VIDEO: Peter Schulz: Rücktritt in Hamburg (4 Min)

Peter Schulz: Junger Bürgermeister mit kurzer Amtszeit

Stand: 05.02.2025 12:00 Uhr

Peter Schulz hat die Hamburger Politik, zunächst als Senator, maßgeblich geprägt. Am 9. Juni 1971 wird er Erster Bürgermeister - der bis dahin jüngste seit 1678. Seine Amtszeit endet bereits 1974 wieder.

von Stefanie Grossmann

Die Amtszeit von Peter Schulz ist von schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geprägt. Jahrzehntelang hat Hamburg aus dem Vollen geschöpft und zuletzt gigantische Investitionen in das CCH und den Ausbau des Container-Hafens getätigt. Jetzt steht der SPD-Senat um Schulz vor einem großen Haushaltsdefizit, das zum Sparen zwingt. In dieser Gemengelage flüchtet sich der Bürgermeister aus den immer härter werdendem Regierungsgeschäft zusehends in die Repräsentation. In der Folge verliert Schulz den Rückhalt in der eigenen Partei. Schließlich muss er auf deren Druck hin 1974 zurücktreten.

"Man kann Hamburg lieben, ohne es zu regieren." Peter Schulz nach Über seinen Rückzug aus der Politik (1974)

Peter Schulz: Aufgewachsen zwischen Diktaturen

Schulz wird am 25. April 1930 in Rostock geboren. Er wächst in einem politischen Elternhaus auf, und bezeichnet sich selbst als Marxist. Sein Vater Albert Schulz ist Mitglied der SPD und von 1946 an für drei Jahre Oberbürgermeister von Rostock. Nach Peter Schulz' Abitur im Jahr 1949 flieht die Familie aus der DDR in den Westen. 1950 lässt sich Schulz in Hamburg nieder und studiert Rechtswissenschaften. Bereits während des Studiums engagiert er sich bei den Hamburger Jusos und dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund. Politisch prägt den Politiker das Unrechtsregime der Nationalsozialisten und die Ära der Kommunisten in der Nachkriegszeit in der DDR. 1959 gründet er eine Kanzlei und arbeitet als Rechtsanwalt. Der Beruf ist für ihn "der schönste".

1960er-Jahre: Politische Karriere im Schnelldurchlauf

Schulz legt eine steile Politkarriere hin: 1961 zieht der leidenschaftliche Kaffeetrinker für die SPD in die Bürgerschaft ein. Anfang 1966 leitet Schulz den parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Tod des Untersuchungshäftlings Ernst Haase. Dieser war im Juni 1964 unter dubiosen Umständen im Untersuchungsgefängnis zu Tode gekommen. Im Rahmen der Untersuchung kommen Versäumnisse und Vertuschungen durch die Gefängnisbehörde und die Staatsanwaltschaft ans Licht. Die Konsequenz des Justizskandals ist die Gründung der Justizbehörde. Als Schulz im selben Jahr in den Hamburger Senat gewählt wird, übernimmt er als Justizsenator die Leitung der neuen Behörde.

Ein Politiker der sozialen Verantwortung

Die französische Sängerin Mireille Mathieu und Bürgermeister Peter Schulz sorgten bei einem Empfang im Hamburger Rathaus am 19.09.1972 für Stimmung, als sie gemeinsam mit einem Kinderchor das Lied "An einem Sonntag in Avignon" anstimmten. © picture alliance / Lothar Heidtmann Foto: Lothar Heidtmann
Gleiche Bildungschancen: Peter Schulz will alle Hamburger Kinder fördern. Das Foto zeigt ihn mit Sängerin Mireille Mathieu und einem Kinderchor.

1970 übernimmt Schulz das Amt des Zweiten Bürgermeisters, zeitgleich wechselt er in die Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung. In einer Zeit, in der die Bildungschancen für Kinder aus sozial schwächeren Schichten noch stark begrenzt sind, setzt er auf eine umfassende Schulreform. Schulz engagiert sich dafür, dass alle Hamburger Kinder - unabhängig von ihrer Herkunft - gleiche Chancen auf eine gute Bildung erhalten. Gleichzeitig setzt er auf den Ausbau der Hochschulbildung sowie die Förderung von Forschung und Entwicklung in der Stadt. Seine Haltung ist stets von einem Glauben an die soziale Verantwortung der Politik geprägt.

