Drosten im Coronavirus-Update: Vorsicht und Optimismus
Der Virologe Christian Drosten erklärt im Coronavirus-Update von NDR Info, warum die Pandemie noch nicht ganz beendet ist, er aber den Übergang in eine endemische Phase erwartet und welche Faktoren darauf noch Einfluss nehmen könnten.
Der Podcast Coronavirus-Update meldet sich zurück. Nach fast zehn Monaten Pause spricht auch Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Charité, wieder über die derzeitige Lage und den Ausblick in eine Zukunft mit Sars-CoV-2. Mit vorsichtig positiven Aussichten.
Pandemie oder Endemie?
Dabei räumt er auch mit einigen Missverständnissen auf. Er erwarte zwar, dass wir derzeit an der Schwelle zur Endemie stünden. Mit Sicherheit sagen könne man das aber erst im Rückblick. "Ich will keine Ankündigungen machen oder irgendwas für beendet erklären, aber ich kann natürlich sagen, was ich erwarte", sagte er dazu im Podcast. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Was sicher ist, ist dass die Menschen global gesehen seltener und weniger schwer erkranken. Auch hier sehe man die sogenannte weiße Lunge, Anzeichen für besonders schwere Erkrankungen, auf den Intensivstationen wesentlich seltener, sagt der Virologe. Das liegt wohl vor allem daran, dass Omikron-Varianten für weniger schwere Verläufe sorgen.
Auch andere Entwicklungen wiesen darauf hin, dass sich die derzeitige Pandemie in Richtung Endemie bewege, so Drosten. So konnte man gerade zu Anfang sprunghafte Mutationen der Varianten des Virus beobachten, die dann auch zu den dominanten Varianten wurden. Jetzt verlaufe die Entwicklung eher schrittweise. Die jeweils dominanten Varianten sind Weiterentwicklungen der direkt zuvor dominanten. Das spricht für eine endemische Situation.
Bei allen optimistischen Aussichten: Maßnahmen wie Masken könnten noch immer helfen, ältere oder vorerkrankte Menschen auch aus Rücksicht an Orten wie dem öffentlichen Nahverkehr zu schützen. Und sollte sich die Situation wider Erwarten noch einmal verschärfen und es doch mehr und schwerere Fälle geben, könnte das auch wieder in sehr vielen Lebensbereichen notwendig werden.
Die Situation in China
Speziell in China allerdings kann auch noch lange nicht von einer Beruhigung der Lage die Rede sein. Dort gibt es so viele Infektionen wie noch nie seit Ausbruch der Pandemie. Die große Sorge vor derzeit in China kursierenden Varianten teilt Christian Drosten derweil nicht. Denn zumindest derzeit kursieren dort offenbar Varianten, gegen die viele Menschen in anderen Ländern bereits immun sind.
Da sich nun allerdings dort wieder mehr Menschen insgesamt infizieren, könnte das grundsätzlich zu neuen, auch für andere Bevölkerungen gefährlichen, Varianten führen. Denn je mehr sich das Virus verbreitet, umso mehr Möglichkeiten bekommt es auch, durch Mutationen wieder gefährlicher zu werden.
Vorstellen könne man sich das ein wenig wie ein Kinderspiel, bei dem auf einem Brett durch Kippen Murmeln in bestimmte Löcher transportiert werden müssten. "Es ist fast schon alles gesettelt und dann kommt jemand und haut von unten gegen das Spielbrett und ein paar Kugeln fliegen wieder hoch. Dann kann es sein, dass am Ende, wenn diese Kugeln wieder zur Ruhe gekommen sind, sie doch in anderen Löchern liegen", erklärte Drosten. Ob es zukünftig neue, besorgniserregende Varianten geben wird, bleibt also abzuwarten. Nur gebe es derzeit keinen konkreten Anhalt dafür.
XBB.1.5.: Dominante Variante aus den USA
Eine Variante, die derzeit durchaus für viele Diskussionen gesorgt hat, kommt aus einem ganz anderen Erdteil, nämlich den USA. Die Variante XBB.1.5. breitet sich dort aus und wird vermutlich bis Februar die dominante Variante werden. Noch ist sie laut WHO regional eher auf die USA begrenzt, kommt inzwischen aber auch in anderen Ländern vor. Drosten erwartet, dass sie sich auch in Europa ausbreiten wird.
