Kritik an der Wegwerfgesellschaft: "Manon Lescaut"-Premiere in Kiel
Große Oper um Liebe, Verrat und Leidenschaft: Am 22. April feierte am Theater Kiel "Manon Lescaut" von Giacomo Puccini Premiere. Die Inszenierung - ganz in Rosa - stellt Kommerz und Konsum infrage. Alles dreht sich um Manon, die nicht nur Liebe, sondern auch Geld im Kopf hat.
Pretty in Pink: Unmengen rosafarbene Geschenkschachteln stapeln sich auf der Bühne in allen Größen und Formaten. Rosa sei keine Mädchenfarbe, dementiert Bühnen- und Kostümbildnerin Bettina John jeden Klischeeverdacht: "Es wird ja auch viel in der Verpackung verwendet, in der Werbung. Jetzt auch gerade wieder dieses Hot Pink zum Beispiel. Aber wir haben auch Altrosa oder ganz, ganz helles Rosa."
Rosa in all seinen Facetten
Die Sopranistin Agnieszka Hauzer trägt als Manon ein lachsrosa Kostüm mit schwingendem Rock und kurzem Jäckchen, ein Ballkleid in leuchtendem Pink oder einen altrosa Reifrock im Rokokostil. Darin fühle sie sich wunderbar, sagt sie. "Das ist nicht nur Rosa, wir haben ganz viele Töne von Rosa mit Fuchsien- und Dunkelrosa, Hellrosa, Puderrosa, Intensivrosa, ein bisschen Violett, also da sind alle möglichen Rosa-Facetten", so die Sängerin.
Kritik am Kommerz
Manon Lescaut, ihr Geliebter Des Grieux, sein Rivale Geronte, der gesamte Chor, alle sind im passenden Ton gekleidet. Haarbürste, Spiegel, Stühle, Schuhe und Hut, jedes Accessoire ist farblich abgestimmt. Es ist eine deutliche Anspielung, erklärt Bettina John: "Es geht ein bisschen um Kommerz und Handel, um die Wegwerfgesellschaft. Und damit meinen wir nicht nur Verpackungen und Produkte, sondern auch Menschen und Werte." Den attraktiven jungen Des Grieux, in hübscher Verpackung und mit einer Stimme zum Verlieben, tauscht die schöne Manon gegen den Steuerpächter Geronte. Er ist alt aber reich. Allerdings spielt das Herz bei dem Handel nicht ganz mit. Denn um diese Dinge geht es natürlich auch, um Liebe und Beziehung. Manon stehe in einem Zwiespalt, sagt Bettina John, zwischen der Liebe und "dem Herzen folgen" - oder Geld zu haben. Für Bettina John ist das eine ganz praktische Frage des Überlebens. Liebt Manon Des Grieux wirklich? Bettina John: "Ja. Würde ich schon sagen."
Entscheidung zwischen Liebe und Juwelen
Liebende oder Flittchen, auch die Sängerin Agnieszka Hauzer hält beides für möglich: "Manon Lescaut ist alles davon. Sie möchte alles. Sie ist nicht zufrieden mit ein bisschen. Am Anfang ist sie unglücklich mit Des Grieux, weil sie nur Liebe hat. Und später ist sie unglücklich mit Geronte, weil sie keine Liebe hat. Dafür hat sie alles andere. Aber das macht sie auch nicht glücklich." Also: Flucht mit dem Geliebten, doch die Juwelen müssen mit. Diese Rechnung geht nicht auf und führt endgültig ins Unglück. Zu spät erkennt Manon, dass nur die Liebe und ihre Leidenschaft zählen, so versteht es Agnieszka Hauzer. Die schönste Stelle ist für sie: "Kurz vor ihrem Tod, wenn sie Des Grieux sagt, dass er nicht weinen soll, weil das jetzt keine Zeit zum Weinen ist - nur zum Küssen."
Schwelgen in großartiger Musik und großen Gefühlen
Genau darum gehe es in einer Puccini-Oper, sagt Generalmusikdirektor Benjamin Reiners, um die ganz, ganz großen Gefühle. "Jeder Romantiker, jeder leidenschaftliche Mensch kommt da richtig auf seine Kosten." Die Musik ergreift Partei für die Liebenden und ohne die tragischen Momente wäre sie nicht so schön. "Gerade auch in den großen Gefühlsausbrüchen, wenn es wirklich darum geht, die Liebe zu verhandeln. Wir bleiben irgendwann ganz in der puren Gefühlswelt." Was auch daran liegt, dass der baskische Tenor Andeka Gorrotxategi den Des Grieux einfach unwiderstehlich gibt, und die Bühnenwelt, deren Rosa schließlich verblasst, gut anzusehen ist.