Arbeitsverbot: Radikalenerlass gegen rechte Beamte?
Radikale Rechte gibt es nicht nur im Parlament, sondern auch im Staatsdienst: Nun gibt es Überlegungen für einen neuen Radikalenerlass, um diese fernzuhalten.
Radikale Rechte gibt es nicht nur im Parlament, sondern auch im öffentlichen Dienst. Immer wieder gibt es Berichte über rechtsradikale Polizisten, Richter, Lehrer. Die Politik sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, zu wenig gegen eine rechte Unterwanderung zu unternehmen. Michael Stübgen (CDU) möchte sich diesen Vorwurf nicht gefallen lassen.
Der Innenminister Brandenburgs möchte verhindern, dass Reichsbürger, Neonazis und andere Rechtsextreme überhaupt in den Staatsdienst kommen können. Helfen soll ein sogenannter Verfassungstreue-Check: Schon bald soll bei Beamtenanwärtern beim Verfassungsschutz nachgefragt werden, ob der Bewerber als "Verfassungsfeind" auffällig geworden ist. Auf Basis dieser Informationen soll dann die Dienststelle entscheiden, ob jemand als Beamter berufen wird - oder nicht. Eine solche Regelanfrage beim Verfassungsschutz gibt es in einigen Bundesländern bereits für Polizisten. Stübgens Plan geht aber über bisherige Regelungen hinaus: Es sei seine persönliche Überzeugung, dass nicht etwa nur Polizisten überprüft werden sollen, sondern alle potenziellen Beamten, explizit auch Lehrer.
Parallelen zum "Radikalenerlass"
Eine solche allgemeine Regelanfrage beim Verfassungsschutz für Staatdiener gab es schon einmal in Westdeutschland: Vor 50 Jahren mit dem "Radikalenerlass". Dadurch sollte der "Marsch durch die Institutionen" und eine kommunistische Unterwanderung des Staates verhindert werden. Bis zu 3,5 Millionen Westdeutsche wurden auf ihre politische Gesinnung durchleuchtet, was zu 11.000 offiziellen Verfahren geführt hatte, 265 Personen wurden aus dem öffentlichen Dienst entlassen.
Mehr als 1.000 Bewerberinnen und Bewerber wurden abgelehnt - noch bevor sie überhaupt etwas Verfassungswidriges im Dienst hätten tun können. Betroffen waren Hochschulbeschäftigte, Sozialarbeiterinnen, Postboten, Lokführer und Lehrerinnen. Fast ausschließlich traf es Linke.
Unschuldvermutung? Fehlanzeige
Betroffen war auch Matthias Wietzer. Er durfte in den 1970er-Jahren nicht als Lehrer arbeiten, weil er in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) aktiv war. Wietzer wurde damals vorgeworfen, für die DKP bei Kommunalwahlen angetreten zu sein, Wahlplakate aufgehängt und 20 DM für die DKP gespendet zu haben. Bei der Anhörung der Behörden habe keine Rolle gespielt, wie er seinen Beruf ausübe. "Es ging nicht um meine unterrichtliche Tätigkeit. Ich war immerhin über zwei Jahre im Schuldienst aktiv. Von Seiten der Eltern und von Seiten des Direktors und dergleichen gab es keinerlei, keinerlei Beschwerden", so der Rentner.
Wie Wietzer wurden viele weitere vermeintlich verfassungsfeindliche Lehrerinnen und Lehrer aus dem Dienst entfernt oder gar nicht erst zugelassen - und das häufig, bevor sie überhaupt etwas "Verfassungswidriges" im Unterricht getan hatten. Eine Unschuldsvermutung, wie sie etwa beim Strafrecht Usus ist, gab es nicht. Vielmehr war die Prognose, eine vermutete Gesinnung könnte zu verfassungswidrigem Verhalten führen, für die Ablehnung ausschlaggebend.
