Befreiung des KZ Auschwitz: Erinnern am Holocaust-Gedenktag
Am 27. Januar 1945 haben Soldaten der Roten Armee die Konzentrationslager von Auschwitz befreit. Mehr als eine Million Menschen hatten die Nazis dort ermordet. Als Tag der Befreiung ist der 27. Januar mittlerweile bundesweiter Holocaust-Gedenktag.
Anfang 1945 kämpfen sich Soldaten der 60. Armee der 1. Ukrainischen Front der UdSSR durch das von Nazi-Deutschland besetzte Polen Richtung Westen vor. Die Sowjets hatten mit mehr Widerstand gerechnet, als sie am 27. Januar die Gegend um Auschwitz (Oświęcim) erreichen, mit den riesigen von den Deutschen errichteten KZ- und Industrieanlagen. Doch die meisten Deutschen sind geflohen. Sie hinterlassen viele gesprengte Gebäude - und kilometerlange kaum überwindbare Stacheldraht- und Elektrozäune. "Dahinter standen Hunderte Menschen und schauten auf unsere Soldaten. Sie hatten Angst in den Augen, sie wussten nicht, dass es sowjetische Soldaten waren, dass es Befreier waren." Der russische Kameramann Alexander Woronzow war bei der Befreiung der Arbeits- und Vernichtungslager von Auschwitz dabei. "Was ich dort gesehen und gefilmt habe, war das Schrecklichste, was ich während des Krieges je gesehen und aufgenommen habe", berichtet Woronzow Jahrzehnte später.
Mindestens 1,1 Millionen Tote in Auschwitz
Die Sowjets merken bald, dass sich in Auschwitz Grauenhaftes abgespielt haben muss. Sie finden in den Lagern immer mehr Leichen: Verhungerte, Erschossene, Erschlagene - insgesamt etwa 600 Tote. Doch diese Zahl steht in keinem Verhältnis zur Gesamtzahl der Opfer, wie später klar wird.
Denn von 1940 bis 1945 sterben mindestens 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz. Die meisten der Opfer sind Juden, die die Deutschen gleich nach ihrer Ankunft mit Giftgas ermorden und ihre Leichen verbrennen lassen. Andere Insassen des Konzentrationslagers werden zu Tode gefoltert, viele müssen arbeiten, bis sie vor Entkräftung und Hunger sterben. Auschwitz ist die größte "Todesfabrik" der Nationalsozialisten. Und einer der Orte, wo sie die "Endlösung der Judenfrage" betreiben - durch systematischen Völkermord.
Die Befreiung - festgehalten im Film
Alexander Woronzow und seine Kameraden drehen die Befreiung von Auschwitz zunächst vom Flugzeug aus, beim Überfliegen der Lager. Denn es gibt noch vereinzelte Kampfhandlungen in der Region, bei denen etwa 230 sowjetische Soldaten ums Leben kommen. Dann entstehen Bilder unmittelbar nach dem Einmarsch der Roten Armee, Aufnahmen von befreiten Häftlingen, ermordeten Opfern und Beweisstücken der Taten der Nazis in Auschwitz. So finden die Sowjets dort unter anderem Zehntausende Paar Schuhe, Hunderttausende Kleider und Anzüge sowie mehr als sieben Tonnen Menschenhaare. Die Filmaufnahmen der russische Armee sind bis heute erhalten und in dem deutschen Dokumentarfilm "Die Befreiung von Auschwitz" von 1985 zu sehen, der später noch einmal mit jüngeren Forschungsergebnissen überarbeitet wurde. In der Doku wird auch Woronzow interviewt.
