Herbert Weichmann: Ein "Elder Statesmen" für Hamburg
Am 9. Juni 1965 wird Herbert Weichmann Hamburgs Erster Bürgermeister. Zunächst als Übergangslösung gedacht, bleibt er bis 1971 im Amt. In dieser Zeit bringt er wichtige Projekte an den Start: CCH und City-S-Bahn.
Herbert Weichmann übernimmt an jenem Mittwoch das Amt von Paul Nevermann, der aus persönlichen Gründen zurückgetreten ist. Zunächst gilt der langjährige Finanzsenator der Hansestadt lediglich als Übergangskandidat, doch am 27. März 1966 erreicht die SPD bei der Bürgerschaftswahl 59 Prozent. Eine Bestätigung für die Partei und für Weichmann, der damals bereits 70 Jahre alt ist - und auf ein bewegtes Leben blickt. Fünf Jahre regiert der "Elder Statesmen" die Hansestadt mit politischem Fingerspitzengefühl, Fleiß und Weitblick. Weichmann bleibt in Hamburg als prägende Persönlichkeit in Erinnerung.
Erster Weltkrieg: Einsatz an der Ostfront
Weichmann kommt am 23. Februar 1896 im oberschlesischen Landsberg als Sohn einer liberalen jüdischen Arztfamilie zur Welt. Er wächst in der Garnisonstadt Liegnitz auf. Auf Wunsch seines Vaters studiert er nach dem Abitur 1914 einige Monate in Freiburg Medizin. Als der Erste Weltkrieg beginnt, meldet sich Weichmann freiwillig und kommt zum Sanitätsdienst. Sein Einsatzort ist die Ostfront. Dort erlebt er die Schrecken des Krieges. Das Kriegsende erlebte er in Litauen im Rang eines Feldwebels.
Weimarer Republik: Zwischen Juristerei und Journalismus
Ein Jahr nach Kriegsende schreibt sich Weichmann für ein Jurastudium in Breslau ein. Er ist Mitglied der sozialistischen Studentengruppe - und tritt nach dem Kapp-Putsch 1920 in die SPD ein. Schon früh identifiziert sich mit sozialistischen Ideen und der Idee von sozialer Gerechtigkeit. Weichmann besitzt nicht nur juristisches Talent, bereits während des Studiums schreibt er als Journalist für die "Frankfurter Zeitung" und die "Vossische Zeitung". Er wandelt zwischen Juristerei und Journalismus; arbeitet als Richter am Amtsgericht von Liegnitz und Breslau, und übernimmt schließlich den Posten des Chefredakteurs bei der "Kattowitzer Zeitung".
1928 wechselt er als persönlicher Referent zum preußischen Ministerpräsidenten Otto. Dort erlernt Weichmann das politische Handwerk von der Pike. In seiner Funktion lernt er damals bei Verhandlungen über das preußisch-hamburgische Hafenabkommen Max Brauer kennen, der damals Oberbürgermeister von Altona ist.
NS-Zeit: Flucht nach Frankreich und die USA
Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten endet die berufliche Laufbahn für Weichmann: 1933 wird er aus dem Staatsdienst entlassen. Noch im selben Jahr flüchten er und seine Frau Elsbeth über die Tschechoslowakei nach Paris. Dort arbeitet er unter anderem für die bekannten Exilzeitungen "Aufbau" und "Die Zukunft". Als die Deutschen Frankreich im Jahr 1940 angreifen, werden die Weichmanns in unterschiedlichen Lagern interniert. Ihnen gelingt schließlich die Flucht in die USA.
Holocaust: Mutter und Schwester sterben in Auschwitz
In New York sichert Herbert Weichmann sich nach einem Abendstudium als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater den Lebensunterhalt. Er steigt schließlich zum Sozius einer Kanzlei auf und betreut einen eigenen Kundenstamm. 1943 erhält das Ehepaar die amerikanische Staatsbürgerschaft. 1945 gründet Elsbeth Weichmann eine Näherei für Kuscheltiere am Rande von Harlem. Im Juni desselben Jahres erfährt Weichmann von der Ermordung seiner Familie. Sowohl seine Mutter als auch seine Schwester und deren Mann wurden in Auschwitz ermordet. Ein schwerer Schicksalsschlag.
Nachkriegsjahre: Weichmann kehrt nach Deutschland zurück
Beruflich gesettelt, zögert Weichmann zunächst mit einer Heimkehr ins Nachkriegsdeutschland. Es ist Hamburgs Erster Bürgermeister Max Brauer, der ihn 1948 zur Rückkehr bewegt und an den Hamburger Rechnungshof holt. Unter seiner Leitung treibt Weichmann die Wirtschaftlichkeitsprüfung staatlichen Haushaltens an, die damals bundesweite Nachahmung findet. 1957 übernimmt Weichmann mit der Berufung zum Finanzsenator erstmals ein höheres politisches Amt. Charakteristisch für seine Politik sind ausfinanzierte Haushalte und fiskalische Sparsamkeit, die ihm auch die gelegentliche Kritik aus der eigenen Fraktion einbringt.