Denn XBB.1.5. kann durch eine vorher schon bekannte Mutation besonders gut den Antikörpern ausweichen, die im Körper die erste Abwehr gegen das Virus leisten. Diese Mutation ging bisher mit einer weniger guten Übertragbarkeit einher. Jetzt ist aber eine zusätzliche Mutation an der entsprechenden Stelle im Genom entstanden, die die Übertragbarkeit des Omikron-Subtyps verbessern kann. So kann es auch bei uns zu einer neuen Welle kommen.
Dass diese Variante sich wahrscheinlich auch bei uns ausbreitet, sei aber erst einmal kein Grund für Alarmstimmung, so Drosten. "Wir müssen aufgrund der Biologie nicht davon ausgehen, dass wir hier jetzt plötzlich wieder eine ganz schwere Krankheit haben, die sich in der Bevölkerung rasend verbreitet, sondern wir haben zunächst mal einen Krankheitserreger. Und das ist ein großer Unterschied", sagt er im Podcast. Denn wie schwer jemand tatsächlich erkrankt, wird nicht nur durch die Antikörper bestimmt, die die erste Virusabwehr leisten, sondern auch durch die im Körper vorhandenen T-Zellen. Und diese sind ein verlässliches Ergebnis von Impfung und früheren Infektionen, sie sind durch die Mutationen des Virus nicht betroffen.
Insgesamt hätten durch Bevölkerungsimmunität inzwischen sehr viele Menschen einen guten Schutz vor schweren Erkrankungen.
Booster lohnt sich - besonders für Alte und Vorerkrankte
Menschen, die sich im Jahr 2022 oder dem noch jungen 2023 nicht mit dem Coronavirus infiziert haben, rät Christian Drosten deshalb auch zum Booster. Das gelte besonders für ältere Menschen oder Menschen mit Vorerkrankungen.
Ob es zukünftig nötig sein wird, sich einmal im Jahr impfen zu lassen, sei noch nicht ganz absehbar. Gerade für ältere Menschen sei ein solches Szenario aber, ähnlich wie bei den jährlich verabreichten Grippeimpfungen, zunächst denkbar: "Weil wir mit dem Impfstoff hier der Immunität der Älteren helfen müssen. Das wollen wir ja. Wir wollen ja Leben retten durch eine Impfung", sagte Drosten.
Deutschland gut durch Pandemie gekommen
Insgesamt sei Deutschland bisher relativ gut durch die Pandemie gekommen, so Virologe Drosten rückblickend, besonders wenn man sich die Gesamtzahlen für die sogenannte Übersterblichkeit ansehe. Vor allem in der ersten Welle sind in Deutschland im Vergleich relativ wenige Menschen verstorben. "Das lag daran, dass wir nicht besonders rabiat, sondern besonders früh begonnen haben mit diesen Maßnahmen", sagte Drosten.
Fehlinformationen zu Impfungen und Forderungen von oft fachfremden Menschen - auch aus der Wissenschaft - hätten aber gerade in Deutschland zu Verwirrung in der Bevölkerung geführt. Auch dadurch sei die Impfquote in Deutschland noch immer nicht so hoch wie in anderen Ländern. Maßnahmen hätten deshalb länger aufrechterhalten werden müssen als in anderen Ländern wie Großbritannien oder Dänemark.
Noch einige Fragen offen
Noch gibt es auch Forschungsbedarf in Sachen Covid. Denn auch wenn die Fälle irgendwann abnehmen werden: Was für langfristige Folgen Sars-CoV-2 anrichtet, ist noch lange nicht klar. Und auch was passieren kann, wenn Varianten des Virus von Tieren zurück auf den Menschen überspringen, wird erst die Zeit zeigen. Christian Drosten sieht hier ein wichtiges Forschungsthema für die Virologie. Zunächst aber bleibt ein vorsichtig optimistischer Blick in die Zukunft.