Paul Nevermann: Ein Bürgermeister fürs Volk
1961 wird Paul Nevermann Hamburgs Erster Bürgermeister. In seine Amtszeit fallen Ereignisse wie die Sturmflut 1962. Trotz erfolgreicher Amtsführung tritt er aus privaten Gründen nach viereinhalb Jahren zurück.
Schon in der Weimarer Republik tritt Paul Nevermann in die SPD ein. Zunächst lernt er Maschinenbauer, später studiert er Jura auf dem zweiten Bildungsweg. Als Anwalt verteidigt er zu Beginn der NS-Zeit politisch Verfolgte, bis er durch seine politische Überzeugung selbst zum Opfer des Regimes wird - und ab 1935 teilweise Berufsverbot erhält. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehört Nevermann 28 Jahre lang der Hamburgischen Bürgerschaft an, ist zunächst als Sozial- und Bausenator. Von 1961 bis 1965 übernimmt er das das Amt des Ersten Bürgermeisters der Stadt Hamburg.
Paul Nevermann wächst in einfachsten Verhältnissen auf
Nevermann kommt am 5. Februar 1902 als drittes Kind des ungelernten Brauereiarbeiters Johann Nevermann und seiner Frau Louise zur Welt. Die Familie wächst am Elbufer bei Teufelsbrück auf, das damals zur preußischen Provinz Schleswig-Holstein gehört. Die Familie lebt in einfachsten Verhältnissen - beengt in einem Zimmer auf 25 Quadratmetern, mit Petroleumlampe und Waschgelegenheit auf dem Hof. Der Arbeiter Johann Nevermann ist Sozialdemokrat und aktiver Gewerkschafter. Um Frau und Kinder durchzubringen, arbeitet er auch an Sonntagen. Trotz der widrigen Umstände beschreibt Nevermann seine Kindheit als harmonisch.
Erster Weltkrieg: Harte Arbeit und wenig zu essen
In der Grundschule wird Nevermanns Talent zum Schreiben entdeckt. Doch statt den Beruf des Journalisten zu ergreifen, lernt er ab 1917 Schlosser und Maschinenbauer. Die Zeiten im Ersten Weltkrieg sind hart: In einer Granatenfabrik in Bahrenfeld schuftet Nevermann oft über zehn Stunden täglich. Er erlebt im Steckrübenwinter 1916/17 Lebensmittelknappheit und während der Novemberrevolution 1918, wie Matrosen auch den Bahrenfelder Betrieb stilllegen.
Weimarer Zeit: Engagement für Gewerkschaft und Politik
Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Monarchie sehen sich die Gewerkschaften bestärkt. Auch auf Nevermanns Arbeitsstätte entsteht ein Betriebsrat, der allerdings nicht für Lehrlinge bestimmt ist. Daraufhin gründen die Auszubildenden einen Lehrlingsrat mit Nevermann als Vorsitzendem. Er engagiert sich darüber hinaus im Verband der Metallarbeiter. Seinem Arbeitsgeber sind die gewerkschaftlichen Aktivitäten ein Dorn im Auge - sie entlassen Nevermann direkt nach dem Ende seiner Lehrzeit im Jahr 1921. In der Weimarer Zeit beginnt Nevermann, sich politisch zu engagieren, seit 1920 ist er SPD-Mitglied. Er tritt für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung auf demokratischem Wege ein.
Abitur auf dem Zweiten Bildungsweg ebnet Aufstieg
Nevermann arbeitet zunächst in der Metallindustrie, 1923 verliert er seinen Job. In der Folge besucht er den Arbeiter-Abiturientenkurs des Hamburger Senats. Eine Premiere. Erstmals können Menschen aus Lehrberufen das Abitur auf dem zweiten Bildungsweg machen. Während dieser Zeit verdient er seinen Lebensunterhalt als Anzeigenwerber für eine Hamburger Zeitung. Später bekommt er ein Stipendium der Stadt Hamburg: 100 Reichsmark. Als sein Förderer und "Väterlicher Freund" gilt in diesem Lebensabschnitt der Hamburger Staatsrat Alexander Zinn.