Viele Holocaust-Überlebende sahen aus wie Skelette
"Unseren Augen bot sich ein schreckliches Bild: eine riesige Anzahl von Baracken - viele ohne Dächer - auf Pritschen lagen Menschen, Skelette schon, mit Haut überzogen und abwesendem Blick. Es war schwer, sie ins Leben zurückzuholen", erinnert sich Woronzow. Die Deutschen hatten angesichts der erwartbaren Niederlage gegen die vordringenden Sowjets in einer einzigen Nacht noch 10.000 Häftlinge ermordet und Gaskammern und andere Beweise ihrer Taten zerstört. Sie zwangen Zehntausende Gefangene zu "Todesmärschen" Richtung Westen, um sie in andere Konzentrationslager zu verlegen - zum Beispiel nach Bergen-Belsen. Zurück ließ die SS vor allem solche Häftlinge, von denen man annahm, dass sie ohnehin bald sterben würden. Als die Soldaten der Roten Armee die Auschwitz-Lager erreichen, sind viele der etwa 7.500 dort verbliebenen Häftlinge in einem lebensbedrohlichen Zustand.
Auschwitz: Vom Arbeitslager zur "Endlösung"
Der Befehl, ein ehemaliges Kasernengelände in Oświęcim zum KZ umzubauen, war am 27. April 1940 von Heinrich Himmler gekommen. Der SS-Chef war in Hitlers Reich zuständig für die rasch wachsende Zahl der KZ. Die Kommandantur in Auschwitz übernimmt damals der 39-jährige SS-Hauptsturmführer Rudolf Höß. Ursprünglich ist Auschwitz als Arbeitslager für politische Gefangene aus Polen gedacht. Doch im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wird es zum Sammel- und Tötungslager für Kriegsgefangene aus Russland, zum Industriestandort mit angegliederter Sklavenhaltung. Und zum "Vernichtungslager".
"Kapos": Kriminelle aus Deutschland als Aufseher
Zu Beginn seiner Errichtung ist das Lager "lediglich" für bis zu 10.000 Häftlinge geplant. Erbauen und erweitern müssen es die ersten Inhaftierten selbst: von den Nazis verschleppte Polen, die angeblich für den Widerstand arbeiten. Die Haft- und Arbeitsbedingungen sind von Anfang an unmenschlich. Von den 20.000 Menschen, die in der ersten Phase im Lager eingesperrt werden, sind nach knapp zwei Jahren mehr als die Hälfte tot. Doch manchmal werden damals noch Häftlinge wieder in die Freiheit entlassen.
Die ersten Gefangenen, die Mitte 1940 in Auschwitz ankommen, sind allerdings Kriminelle aus dem KZ Sachsenhausen in Deutschland. Sie dienen als sogenannte Kapos. Das sind KZ-Aufseher, die die SS immer wieder aus den Reihen der Gefangenen aussucht. Sie sollen "Ordnung" schaffen und erhalten dafür Vergünstigungen. Viele Kapos drangsalieren ihre Mithäftlinge mit äußerster Brutalität.
Das "System" KZ
Lagerkommandant Rudolf Höß hatte als SS-Offizier bereits KZ-Erfahrungen in Dachau und Sachsenhausen gesammelt. Auschwitz "funktioniert" anfangs ähnlich: Die Gefangenen sind ständigem Terror ausgesetzt. Sie wissen oft nicht, warum sie inhaftiert sind, wie lange sie bleiben müssen, ob sie je wieder heraus dürfen. Sie sind zusammengepfercht, müssen härteste Arbeit verrichten, bekommen zu wenig Nahrung. Und sie sind der Willkür ihrer Wärter ausgesetzt.
Es gibt in Auschwitz ein eigenes Gebäude für Strafaktionen, Verhöre und Exekutionen - Block 11. Gefangene werden dort auf brutalste Art gefoltert, um ihnen "Geständnisse" abzupressen. Auch Todesurteile durch Verhungern werden vollstreckt, einen Häftling zu erschießen gilt als milde.
