Mit Behinderung auf der Bühne: Wie inklusiv sind Hochschulen?
Viele Menschen träumen davon, als Schauspieler oder Musikerin bejubelt zu werden. Doch Menschen mit Behinderung sind eher selten auf den großen norddeutschen Bühnen zu sehen. Woran liegt das - und wie kann man es ändern?
Wie schwierig der Traum einer Schauspielkarriere zu verwirklichen ist, zeigt sich am Beispiel von Amelie Gerdes. Die 19-Jährige aus Bremen hat Trisomie 21 und ein großes Ziel vor Augen: "Irgendwann möchte ich mal ganz oben stehen und im Fernsehen zu sehen sein, wie die ganzen anderen Schauspieler. Dann habe ich immer weiter gemacht und immer weiter gemacht", berichtet Amelie Gerdes über ihren Traum und den Beginn ihrer Karriere.
Amelie studiert "Tanz und Theater im Sozialen"
Die Hartnäckigkeit hat sich ausgezahlt: Seit einem Jahr studiert Amelie "Tanz und Theater im Sozialen" an der Hochschule für Künste im Sozialen in Ottersberg. Mutter und Tochter haben sich im Vorfeld auch die Anforderungen von renommierten Schauspielschulen angesehen. Schnell wurde ihnen klar: "Das ist für jemanden wie Amelie gar nicht zu schaffen. Wenn da steht: Bitte bereiten sie einen klassischen Text vor, dann ist das nicht zu bewältigen für Menschen mit Lernschwierigkeiten", sagt Amelies Mutter.
Stage Perform und Stage School bilden Menschen mit Behinderung aus
Der NDR hat acht Schauspielschulen in Bremen, Hamburg und Hannover angefragt, ob sich Schüler*innen mit Behinderungen bei ihnen beworben haben. Fünf haben sich schriftlich zurückgemeldet. Die Musical- und Theaterschule für Kinder und Jugendliche Stage Perform in Hannover und die private Musicalschule Stage School in Hamburg würden nach eigenen Angaben momentan Menschen mit Behinderung ausbilden.
Auch an der Hochschule für Musik und Theater Hannover ist dies möglich. Die Hochschule für Musik und Theater in Hamburg hingegen räumt ein, dass die Aufnahmeprüfungen bisher für die besonderen Bedürfnisse von Studierenden mit Behinderung nicht ausreichend ausgestaltet seien, man biete aber die Teilnahme an Workshops an.
Amelie Gerdes: Bei Casting für ARD-Produktion entdeckt
Amelie Gerdes wurde bei einem Casting für eine ARD-Produktion entdeckt. Sie bekam die Hauptrolle. Damit ihre Tochter professionell an einem Filmset spielen kann, müsse der Rahmen der Produktion stimmen, erklärt Elke Gerdes: "Amelie könnte zum Beispiel nicht alleine zu einem Casting nach München fahren. Oder sich während einer Drehpause ein Café suchen und dann hoffentlich zuverlässig zum Set zurückkommen. Das funktioniert so nicht." Hier müssten sich die Strukturen in der Branche ändern, findet Amelies Mutter.
Der Weg von Amelie Gerdes ist allerdings eine Ausnahme. Die meisten Menschen mit Behinderung trauten sich die Bewerbung an einer Schauspielschule entweder gar nicht zu oder fänden keine Angebote, stellt Barbara Weste vom Blaumaier Atelier in Bremen fest: "Es gibt einfach recht wenig. Es gibt jetzt Art Plus, da macht man Versuche eine Ausbildung zu machen, die sind im ersten Jahrgang. Aber als Aladdin anfing, da gab es das noch gar nicht."
Blaumaier Atelier: Theater von Menschen mit und ohne Behinderung
Das Blaumaier Atelier bringt Menschen mit und ohne Behinderung zusammen auf die Bühne. Aladdin Detlefsen hat Trisomie 21 und dort vor 20 Jahren sein Schauspieldebüt gegeben. Nun hat er den Durchbruch geschafft: Er spielt die Hauptrolle des Buschi im Kinofilm "Der Frosch und das Wasser": "Ich habe eine Hauptrolle und ich muss einen Bruder spielen und dann muss ich mal nichts sprechen, wie toll!", freut sich Aladdin Detlefsen.
Barbara Weste freut sich über Detlefsens Erfolg, merkt aber auch an, dass diese Produktion extra nach einem Menschen mit Behinderung gecastet hat: "In diesem Fall denkt die Filmgesellschaft tatsächlich ganz viel mit. Wenn wir die Szenen proben, brauchen wir vielleicht auch ein bisschen länger und das wird ganz häufig gar nicht berücksichtigt", erzählt Barbara Weste über ihre Dreherfahrungen mit behinderten Menschen.
Bitte lächeln: Inklusive Band aus Hamburg
Einen ganz offensiven Weg ist der Hamburger Produzent und Musiker Mirko Frank gegangen. Vor 15 Jahren hat er die Band Bitte lächeln gegründet - mit vier nicht behinderten und drei behinderten Musikern. Manche Vorurteile hielten sich hartnäckig, erzählt Frank: "Nach dem Auftritt kommen oft Menschen zu mir und sprechen mich darauf an, ob ich Heilpädagoge oder Musikpädagoge bin. Aber das stimmt nicht, ich bin in erster Linie Musiker. Wenn ich das nicht aus eigenem Antrieb machen würde, dann gäbe es das Projekt gar nicht", stellt Mirko Frank fest.
Wer die Band Bitte lächeln einmal live sehen möchte: Am 3. Juni rocken sie im Kulturzentrum MOTTE in Hamburg die Bühne. Mit ihm Gepäck ihr neues Album "Aufbruchstimmung".