"Fleisch" am Schauspielhaus: Spiel mit der Ungewissheit
Maxine konfrontiert Ronan, sie vor zehn Jahren zum Sex gezwungen haben - doch der kann sich nicht erinnern. Das Stück "Fleisch" am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg spielt mit der Ungewissheit.
"Es ist nicht wahr, das würde ich nie tun"
"Du streitest es also ab?"
Dialog aus "Fleisch"
Wie erbärmlich: Er kann sich nicht erinnern - mal wieder typisch. Der Mann hat vor zehn Jahren seine Freundin zum Sex gezwungen und jetzt konfrontiert sie ihn damit.
Ronan, ist Chef eines angesagten Restaurants mit dem pikanten Namen "'Fleisch". Hier sind Veganer, Frutarier, Vegetarier ausdrücklich unerwünscht. Die Restaurant-gewordene politische Unkorrektheit.
"Willst du mir erzählen, dass es nicht passiert ist, dass ich mir das ausdenke?"
"Nein, egal, was ich jetzt sage, es ist doch eh falsch."
Dialog aus "Fleisch"
Die Konfrontation
Matti Krause spielt Ronan im lachsfarbenen Hausanzug - Glatzkopf, Schnurrbart, weiße Edel-Sneaker. Ein eitler Hipster. Und schon zweifelt man: So einer soll seine Freundin vergewaltigt haben? Niemals.
Maxine, steht in dem Restaurant wie ein Fremdkörper - etwas bieder gekleidet, scheuer Blick. Eva Maria Nikolaus gibt ihr glaubhaft nervöse Präsenz. Garantiert will sie nicht länger als eine Minute bleiben.
"Du hast keine Ahnung, wie schwer das für mich ist, hier zu stehen in deinem Space, in deinem Territorium und dir das alles zu erzählen"
"Die meisten Frauen konfrontieren die Täter nie."
"Täter?"
Dialog aus "Fleisch"
Die angesagte Bloggerin will ihrem Ex sagen, dass sie seinen Übergriff in ihrem ersten Roman erwähnen wird. Das wäre das Aus des Restaurants.
Das Rangfoyer als Fresstempel
Das Rangfoyer mit seinen geschwungenen Wänden hat sich in einen pompösen Fresstempel mit Marmoroptik verwandelt. Ein riesiger Tisch könnte direkt aus Putins Tischsammlung stammen. Das Essen wird als knallbunter Wackelpudding schön eklig dargestellt.
Jo (Ruth Marie Kröger) ist die Herrscherin in diesem Reich. Sie ist die Geschäftspartnerin von Ronan und die entscheidende Dritte im Spiel: Zeugin und Zündkapsel. "Scheiße, die werden den Laden dicht machen", schreit Jo. "Die dritte Person war sehr intensiv, in den kurzen Episoden, in denen sie ihre Innenwelt dargestellt hat, da fand ich sie sehr mitreißend", sagt eine Zuschauerin nach dem Stück.
Wer sagt die Wahrheit?
Da wechseln plötzlich die Fronten. Ronan erinnert sich doch noch an die Partynacht. Damals als er 19 war, aber er erinnert sich anders:
"Du hast mich geküsst, du hast meine Hose aufgemacht, wie hätte ich wissen sollen, dass ich aufhören soll?" Zitat von Ronan aus "Fleisch"
Ein Dilemma. "Voll von verschiedenen Emotionen, ich hatte den Eindruck, ich kann mich in beide Positionen abwechselnd reinfühlen", sagt eine Zuschauerin. "Am Anfang ist es so, dass das unaussprechlich ist, die Personen können das nicht benennen. Das gelingt zum Ende hin mehr, das zu integrieren, aus Schwarz und Weiß ein Grau zu machen.", ergänzt ein Mann.
Die sprachgenaue Inszenierung von Julia Redder erzeugt ein Dauer-Unbehagen. Das Stück springt dabei klug zwischen den Zeiten, zoomt fast filmisch vor und wieder zurück. Was einem in die Magengrube fährt, ist die Wahrheit: Kein Mensch darf einem anderen etwas aufzwingen. Basta. Was aber diesen dichten und hellwach gespielten Abend so stark macht: Wir wissen nicht, wer recht hat. So geht gutes Theater: Es verunsichert - es bestätigt einen nicht.
"Fleisch" am Schauspielhaus: Spiel mit der Ungewissheit
Im Stück am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg konfrontiert Maxine ihren Ex-Freund Ronan, sie einmal zum Sex gezwungen zu haben - doch der kann sich nicht erinnern.
- Art:
- Bühne
- Datum:
- Ende:
- Ort:
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Deutsches Schauspielhaus, Rangfoyer
Kirchenallee 39
20099 Hamburg - Telefon:
- 040 248713