Eine Frau mit hellen langen Haaren, die bis zu den Oberschenkeln reichen, steht mit dem Rücken zur Kamera vor einem modernen Gebäude - Themenfoto zur Aufführung "Noch wach?" am Thalia Theater © Krafft Angerer
Eine Frau mit hellen langen Haaren, die bis zu den Oberschenkeln reichen, steht mit dem Rücken zur Kamera vor einem modernen Gebäude - Themenfoto zur Aufführung "Noch wach?" am Thalia Theater © Krafft Angerer
Eine Frau mit hellen langen Haaren, die bis zu den Oberschenkeln reichen, steht mit dem Rücken zur Kamera vor einem modernen Gebäude - Themenfoto zur Aufführung "Noch wach?" am Thalia Theater © Krafft Angerer
AUDIO: "Noch wach?"-Regisseur über Roman: "Überraschend und toll" (8 Min)

Stuckrad-Barre: Romaninszenierung "Noch wach?" in Hamburg

Stand: 08.09.2023 10:45 Uhr

Der Theaterregisseur Christopher Rüping bringt Benjamin von Stuckrad-Barres neuen Roman "Noch wach?" auf die Bühne im Hamburger Thalia Theater. Im Interview spricht er über den Inhalt und seine Faszination für die Sprache des Autors.

Im Frühjahr ist der neue Roman von Benjamin Stuckrad-Barre erschienen. Nun bringt das Thalia Theater in Hamburg den Romanstoff auf die Bühne - und zwar gleich zum Saisonauftakt. Inszeniert hat das Stück Christopher Rüping, der am Thalia Theater zuletzt "Brüste und Eier" von Mieko Kawakami auf die Bühne gebracht hat. Im April, kurz vor Erscheinen des Buchs, hat Rüping mit NDR Kultur über seine Arbeit gesprochen. Er kann sich vorstellen, dass es zur Inszenierung "Hymnen geben und dass es massiven Gegenwind geben wird".

 

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Christopher Rüping im Porträt © picture alliance/dpa/Blommers & Schumm
Christopher Rüping findet Benjamin von Stuckrad Barres Roman "'Noch wach?' thematisch eine große Herausforderung". Er hat bereits vor Jahren "Panikherz" des Autoren am Thalia Theater inszeniert.

Christopher Rüping: Ich würde sagen schon. Bei mir ist es schon ein paar Monate her, dass ich es gelesen habe. Ich könnte mir vorstellen, dass jetzt, wo der Titel im Laden verfügbar ist, die Diskussion nicht abebbt. Auch im Zusammenhang mit den Medienmeldungen der letzten Tage, die jetzt gar nicht nur etwas mit Stuckrad-Barre oder seinem Roman zu tun hatten, sondern insgesamt damit, wie es in verschiedenen Medienhäusern im deutschsprachigen Raum gerade so läuft, wird dieser Roman sicherlich für einigen Gesprächs- und Diskussionsstoff sorgen.

Diese Debatte hilft ja dann bestimmt auch Ihrem Stück am Thalia Theater, oder?

Rüping: Wenn man sich mit einem Stoff beschäftigt, der nah an der Realität ist, in der man lebt, dann hat man immer Sorge, dass das Theater mit seinen nicht ganz kurzen Vorlaufzeiten von der Realität überholt wird. Gleichzeitig sind das natürlich Momente, in denen man als Theatermacher immer gut herausgefordert ist, wie man sich zu einem realen oder semi-realen Sujet verhält auf der Bühne, sodass die Qualität der Zeitgenossenschaft und der Einmischung ins Gewebe der Zeit, in der wir gerade leben, erhalten bleibt und man gleichzeitig nicht in so eine leicht veraltete Dokumentartheater-Ästhetik und -Inhaltlichkeit rutscht. Ich würde sagen, diese Debatte ist Segen und Herausforderungen gleichermaßen.

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Was hat Sie denn künstlerisch an dem Roman so überzeugt, dass Sie ihn als Bühnenstück umsetzen wollen?

Rüping: Ich habe von Benjamin von Stuckrad-Barre vor einigen Jahren am Thalia Theater "Panikherz", auch ein Roman von ihm, inszeniert. Der Text hat mich damals wahnsinnig berührt. Gleichzeitig war es für mich die große Frage: Wie wird sich diese Sprache von Stuckrad-Barre, der ja immer schnell, witzig und bissig schreibt, auf der Bühne ereignen? Manchmal liest man tolle Texte, die sich dann auf der Bühne nicht toll anhören. Das gibt es  einfach, weil das verschiedene Medien sind: Zwischen zwei Buchdeckeln und nach dem Ausgehen des Saallichts und vor dem Applaus. 

