Niederdeutsche Bühne Kiel feiert 100. Geburtstag nach
Knapp 800 Produktionen in 100 Jahren - und zum Jubiläum kommt nun ein prämiertes Erstlingswerk aus dem eigenen Ensemble auf die Bühne: ein Rückblick auf die Geschichte der Niederdeutschen Bühne Kiel.
"Was die Hamburger können, das müssten wir in Kiel auch zu Wege bringen!" So beginnt die Geschichte der Niederdeutschen Bühne Kiel im Jahr 1920. Inspiriert vom Ohnsorg-Theater veröffentlichte Prof. Dr. Otto Mensing einen Aufruf in den Kieler Nachrichten: Er suche begabte und spielfreudige Damen und Herren. Mensing war zu dem Zeitpunkt Professor für Niederdeutsch an der Kieler Universität und mit dem Zusammenstellen seines Schleswig-Holsteinischen Wörterbuchs beschäftigt. Und nun musste er auch noch aus den 110 Bewerbungen auf seine Anzeige ein Ensemble zusammenstellen. "Aber viele sind berufen und wenige sind auserwählt. Es war ein saures Stück Arbeit, hier das Korn von der Spreu zu sondern", schrieb er später über dieses erste Casting an der NDB Kiel.
Gleich drei Stücke zur Eröffnung 1921
30 Proben später wurde dann am 10. April 1921 die offizielle Gründung der Niederdeutschen Bühne Kiel gefeiert, mit gleich drei Einaktern nacheinander: "Doggerbank", "Cili Cohrs" und "Dat Schattenspeel". Damit habe man die drei Gattungen der dramatischen Kunst pflegen wollen, schrieb Otto Mensing in der Festschrift zum zehnjährigen Bestehen - also das Trauerspiel, das ernste Schauspiel und die Komödie, "die sich hin und wieder auch dem ausgelassenen Schwank nähern durfte". Bis 1931 hatte das Ensemble unter Leitung von Otto Mensing schon 72 Stücke auf die Bühne gebracht, darunter mehrere Uraufführungen. Als Spielstätte diente das Schauspielhaus, sogar in den ersten Kriegsjahren noch. Bis 1944 konnte der Spielbetrieb aufrechterhalten werden, dann wurden alle Theater geschlossen.
Ablenkung nach dem Krieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Kiel zwar größtenteils zerstört, die Niederdeutsche Bühne war aber das erste Theater aller Besatzungszonen, an dem wieder gespielt wurde: Ab August 1945 trat das Ensemble erstmals im "Theater am Wilhelmplatz" auf. Das hatten sich die Darsteller selbst hergerichtet und die Aufführungen waren immer ausverkauft. Dazu sagte Heinz Busch, lange Ensemblemitglied und späterer Bühnenleiter: "Die Menschen von damals wollten sich endlich wieder freuen! Ihr Hunger nach Ablenkung und Unterhaltung war unermesslich." Da war die NDB auch kurzzeitig ein Berufstheater, schon 1949 wurde sie aber als Verein neu gegründet und eingetragen. Und vorerst blieb man auch im Theater am Wilhelmplatz, denn die städtischen Theaterbühnen mussten erst wieder aufgebaut werden.
Wechselnde Spielstätten bringen Veränderungen
Die nächsten Jahrzehnte waren dann maßgeblich von den Spielstätten geprägt: Ende der 1950er ging es für die Niederdeutschen zurück ins Schauspielhaus und das hatte viele Vorteile: Bühnenbilder, Technik, Kostüme, Maske - um nichts musste sich das Ensemble kümmern. Das ermöglichte auch größere Inszenierungen und Fernsehaufzeichnungen für den NDR. Damit war 1995 plötzlich Schluss. Denn das Schauspielhaus sollte umgebaut werden, danach sei kein Platz mehr für die NDB. Also ging es zurück ins Theater am Wilhelmplatz, wo man ja schon nach dem Krieg gespielt hatte. Das musste nun allerdings aufwendig saniert werden, jahrelang bauten die Bühnenmitglieder immer weiter um.
Modernere Stücke im eigenen Haus
An diese Zeit erinnert sich auch Anne Rohde noch gut. Sie ist schon seit mehr als 50 Jahren Mitglied im Ensemble und mit dem Umzug änderten sich nicht nur die Abläufe hinter den Kulissen: "Dor sind wi ok anfungen, modernere Stücke mit in’n Speelplan optonehmen. Un dat hett sik utbetahlt, kann ik nich anners seggen", blickt sie heute auf den Wandel im Spielplan zurück. Adaptionen von Kinofilmen wie "Honnig in’n Kopp", Revuestücke wie "Tussipark" oder sehr ernste Inszenierungen wie "Twiefel", in der es um Missbrauch geht: alles findet ein Publikum. Und alles wird von Ehrenamtlichen im eigenen Theater gestemmt.
Prämiertes Erstlingswerk "Dörtig" zum Jubiläum
Und nun wird das 100-jährige Jubiläum gefeiert. Wegen der Pandemie zwar mit einem Jahr Verspätung, dafür mit einem wahren Highlight als Jubiläumsstück: "Dörtig" wurde im vergangenen Sommer mit dem Konrad-Hansen-Preis für neue niederdeutsche Theaterstücke ausgezeichnet - und Autorin Sofie Köhler kommt aus den eigenen Reihen. Die 31-Jährige ist seit sieben Jahren Teil des Ensembles und "Dörtig" ist ihr Erstlingswerk. "Ich bin ganz aufgeregt! Es ist Wahnsinn! Dass das überhaupt zustande gekommen ist, das ist für mich noch nicht ganz zu begreifen", sagt die Wahl-Kielerin zu ihrem Erfolg.
Texte geschrieben habe sie zwar schon oft, erzählt sie. Aber immer nur für sich. Dann entdeckte sie die Ausschreibung für den Preis. "Und ich dachte, Versuch macht klug und ich hab ja nichts zu verlieren. Also bin ich mal mutig gewesen!", sagt die junge Frau lachend.
Ein Stück, das alle Generationen anspricht
In ihrem Stück geht es um Marie, die am Morgen ihres 30. Geburtstags unerwartet nicht nur mit ihren Eltern und ihrer Oma konfrontiert wird, sondern auch mit deren Ansichten, wie das Leben mit 30 aussehen sollte. Sehr lebensnah und unaufgeregt erzählt und mit feinem, nicht zu übertriebenem Humor. Das kommt an - nicht nur in Kiel: Die Welturaufführung von "Dörtig" wurde in Freiburg gefeiert, auf Alemannisch. "Aver wi hebbt hier de plattdüütsche Uropföhren", freut sich Bühnenleiter Ulli Thode - auch, weil sich jeder in dem Stück wiedererkennen könne, unabhängig der Generation. "Dörch Sofie hett uns Bühn wiest, dat wi jung sind, dat wi in de Tiet passt un dat man sik hier entfalten kann", sagt er stolz. Außerdem sei das genau das richtige Signal für die Zukunft der Niederdeutschen Bühne Kiel.