Erster Giftgas-Einsatz im September 1941
Mit dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion im Juni 1941 ändert sich die Struktur des Konzentrationslagers erheblich. Die Nazis verschleppen sowjetische Kriegsgefangene, von denen es heißt, sie würden sich politisch betätigen, nach Auschwitz. Die neuen Häftlinge werden so brutal misshandelt und schlecht versorgt, dass viele von ihnen bald sterben. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten SS-Leute und Kapos zwar bereits viele Gefangene ermordet und exekutiert. Doch nun beginnt eine planmäßige und massenhafte Tötung der Insassen. Im September 1941 verwenden die Nazis dabei erstmals das Giftgas Zyklon B, ein Mittel zur Ungeziefervernichtung.
Die industrielle "Verwertung" der Häftlinge
Das Lager Auschwitz entwickelt sich viel größer als geplant. Ende 1940 hatte das Unternehmen IG Farben, damals der größte Chemiekonzern der Welt, den Bau eines neuen Werks für synthetisches Benzin und Gummi beschlossen - in Auschwitz. Denn dort gibt es gute Bahn-Anbindungen, Rohstoffe - und massenhaft günstige Arbeitskräfte: Die NS-Führung verspricht dem Unternehmen Zwangsarbeiter. Der Bau des Nebenlagers Monowitz für die IG Farben beginnt 1941. Insgesamt entstehen in der Region 47 Auschwitz-Nebenlager und Außenkommandos, um Bergwerke, Industrieanlagen und landwirtschaftliche Betriebe mit Arbeitssklaven zu versorgen.
Ausgebeutet wird nicht nur die Arbeitskraft der Deportierten: Jeglicher Besitz, ihre Kleidungsstücke, selbst Körperprothesen, Goldzähne und Haare "verwerten" die Nazis. Und wie in anderen deutschen KZ finden auch in Auschwitz gezielt medizinische Versuche mit Insassen statt. Besonders berüchtigt - der Arzt Josef Mengele. Er tötet bei seinen Experimenten zahlreiche Menschen. Mengele infiziert Kinder mit tödlichen Krankheiten, amputiert Gefangenen Glieder, schneidet Organe aus ihren Körpern oder lässt sie per Giftspritze ermorden, wenn seine Zwecke es "erfordern".
Birkenau: Von der "Juden-Rampe" in den Tod
Im Herbst 1941 entsteht das Außenlager Birkenau. Es wird das größte des Gesamtkomplexes Auschwitz - und bald auch das größte aller Vernichtungslager der Nazis. Nach Birkenau bringen sie die Juden, die sie aus Europa "austilgen" wollen. Im Frühjahr 1942 entsteht die erste Gaskammer, das "rote Häuschen", an einer abgelegenen Stelle des Lagers. Die anderen Häftlinge sollen die Todesschreie nicht hören. Später sind mehrere Gaskammern und Krematorien gleichzeitig in Betrieb, täglich rollen mehrere Züge voller Menschen ein. Viele Neuankömmlinge in Birkenau werden direkt von der "Judenrampe", wie die Nazis den Bahnsteig nennen, in die Gaskammern geführt. Es sind vor allem Frauen und Kinder und alte oder schwache Männer, die sich aus Sicht der SS nicht als Arbeitssklaven eignen.
Etwa eine Million Juden sterben bis 1945 in den Lagern von Auschwitz. Ihren Höhepunkt erreicht die Mordmaschinerie 1944, als die bevorstehende deutsche Kriegsniederlage der Nazi-Führung längst bewusst ist. Innerhalb von zwei Monaten werden mehr als 400.000 Juden aus Ungarn nach Auschwitz verschleppt.
Grausame Rache für Ausbruchsversuche
Im Lager gibt es immer wieder Ausbruchsversuche. Doch nur wenige gelingen - die besten Flucht-Chancen haben Häftlinge, die in Außenkommandos arbeiten. Die Nazis nehmen dafür grausame Rache. Sie lassen Familienmitglieder und Freunde der Ausbrecher hinrichten oder töten wahllos andere Insassen als Abschreckung. Viele Gefangene werfen sich aus Verzweiflung über ihre Lage gegen die mit Starkstrom tödlich geladenen Zäune des KZ.