1930er-Jahre: Übernahme in den Staatsdienst
Als Nevermann das Abi in der Tasche hat, studiert er Rechtswissenschaft in Hamburg und Innsbruck. Auch während des Studiums ist er politisch aktiv - engagiert sich im Sozialistischen Studentenbund. Nach der Promotion 1930 heiratet Nevermann Grete Faden, und nach der abgeschlossenen Staatsprüfung 1931 wird Nevermann als Assessor beim Hamburger Arbeitsamt in den Staatsdienst übernommen. Er gehört dem Vorstand des Altonaer SPD-Ortsvereins an, in dem unter anderen auch der damalige Altonaer und spätere Hamburger Bürgermeister Max Brauer Mitglied ist.
NS-Zeit: Berufsverbot, Zwangsarbeit und Internierung
1933 muss Nevermann von seinem Posten als Staatsdiener wieder zurücktreten, weil er nicht in die NSDAP eintreten will. Nevermann macht sich als Anwalt selbstständig, verteidigt Genossen und kommunistische Politiker. Deshalb steht er unter polizeilicher Beobachtung des NS-Regimes, und unterliegt einer täglichen Meldepflicht. Doch das ist längst nicht das Ende der Drangsalierung - ab 1935 darf er nicht mehr als Verteidiger in Hochverratsprozessen auftreten. Später muss er seine Arbeit als Anwalt vollständig aufgeben, er wird zur Arbeit auf der Stülckenwerft zwangsverpflichtet. Im Zuge des Stauffenberg-Attentats am 20. Juli 1944 wird Nevermann wie so viele Oppositionelle bei der "Aktion Gewitter" verhaftet und ins Konzentrationslager Neuengamme gebracht.
Nachkriegszeit: Nevermann wird Sozialsenator
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nimmt Nevermanns Parteikarriere Fahrt auf: Am 27. Januar 1946 wird er auf dem Hamburger SPD-Parteitag in den Landesvorstand gewählt. Als die britische Besatzungsmacht zunächst einen Senat einsetzt, gehört Nevermann diesem als Sozialsenator an. In seinem Amt steht er vor großen Herausforderungen: wohin mit der wohnungslosen und hungerleidenden Hamburger Bevölkerung? Er bringt die Menschen Nissenhütten unter, doch zum Teil muss er die Menschen nach Dithmarschen und Eiderstedt umquartieren ("Aktion Doppeleiche") - für ihn "eine furchtbare Angelegenheit".
"Es ist ja die historische Tragik der demokratischen Kräfte, daß sie immer dann ihre Aufgabe antreten müssen, wenn ein autoritäres Staatssystem ein Volksvermögen in die Luft gepulvert hat." Paul Nevermann
Paul Nevermann ist der Motor für den Wohnungsbau
Im Oktober 1946 findet die erste Bürgerschaftswahl seit 1932 statt. In einer Koalition aus SPD und FDP übernimmt Nevermann das Amt des Senators für Bau- und Wohnungswesen unter Bürgermeister Max Brauer. Im neuen Amt steht er vor altbekannten Herausforderungen, dem Wiederaufbau von Wohnraum nach Kriegsende. Eine Herkulesaufgabe. Denn noch immer leben viele Hamburger in Kellerräumen. Im März 1947 sind 35.000 zerstörte Wohnungen wieder bezugsfertig und im Sommer gilt Hamburg anders als andere Großstädte als trümmerfrei. Nevermann und der Wohnungsbau sind eng miteinander verbunden.
