qualität bedroht die journalistische Freiheit. 2008 erlegt die Mecom der "Mopo" ein Sparprogramm von 4,6 Millionen Euro auf, 16 Arbeitsplätze stehen zur Disposition. Dabei arbeitet die Redaktion schon am Anschlag. Nur ein Jahr später zieht die "Heuschrecke" Montgomery weiter. Neuer Eigentümer wird die Kölner Mediengruppe DuMont. Der Austausch von Inhalten mit dem "Berliner Kurier" und dem "Kölner Anzeiger" sollen Synergien schaffen.

Brandanschlag nach Solidaritätsbekundung mit "Charlie Hebdo"

Die Titelseite der "Hamburger Morgenpost" mit der Schlagzeile "Wir bleiben MOPO!", aufgenommen, am 12.01.2015 in Hamburg. © picture-alliance / dpa Foto: Marcus Brandt
Die "Mopo" bleibt standhaft: Auch ein Brandanschlag 2015 kann nichts an der Haltung des linksliberalen Blattes ändern.

Nach den tödlichen Anschlägen auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 zeigt die "Mopo" Solidarität - als eine von wenigen deutschen Zeitungen druckt sie Mohammed-Karikaturen auf ihrer Titelseite mit der Schlagzeile "So viel Freiheit muss sein!". Wenige Tage danach erschüttert ein islamistischer Brandanschlag auf das Archiv der "Mopo" Führung und Mitarbeitende. Ein Teil des Archivs brennt aus. Die Täter kommen mit Bewährungsstrafen von bis zu zwei Jahren und zur Erbringung von Arbeitsleistungen glimpflich davon.

"Mopo" erscheint nur noch als Wochenausgabe

Die Geschichte der "Mopo" bleibt wechselvoll: 2019 endet der Verkauf der von Lesern geschätzten Spätausgabe in Kneipen und Restaurants. Im Januar 2020 steht die "Mopo" mal wieder vor der Einstellung. Der Plattform mopo.de droht die feindliche Übernahme durch die Funke Gruppe, ein eigenes Team soll Inhalte für den digitalen Auftritt liefern. Zeitung und Redaktion sollen eingestampft werden. Das betrifft 120 Mitarbeitende. Doch die Betriebsrätin Nina Gessner erfährt von den Plänen, sie zettelt einen Aufstand an - und löst eine nie dagewesene Solidaritätswelle mit dem Blatt aus. "'Mopo' muss bleiben!", schreibt Rock-Legende Udo Lindenberg an die Redaktion.

Ein Mann greift nach einer Ausgabe der "Hamburger Wochen-Mopo" in der Auslage eines Kiosks. © picture-alliance / dpa Foto: Marcus Brandt
Großer Einschnitt: Wegen sinkender Auflage erscheint die "Mopo" 2024 nur noch einmal wöchentlich.

Nach Wochen des Protests und bangen Wartens steht fest: Es gibt einen Käufer. Am 6. Februar 2020 erwirbt der Digital-Manager Arist von Harpe die "Mopo". Als Chefredakteur übernimmt Maik Koltermann, er ist bereits der Zwölfte seit 1985. Die Auflage liegt inzwischen unter 20.000. Am 11. April 2024 liegt das Blatt zum letzten Mal als gedruckte Tageszeitung am Kiosk. Seither erscheint die "Mopo" nur noch einmal die Woche am Freitag. Digital gibt es täglich neue News.

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Die letzte gedruckte Ausgabe der "Hamburger Morgenpost" als Tageszeitung liegt in der Auslage eines Kiosks. © picture alliance / dpa Foto: Marcus Brandt

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Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 11.04.2024 | 19:30 Uhr

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