Trauer um Sturmflut-Opfer: Hamburg weint um seine Toten
150.000 Trauernde versammeln sich am 26. Februar 1962 auf dem Rathausmarkt in Hamburg, um der Sturmflut-Opfer zu gedenken. 315 Menschen waren bei der Flutkatastrophe gestorben. Einen Tag lang steht das Leben im Norden still.
Am 26. Februar 1962 findet in Hamburg die Trauerfeier für die Todesopfer der Sturmflut-Katastrophe statt. Von mindestens 300 Toten wissen die Behörden zu diesem Zeitpunkt - insgesamt werden später 315 allein im Hamburger Stadtgebiet gezählt. Rund 150.000 Menschen kommen an diesem Montagnachmittag auf dem Rathausmarkt zusammen, um gemeinsam der Opfer zu gedenken. Die Solidarität ist riesengroß. Die Trauernden stehen nicht nur auf dem Platz selbst, sondern auf der Mönckebergstraße hoch bis zur Petrikirche und an der kleinen Alster, wie sich der damalige Polizeisenator Helmut Schmidt 1982 in einem Interview mit dem NDR erinnert: "Ich habe seither niemals wieder ein solch tiefes Gefühl der Gemeinschaft gehabt - sowohl in den Tagen, wo unmittelbare Hilfe notwendig war, als auch Tage später bei der Trauerfeier", so Schmidt.
Hamburg steht still
Zwischen 16.45 und 17 Uhr läuten alle Kirchenglocken in der Stadt, das öffentliche Leben steht still. Im Hamburger Hafen etwa wird die Arbeit komplett niedergelegt. In der ganzen Stadt wehen die Flaggen - wie bereits in den Tagen zuvor - auf Halbmast. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein finden Gedenkminuten statt. Noch immer stehen die Menschen im Norden unter Schock, mit welcher Wucht und Zerstörung die Flutkatastrophe sie zehn Tage zuvor heimgesucht hat. Der Trauermarsch der "Eroica", Beethovens Sinfonie Nummer 3, leitet die Gedenkveranstaltung ein.
"Wir tragen unendlich schwer an dem Leid"
Neben dem damaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke und Berlins Regierendem Bürgermeister Willy Brandt als Vertreter des Bundesratspräsidenten befinden sich etliche weitere Vertreter der Bundesregierung, des Bundestages und der Länder unter den Trauergästen. Hamburgs Erster Bürgermeister Paul Nevermann dankt in seiner Rede den vielen Helfern, von denen selbst einige bei den Rettungsaktionen starben. Er reiht die Sturmflut gemeinsam mit dem großen Brand 1842 und den Bombenangriffen 1943 in die schlimmsten Katastrophen der Stadt ein. Seine Rede schließt er mit den Worten: "Wir tragen unendlich schwer an dem Leid, das uns in den Tagen seit dem 17. Februar aufgebürdet worden ist. Wenn wir alle es miteinander tragen, zwei Millionen Hamburger, dann wird es für die Hinterbliebenen ein wenig leichter sein, mit uns einen neuen Anfang zu wagen".
"Eine Nacht hat genügt, Sie um den Preis jahrelanger Arbeit zu bringen"
Auch der Bundespräsident ergreift das Wort. "Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bremen und Hamburg, das am stärksten betroffen wurde, haben unermesslichen Schaden davongetragen", resümiert er die Folgen des Orkans "Vincinette" vom 16. auf den 17. Februar. "Wir alle wissen um den Schmerz um die Verstorbenen. Wir fühlen uns darüber hinaus mitverantwortlich dafür, dass Sie nun (...) nicht auch das Gefühl der Verzweiflung ankommt, Sie seien in ihrem Leid allein", wendet er sich an die Angehörigen der Opfer und verspricht denen, die ihr Leben vor den Fluten retten konnten, Hilfen und materielle Unterstützung von Bund und Ländern: "Eine Nacht hat genügt, Sie um den Preis jahrelanger Arbeit zu bringen." Auch er dankt all jenen, die geholfen haben, dass die Folgen der Sturmflut-Nacht nicht noch größeres Ausmaß genommen haben - und denen, die bereits großzügig gespendet haben, um die erste Not der Betroffenen zu lindern.
Danach senkt sich abermals Stille über die Stadt. Für mehrere Minuten verharren die 150.000 Trauernden im Anschluss an die Ansprache des Bundespräsidenten am Rathausmarkt in ihrem Gedenken.