1971: Schulz wird jüngster Hamburger Bürgermeister

In der Zeit als Bildungssenator erwirbt sich Schulz den Ruf eines tüchtigen Reformers. Als Herbert Weichmann am 9. Juni 1971 altersbedingt als Erster Bürgermeister zurücktritt, tritt Schulz in dessen großen Fußstapfen. Der damals 41-Jährige ist zu diesem Zeitpunkt der jüngste Bürgermeister seit 1678.

Schulz ist fest entschlossen, Hamburg als eine moderne, soziale und gerechte Stadt zu positionieren. Besonders in den Bereichen Bildung, Wohnungsbau und soziale Gerechtigkeit setzt er Maßstäbe. Anders als seine Vorgänger Nevermann und Weichmann ist Schulz weniger charismatisch, sein Führungsstil ist eher sachlich und auf Konsens bedacht.

Sparkurs prägt die Amtszeit von Peter Schulz

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Schulz (r) eröffnet am 02.06.1973 die U-Bahn Station Jungfernstieg. © dpa-Report
Peter Schulz (r.) eröffnet am 2. Juni 1973 die U-Bahn-Station Jungfernstieg. Rund 20.000 Besucher sind zu dem Ereignis gekommen.

Mit Schulz endet in Hamburg die Ära der Reformeuphorie. Anders als seine Vorgänger kann Schulz Anfang der 1970er-Jahren finanziell nicht mehr aus dem Vollen schöpfen. Investitionen wie zum Beispiel 640 Millionen Mark für ein Aluminiumwerk haben große Löcher in den Haushalt gerissen: Das Defizit zwingt zum Sparen, Schulz steht vor großen Herausforderungen muss unpopuläre Entscheidungen treffen. In seine Amtszeit fällt aber auch die Einweihung der Köhlbrandbrücke und der Ausbau der S-Bahn nach Harburg.

Sein Plan, einen neuen Stadtteil für 60.000 Menschen in Billwerder/Allermöhe aus dem Boden zu stampfen, entsteht in einer Zeit, in der Kritik an "seelenlosen" Großsiedlungen wächst.

Peter Schulz ist der Erfinder des Radikalenerlasses

Doch damit nicht genug: Schulz eckt auch an anderer Stelle an. Aus der Erfahrung zweier Diktaturen wendet er sich gegen jede Form von Zusammenarbeit mit Radikalen. Das Ergebnis: der sogenannte Radikalenerlass, als dessen Erfinder Schulz gilt. Der darunter liegende Grund: Kommunistenhass. Auch weil die SED seinen Vater als Oberbürgermeister aus dem Amt gejagt hatte. Unter Peter Schulz' Leitung fasst der Hamburger Senat Ende 1971 als erste Landesregierung einen Grundsatzbeschluss, in dessen Folge Berufsverbote für Kommunisten und Menschen mit einer staatsfeindlichen Haltung verhängt werden. Der Verfassungsschutz bespitzelt mögliche Bewerber für den öffentlichen Dienst. Ob Richteramt oder Lehrerberuf: Vielen jungen Menschen bleibt eine Beamtenlaufbahn verwehrt. Der Erlass treibt in Hamburg Tausende Demonstranten auf die Straßen. Ohne Erfolg: Der Erlass bleibt bis 1978 bestehen.

Doch Politik ist für Schulz auch "moralische Verantwortung". Sein beharrliches Vorgehen hält in einem NDR-Interview von 1996 auch in der Rückschau für richtig. Der Extremistenerlass schreibt bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte.

"Für mich ist es kein Widerspruch, Marx gelesen zu haben und Antikommunist zu sein." Peter Schulz in der NDR Sendung "Profile" (1996)

Flucht aus Regierungsgeschäft in repräsentative Aufgaben

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Schulz auf dem Landesparteitag der SPD am 04.01.1974. © dpa-Report
Steht in den 1970er-Jahren vor großen Herausforderungen: Hamburgs Bürgermeister Peter Schulz.