1960er-Jahre: Weichmann wird Erster Bürgermeister
In das Amt des Bürgermeisters kommt Weichmann eher durch Zufall. Als Paul Nevermann am 8. Juni 1965 aus persönlichen Gründen zurücktritt, wählt ihn das Senatskollegium zum Nachfolger. Zunächst gilt Weichmann als "Übergangs-Bürgermeister", doch das ändert sich bereits nach wenigen Wochen. Als die SPD bei den Wahlen zur Bürgerschaft am 27. März 1966 mit 59 Prozent die absolute Mehrheit und beste Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht, wird Weichmann im Amt mehr als bestätigt. Im Spätherbst seines Lebens.
Die Sechzigerjahre sind für Hamburg eine Zeit politischer Stabilität und wirtschaftlicher Blüte. Und der Mann an der Spitze der Stadt ist ein engagierter Verfechter sozialer Gerechtigkeit: "Politik ist nicht Macht, sondern Verantwortung - Verantwortung für die Menschen und für die Zukunft", betont Weichmann damals.
Hamburger Wohnungsknappheit als Herausforderung
Auch in seiner Amtszeit steht der Bürgermeister vor Herausforderungen: Wohnraum in Hamburg ist auch über 20 Jahre nach Kriegsende noch immer knapp und teuer. Die Höchstmieten für Kleinstwohnungen und die Allmacht der Makler trifft nicht nur Arbeiter und Studenten, sondern auch den Mittelstand. Weichmann setzt sich für bessere Lebensbedingungen der ärmeren Bevölkerungsteile ein. Wichtige Anliegen sind ihm außerdem gleiche Bildungschancen und die Verbesserung der Gesundheitsversorgung.
1970er-Jahre: Weichmann etabliert City-S-Bahn und CCH
Viel wirtschaftliches Geschick beweist Weichmann dabei, Hamburg zu einer bedeutenden Metropole weiterzuentwickeln. Er bringt weitreichende Entscheidungen im Bau- und Verkehrsbereich auf den Weg, wie die Einrichtung eines Container-Hafens, der Bau des neuen Elbtunnels und die Schaffung des Hamburger Verkehrsverbundes mit der Etablierung der City-S-Bahn. In seine Amtszeit fällt die Fertigstellung des modernsten Kongresszentrums Europas, dem CCH. Kostenpunkt: 100 Millionen D-Mark. "Kein Kongresszentrum rund um den Globus weist eine in Landschafts- und Verkehrsstruktur vergleichbare Lage aus“, betont Weichmann, anlässlich des CCH-Richtfestes im Jahr 1971.
Weichmanns Ansehen gewinnt auch durch Ehefrau Elsbeth
"Weichmann übertraf seine Vorgänger an Weisheit und Güte, konnte zugleich würdevoll und volkstümlich sein", schreibt das "Hamburger Abendblatt" über Bürgermeister Weichmann. Auch die "Welt" ist voll des Lobes: Dieser Bürgermeister duldete keine klebrige Vermischung von Staat und Partei. Ein großes Plus an seiner Seite ist auch seine charismatische Frau Elsbeth, die sein Ansehen bei den Hamburgern zusätzlich stärkt. Sie ist über viele Jahre Bürgerschaftsabgeordnete, und tritt als engagierte Sozialpolitikerin im Verbraucherschutz sowie bei Frauenrechten auf.
Doch Weichmann kann auch anders: Der Erste Bürgermeister ist bekannt für eine strenge Kleiderordnung im Rathaus. Und weil er zuweilen barsch gegenüber der Presse auftritt, verpasst sie ihm etwas süffisant den Titel "Gottvater". Als Bürgermeister genießt Weichmann eine große Popularität weit über Hamburgs Stadtgrenzen hinaus. Zeitweilig wird er gar als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt. Doch Weichmann lehnt ab.
Mit Weichmanns Rücktritt endet die Ära der "alten Männer"
Als Weichmann am 9. Juni 1971 aus Altersgründen zurücktritt endet in Hamburgs Rathaus die Epoche der "großen, alten Männer". Sein Nachfolger Peter Schulz ist gerade mal 40 Jahre alt. Weichmann bleibt der Politik noch eine Zeit lang treu, 1974 scheidet er aus der Hamburgischen Bürgerschaft aus. Seine Rede am 17. Juni 1982 zum Tag der Deutschen Einheit ist sein letzter öffentlicher Auftritt. Am 3. Oktober 1983 erleidet Weichmann einen Schlaganfall. Knapp eine Woche später stirbt er im Marienkrankenhaus. Sein Grab befindet sich auf dem Friedhof Ohlsdorf.
Herbert Weichmann gilt rückblickend als einer der bedeutendsten Bürgermeister Hamburgs. Seine Fähigkeit, wirtschaftliche Stärke mit sozialem Fortschritt zu verbinden, hat ihn zu einer prägenden Persönlichkeit der Nachkriegszeit gemacht. Als einer der wenigen jüdischen Politiker im Nachkriegsdeutschland war Weichmann eine moralische Instanz für die Versöhnung nach den Verbrechen des Holocaust.