Deutschland vom Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt
Bereits Ende der 1970er-Jahre haben SPD-geführte Bundesländer allmählich die Praxis der Regelanfrage auslaufen lassen. Hamburgs damaliger Erster Bürgermeister Hans-Ulrich Klose bekannte sich, lieber 20 Kommunisten einzustellen, als 200.000 junge Menschen zu verunsichern. Selbst Willy Brandt, unter dessen Federführung es überhaupt erst zum "Radikalenerlass" kam, bereute später die Regelanfrage: Er habe nicht geahnt, welcher Unfug damit betrieben werden würde. 1995 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik Deutschland wegen Verletzung der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit. Die Lehrerin Dorothea Vogt wurde aus dem Beamtenverhältnis entlassen - ein Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Wietzer konnte 1991 wieder Lehrer werden, nachdem Gerhard Schröder Ministerpräsident in Niedersachsen wurde und den Erlass faktisch aufgehoben hat.
50 Jahre nach dem Radikalenerlass beginnt langsam die Aufarbeitung. Als erstes Bundesland hatte Niedersachsen 2018 eine Landesbeauftragte eingesetzt. Der Landtag stellte offiziell fest, "dass politisch motivierte Berufsverbote, Bespitzelungen und Verdächtigungen nie wieder Instrumente des demokratischen Rechtsstaates sein dürfen". Wietzer findet es skandalös, dass nun mit dem Verfassungstreue-Check wieder eine Regelanfrage für angehende Staatsdiener kommen soll.
"Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse"
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen sieht in seinem Vorschlag keine Neuauflage des Radikalenerlasses der 1970er-Jahre. Damals habe es sich um Erlasse der Ministerien gehandelt, nicht um Gesetze. "Den Verfassungstreue-Check wird es nur geben, wenn der Landtag ein entsprechendes Gesetz verabschiedet. Und wir beachten selbstverständlich alle datenschutzrechtlichen und Freiheitsrechte, die jeder Bürger in diesem Land hat." An einer Regelanfrage für Beamtenanwärter - auch damals das Kernstück des Radikalenerlasses - will Stübgen aber auf jeden Fall festhalten.
Brandenburg ist zwar gerade Vorreiter in der Sache, steht aber längst nicht alleine da. Auch auf Bundesebene wolle man laut Koalitionsvertrag dafür sorgen, "dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem Dienst entfernt werden können". Außerdem soll durch Sicherheitsüberprüfungen die "Resilienz der Sicherheitsbehörden gegen demokratiefeindliche Einflüsse" gestärkt werden. Konkreter wird es bereits in Sachsen: Das sächsische Innenministerium möchte laut ihrem kürzlich veröffentlichten "Gesamtkonzept gegen Rechtsextremismus" die Möglichkeiten eruieren, bei Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst die Verfassungstreue zu überprüfen.
Sind Disziplinarverfahren eine Lösung?
Es gäbe durchaus andere Möglichkeiten, etwa gegen Rechtsradikale im Unterricht vorzugehen, betont Christoph Gusy. Der Professor für Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld verweist auf das Disziplinarverfahren. Das hätte einen entscheidenden Vorteil: In einem Disziplinarverfahren könnte man auf Grundlage valider Informationen schauen, ob jemand seine Pflichten verletzt habe. "Was bei der Regelanfrage immer nur eine sehr offene Prognose - man kann auch sagen Spekulation - bleibt, würde hier also mit offenen und klar erkennbaren Informationen festgestellt werden können", so Gusy. Allerdings würden in Deutschland viele Disziplinarverfahren versanden. Bei der Leugnung des Holocausts etwa wäre ein erfolgreiches Disziplinarverfahren aber kein Problem.
Deutlich komplizierter wäre es, wenn etwa ein Geschichtslehrer die Nazi-Zeit nur am Rande thematisieren und dafür breit die Schuldfrage an beiden Weltkriegen diskutieren würde. Gusy sieht eine Regelanfrage für Lehrer kritisch und verweist auf die Verhältnismäßigkeit, denn durch einen einzelnen rechtsradikalen Lehrer sei noch nicht die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet.