Muskeln: Training produziert heilsame Myokine

Stand: 02.02.2023 15:37 Uhr

Dass Sport gesund ist und sich immer lohnt, wissen wir. Doch aktivierte Muskeln wirken wie ein Medizinschrank im Körper: Sie schicken bei jedem Training sofort und gratis hilfreiche Muskelheilstoffe, sogenannte Myokine.

Bei praktisch jeder Erkrankung setzt man in den Rehakliniken heute auf Sport. Und das zu Recht: Denn Muskeln setzen unter Training ganz besondere Heilkräfte im Körper frei. Sie produzieren dann Botenstoffe, die über die Blutbahnen im Körper verteilt werden. Diese Botenstoffe, Myokine, können im akuten Krankheitsstadium helfen, wirken aber auch vorbeugend gegen Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes oder Osteoporose.

Myokine: Heilende Wirkung aktiver Muskeln

Die dänische Forscherin Bente Pedersen machte 2007 bei einer Studie eine bahnbrechende Entdeckung. Um zu untersuchen, welchen Einfluss Sport auf das Immunsystem hat, nahm sie Probanden nach Trainingseinheiten Blut ab. Darin fand sie erhöhte Mengen einer Substanz namens Interleukin-6. Interleukine selbst kennt man in der Medizin schon lange. Sie helfen bei Entzündungsreaktionen im Körper und werden normalerweise von den Immunzellen produziert.

Beim Interleukin-6 aber war etwas anders: Pedersen und ihr Team fanden heraus, dass Muskelzellen den Stoff herstellen und dann im Körper verteilen. Pedersen gab diesen Stoffen den Namen "Myokine" - abgeleitet von den griechischen Wörtern für "Muskel" und "Bewegung". Seit damals haben Forscher viele solcher Myokine aus Muskeln entdeckt und man schätzt heute, dass insgesamt wahrscheinlich rund 600 solcher Stoffe existieren.

VIDEO: Muskeln: Warum sich das Training immer lohnt (7 Min)

Rheuma und Krebs: Entzündungshemmende Myokine helfen

Myokine wirken an ganz unterschiedlichen Stellen im Körper und erfüllen dort oft gleich mehrere Aufgaben. Interleukin-6 zum Beispiel stimuliert die Bildung neuer Abwehrzellen und wirkt entzündungshemmend. Entzündungen gelten als Förderer vieler chronischer Erkrankungen, darunter auch Rheuma. Interleukin-6 scheint zudem eine positive Rolle bei Krebserkrankungen zu spielen. Forscher haben herausgefunden, dass Interleukin-6 die für den Kampf gegen einen Tumor wichtigen Immunzellen wie ein Lotse ins Tumorgewebe schleust. Und erst wenn die Immunzellen dort angekommen sind, können sie das krank machende Gewebe angreifen.

Neue Forschungsergebnisse: Trainierte Skelettmuskeln schützen das Herz

Ganz neu ist die Entdeckung von Forschern aus Mannheim, Heidelberg und Hannover: Sie entdeckten ein Myokin, das bei einer Herzschwäche offenbar lebensrettend sein kann. Die chronische Herzschwäche ist eine der häufigsten Todesursachen in Deutschland. Besonders gefährdet sind die etwa 20 Prozent der Patienten, die im Zuge der Erkrankung einen signifikanten Abbau von Muskelgewebe erleiden. Die Forscher haben bei ihren Studien den hormonähnlichen Botenstoff Musclin entdeckt, der nicht im Herzmuskel selbst gebildet wird, sondern in den anderen Muskeln des Körpers, den sogenannten Skelettmuskeln. Von dort wird das Musclin über den Blutstrom ans Herz transportiert.

Musclin stärkt die Herzmuskelzellen und verhindert die Ablagerung von Bindegewebe im Herzgewebe. Durch zu viel abgelagertes Bindegewebe im Herz kann es zu einer Fibrose kommen, also einer Verhärtung des Gewebes oder des ganzen Organs. Das Musclin wirkt also doppelt: Bindet es an Herzmuskelzellen, so stärkt es deren Muskelkraft. Bindet es an Bindegewebszellen, so unterbindet es dort eine Fibrose. Da der Botenstoff Musclin beim Sport vermehrt gebildet wird, nimmt man an, dass sportlich trainierte Skelettmuskeln effektiv zur Herzgesundheit beitragen können.

Verbessertes Erinnern, Schutz vor Osteoporose und Demenz

Ein weiteres Myokin, das sogenannte BDNF, überwindet die Blut-Hirn-Schranke und stimuliert im Hippocampus einen bestimmten Wachstumsfaktor. Durch den verbessert sich das Erinnerungs- und Lernvermögen. Möglicherweise schützt eine ausreichende Menge an BDNF so vor Demenz und Depressionen. Andere Myokine stimulieren die Neubildung von Knochen und verbessern deren Stabilität und Dichte. Dadurch können sie Osteroporose vorbeugen.

Experten zum Thema:

Dr. Christian Sturm, Medizinische Hochschule Hannover

Oberarzt
Klinik für Rehabilitationsmedizin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
www.mhh.de/rehabilitationsmedizin

 

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