1960er-Jahre: Übernahme der Amtsgeschäfte von Max Brauer
Von 1950 bis 1953 ist Nevermann Zweiter Bürgermeister. Nach dem Wahlsieg des bürgerlichen Hamburg-Blocks führt er vier Jahre lang die sozialdemokratische Opposition im Landesparlament. 1957 gewinnt wieder die SPD die Wahl und Nevermann übernimmt erneut den Posten als Senator für Bau- und Wohnungswesen unter Max Brauer. Es war klar, dass Brauer sein Amt innerhalb der Wahlperiode an Nevermann abgibt. Am 23. Dezember 1960 wird er zum Regierungschef gewählt, und Anfang 1961 übernimmt er die Amtsgeschäfte.
In den Sechzigerjahren herrscht in Hamburg Aufbruchstimmung. Es ist eine Zeit wirtschaftlicher Blüte und politischer Stabilität, es gibt kaum soziale Konflikte und finanzielle Sorgen. Die Sozialdemokraten dominieren den Hamburger Senat mit absoluter Mehrheit.
Erfolg mit Sachkenntnis und einer großen Portion Charme
Nevermann steht damals für eine jüngere Generation, er pflegt einen populäreren Regierungsstil als sein Vorgänger. Und er ist davon überzeugt, dass ein offener Diskurs zwischen allen gesellschaftlichen Lagern die Basis für gute Politik ist. Nevermann zeichnet neben seiner offenen Art, Sachkenntnis und Charme aus. Er pflegt eine enge Zusammenarbeit mit der von Konrad Adenauer geführten Bundesregierung, aber auch mit den Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Sturmflut und "Spiegel"-Affäre prägen Nevermanns Amtszeit
In Nevermanns Zeit als Bürgermeister fallen im Jahr 1962 für Hamburg prägende Ereignisse. Dramatisch ist vor allem die schwere Flutkatastrophe im Februar. Bei der Sturmflut sterben über 300 Menschen, rund 20.000 verlieren ihr Zuhause. Weil Nevermann auf Kur ist, managt Polizeisenator Helmut Schmidt entschlossen die Krise. Nevermann lässt ihn gewähren, hält sich zurück.
Auch die "Spiegel"-Affäre im selben Jahr sorgt bundesweit für Aufsehen. Nevermann drängt seine politischen Widersacher dazu, auf eine Zensur zu verzichten und das Erscheinen des Politmagazins zu gewährleisten.
Einer der repräsentativen Höhepunkte von Nevermanns Amtszeit ist der Besuch von Charles de Gaulle am 7. September 1962. 30.000 Menschen empfangen den französischen Staatspräsidenten auf dem Rathausplatz.
Frau oder Amt? Nevermann reicht 1965 Rücktritt ein
1965 ist Nevermann laut einer Umfrage der angesehenste Hamburger, noch vor Uwe Seeler. Doch eine Privatsache, die von der Springer-Presse immer wieder öffentlich gemacht wird, bringt den Bürgermeister in die Bredouille: Eheprobleme. Ein verheirateter Bürgermeister mit Freundin. Als die Queen am 28. Mai 1965 Hamburg besucht, glänzt die Bürgermeistergattin durch Abwesenheit. Eine Katastrophe für das strenge Protokoll. Nicht nur die Hamburger Genossen, sondern auch die Bundes-SPD um Herbert Wehner drängt zum Rücktritt. Nevermann lehnt es ab, zu seiner Familie zurückzukehren - er wolle die letzten zehn Jahre seines Lebens glücklich sein. Nevermann entscheidet sich fürs Privatleben, tritt am 1. Juni 1965 zurück. Am 9. Juni übergibt er das Amt an Finanzsenator Herbert Weichmann. Die Hamburger bedauern den Rücktritt.
Neue Aufgabe: Präsident des Deutschen Mieterbundes
Nevermann bleibt Abgeordneter der Bürgerschaft. 1966 gewinnt er die Kampfabstimmung gegen Helmut Schmidt um den Landesvorsitz der Hamburger SPD. 1967 wird Nevermann zum Präsidenten des Deutschen Mieterbundes gewählt. Am 22. März 1979 stirbt er 77-jährig auf seinem Altersruhesitz "Buen Retiro" in Puerto de la Cruz auf Teneriffa. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof in Nienstedten.