Zum Ende seiner Amtszeit steht Schulz vor einem immer größer werdenden gesellschaftlichen Problem: der öffentlichen Armut. Der Senat muss Abstriche machen - und steht vor der Grundsatzfrage, ob er Steuergelder weiter in Investitionen fließen, zu Lasten von Projekten, die der Allgemeinheit dienen. Dazu gehören das Bildungssystem., der öffentliche Nahverkehr und eine Justizreform. Wie viele Politiker flüchtet sich Schulz aus dem scheinbar harten Regierungsgeschäft in repräsentative Aufgaben.

Peter Schulz tritt zur Wiederwahl an - und erlebt Debakel

Trotz aller Probleme tritt Schulz für eine zweite Amtszeit an. Allerdings kämpft er mit einer zunehmenden Vertrauenskrise zwischen Senat und SPD-Parteiführung. Denn nicht alle Sozialdemokraten tragen Schulz' rigoroses Sparprogramm mit. Plötzlich wird er als "Rechter" in der Partei geschmäht. Die Bürgerschaftswahl am 3. März 1974 endet in einem Debakel für die SPD. Die Zeit absoluter Mehrheiten scheint vorbei. Die Partei verliert zehn Prozentpunkte (von 55,3 Prozent 1970 auf 45,0 Prozent) und muss für die Fortsetzung der Regierungstätigkeit mit der FDP koalieren.

Angesichts der milliardenschweren Finanzlöcher und einer verunsicherten Hamburger Bevölkerung braucht es eine andere Form der Politik. Es geht darum, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen.

SPD-Mächtige drängen Bürgermeister Schulz zum Rücktritt

Die Mächtigen in der SPD drängen Schulz zum Amtsverzicht: "Ich gehe mit dem Bewusstsein, meine Pflicht getan zu haben, mit einem Personalwechsel sind die Probleme nicht vom Tisch", erwidert er auf den erzwungenen Rücktritt. Und so endet seine Amtszeit nach drei Jahren. Sein Nachfolger wird der bisherige Innensenator Ulrich Klose, der pikanterweise als Strippenzieher von Schulz' Sturz gilt. "Ich fühlte mich hilflos, nackt; mehr als das: Mir war, als sei mir die Haut abgezogen worden", schreibt Schulz 2009 in seinen Erinnerungen über die schmerzhafte Erfahrung, aus dem Amt gedrängt worden zu sein.

Präsident der Bürgerschaft und juristischer Berater

Zwei ehemalige Hamburger Bürgermeister, Herbert Weichmann, links, und Peter Schulz, rechts, flankieren den Vorsitzenden der Hamburger Sozialdemokraten (SPD), Ulrich Hartmann (10. Juni 1981) © picture-alliance / dpa / AP Photo Foto: Hemuth Lohmann
Auch nach seinem Rücktritt bleibt Peter Schulz (r.) der Politik treu. Hier ist er mit Vorgänger Herbert Weichmann und SPD-Fraktionschef Ulrich Hartmann zu sehen.

1978 betreiben die Genossen eine Art Wiedergutmachung: Schulz wird Präsident der Bürgerschaft und bleibt bis 1986 im Amt. Er ist damit der einzige Politiker in der Geschichte Hamburgs, der die beiden höchsten Staatsämter innehatte. Nach der Wende geht Schulz in seine Geburtsstadt Rostock zurück - und berät als "One-Dollar-Man", also quasi ehrenamtlich - die Stadtregierung. Darüber hinaus hilft er beim Wiederaufbau der dortigen SPD.

Helmut Schmidt ist enger Freund und Weggefährte

Peter Schulz (Erster Buergermeister a.D) mit Sonja Schulz im Hansa Theater in Hamburg am 25.10.2012 © picture alliance / rtn - radio tele nord Foto: rtn, patrick becher
Mehr Zeit für Ehefrau Sonja im Alter: Mit der Ärztin hat Peter Schulz zwei Kinder.

Schulz' Freunde schätzen zeit seines Lebens seinen klaren Verstand und seine Geradlinigkeit. Ein wichtiger Weggefährte und enger Freund ist all die Jahre Helmut Schmidt - 50 Jahre stehen sich die beiden mit Rat und Tat zur Seite. Am 13. Mai 2013 stirbt Schulz an den Folgen einer Herzerkrankung im Hamburger Marienkrankenhaus. Bei der Trauerfeier im Michel ist es Schmidt, der seinen "zuverlässigen" Freund verabschiedet.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Panorama | 04.11.1974 | 21:45 Uhr

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