Soweit bekannt, gibt es nur einen einzigen bewaffneten Aufstand in Auschwitz: Im Oktober 1944 gehen einige Dutzend Gefangene auf ihre SS-Bewacher los. Mit selbst gebauten Granaten versuchen sie, die Krematoriumsgebäude zu zerstören. Doch nach einigen Stunden schlagen SS-Einheiten die monatelang vorbereitete Aktion nieder. 451 Häftlinge werden sofort hingerichtet. In den Wochen darauf beginnt der Rückzug der Nazis aus Auschwitz. Sie wollen dem Feind nur "verbrannte Erde" hinterlassen.
Nach der Befreiung: 4.500 medizinische Notfälle
Kurz nach dem Einmarsch der Roten Armee im Januar '45 erreicht eine russische Sonderkommission das Lager, um die Geschehnisse in Auschwitz zu untersuchen. Sowjetische Ärzte und Krankenschwestern treffen ein, um die Überlebenden zu versorgen, auch polnische Freiwillige aus dem Umland und das polnische Rote Kreuz helfen. Etwa 4.500 Menschen müssen medizinisch behandelt werden, die meisten sind bettlägerig, viele fast verhungert. Unter den Patienten sind etwa 400 Kinder und Jugendliche.
Die Filmleute halten in bedrückenden Bildern fest, wie die Sonderkommission die Schicksale der auf schrecklichste Art misshandelten Menschen dokumentiert. Für 222 von ihnen kommt die Rettung zu spät: Sie sterben noch im Lager an den Folgen von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen.
Aufnahmen als Beweismittel in Nürnberger Prozessen
Die Arbeit der russischen Filmcrew ist angesichts der chaotischen Zustände im Lager schwierig. Anfangs haben sie nicht einmal Lampen für ihre Aufnahmen. Manche Filmsequenzen - wie auch Fotos, die im Zuge der Auschwitz-Befreiung entstehen - sind nicht authentisch, sondern werden später nachgestellt, zum Beispiel die Öffnung der Tore von Auschwitz mit jubelnden Gefangenen: In Wahrheit sind die meisten Insassen am 27. Januar viel zu geschwächt, um sich ihren Befreiern in die Arme zu werfen, so wie es später gefilmt wird. Andere von Woronzows Aufnahmen können dagegen später bei den Nürnberger Prozessen als Beweismittel gegen NS-Kriegsverbrecher eingesetzt werden. Und sind heute Bestandteil von Museum und KZ-Gedenkstätte Auschwitz.
Wie die überlebenden Insassen wird auch Kamermann Woronzow das in Auschwitz Erlebte nie wieder los: "Über diese Erinnerungen hat die Zeit keine Macht. Sie hat aus meinem Gedächtnis all die Gräuel, die ich gesehen und aufgenommen habe, nicht verdrängt."
Tag der Befreiung am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag
Auschwitz als größtes deutsches Konzentrations- und Vernichtungslager ist zum Symbol für den Holocaust geworden. Der Tag der Befreiung durch die sowjetische Armee am 27. Januar ist in Deutschland seit 1996 als ein gesetzlich verankerter bundesweiter Gedenktag, der sogenannte Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus. Seitdem findet jährlich im Deutschen Bundestag eine Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus statt. In diesem Jahr stehen verfolgte sexuelle Minderheiten im Mittelpunkt der Gedenkstunde.
Die Vereinten Nationen erklärten das Datum im Jahr 2005 zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Mittlerweile wird dieser Tag vielerorts - auch international - mit Gedenkstunden oder Kranzniederlegungen begangen. In Norddeutschland sind unter anderem die Gedenkstätten Bergen-Belsen und Esterwegen, die des ehemaligen Lagers Sandbostel, des KZ Drütte in Salzgitter und die Gedenkstätte in der JVA Wolfenbüttel beteiligt.