Bei "Panikherz" habe ich die Erfahrung gemacht, dass das toll funktioniert mit seiner Sprache. Es ist einer der Abende, die ich am Thalia Theater inszeniert habe, die mir am nächsten sind und bei denen ich das Gefühl habe, das Publikum am ehesten erreicht zu haben. Ich hatte die Sehnsucht, einfach weiter mit Texten von ihm zu arbeiten. Deswegen habe ich ihm vor einem halben Jahr eine SMS geschrieben, habe gefragt: Gibt es eigentlich etwas Neues von dir? Darauf hat er mir erst einmal nicht geantwortet. Bis er mich im Januar, also auch gar nicht so lange her, anrief. Ich saß da gerade während einer Vorstellung von "Brüste und Eier" im Thalia Theater in einem Raum neben der Bühne. Dann erzählte er mir von diesem neuen Roman und sagte: Wenn du diese Verschwiegenheitserklärung unterschreibst, dann kann ich dir den Text zukommen lassen. Dann kannst du überprüfen, ob das was für dich ist.

Ich war dann einigermaßen verblüfft, wie sehr sich dieser Text inhaltlich von "Panikherz" unterscheidet, was ja seine persönliche Lebensgeschichte ist. Es hat mich herausgefordert beim Lesen. Es hat mich fasziniert. Ich fand es thematisch einfach eine große Herausforderung. Dass ein Autor wie Stuckrad-Barre sich auf einmal so sehr zu der Welt verhält, während er sich in "Panikherz" so sehr mit sich beschäftigt hat, fand ich extrem überraschend und toll. Und sprachlich war es von der gewohnten Qualität.

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Worum geht es in "Noch wach?" genau? 

Rüping: Eine Erzählerfigur, die namentlich zwar nicht genannt wird, aber dem Autor sehr nahe ist, findet sich zu Beginn der Handlung in dem legendären Hotel Chateau Marmont in Los Angeles wieder. Er ist da in so einer Art selbstgewähltem Exil und fährt ein Programm, das sich zusammenfassen lässt mit: bloß nicht zu viel Realität. Die Erzählerfigur befindet sich also in einer eskapistischen Welt. Dann kommt sie von LA nach Berlin, wo es die ganze Zeit regnet, und lernt dort in einer Selbsthilfegruppe die Protagonistin des Romans kennen. Sie heißt Sophia und arbeitet als junge Journalistin in einem Berliner Fernsehsender, der sich dadurch auszeichnet, dass er sehr krawallig auftritt. 

Die Strategie dieses Fernsehsenders ist Eskalation, hat wenig zu tun mit seriösem Journalismus. Die Erzählerfigur freundet sich mit Sophia an. Sie erzählt ihm von der Arbeit in diesem Sender, für den die Erzählerfigur über mehrere Jahre auch gearbeitet hat. Mit dem dortigen Chef verbindet die Erzählerfigur eine sehr innige und lange Freundschaft. Sofia erzählt, wie die Nummer Zwei im Sender, der Chefredakteur, sie als junge Journalistin ins Haus geholt hat, sie gefördert hat und es dann zu sexuellen Übergriffen kam am Arbeitsplatz. Sie erzählt, was für ein Klima des Machtmissbrauchs und der Angst und der patriarchalen Strukturen dort herrscht. 

Über Sophia kommt die Erzählerfigur in die für sie eigentlich ungewohnte Situation, sich plötzlich mit der Realität zu beschäftigen. Denn er wird zu so einer Art Sprecherfigur all dieser Frauen, die ein ähnliches Schicksal wie Sophia in diesem Fernsehsender erlebt haben. Jetzt zieht er sozusagen gemeinsam mit ihnen in die Schlacht in dem Versuch, diesen schrecklichen Chefredakteur irgendwie zur Verantwortung zu ziehen für sein Verhalten.

Falls es Ihnen möglich ist, die letzte Frage mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten: Wird dieser Roman herausragend besprochen werden?

Rüping: Ich muss leider antworten mit: sowohl als auch. Ich kann mir vorstellen, dass es Hymnen geben wird und dass es massiven Gegenwind geben wird.

Das Gespräch führte Julia Westlake.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal | 19.04.2023 | 16:30 Uhr

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