Stand: 18.05.2018 11:31 Uhr

1906: Hamburg bekommt einen Hauptbahnhof

von Dirk Hempel, NDR.de

Anfang Dezember 1906 kommen 300 Arbeiter auf der größten Baustelle Hamburgs zusammen. Sie feiern den neuen Hauptbahnhof, den sie in dreijähriger Bauzeit errichtet haben. Zu ihren Ehren spielt eine Musikkapelle, werden Butterbrote, Eier und Zigarren gereicht.

Einige Tage später, bei der offiziellen Einweihung am 5. Dezember, geht es etwas festlicher zu. Im palmengeschmückten Empfangsgebäude versammeln sich die Honoratioren in schwarzen Anzügen zu einem Festessen. Reden werden gehalten. Auch der preußische Eisenbahnminister ist gekommen, denn das größte Land im deutschen Kaiserreich wird die Bahnlinien von Hamburg aus in sein umliegendes Territorium betreiben. Dann fährt der erste Zug ein, mit Hamburger Staatsflaggen und Blumengirlanden verziert. Der Bahnhof ist eröffnet.

Die größte Bahnhofshalle Deutschlands

Er hat Ausmaße wie ein Palast, ist 150 Meter lang und 114 Meter breit. In der Empfangshalle gibt es neben den Fahrkartenschaltern Wartesäle für die 1. bis 4. Klasse, eine Post, eine Geldwechselstube und eine Gepäckausgabe.

Historischer Wartesaal der 1. und 2. Klasse im Hauptbahnhof Hamburg. © picture alliance/arkivi
So gediegen sah der Wartesaal für die 1. und 2. Klasse aus.

Die größte freitragende Bahnhofshalle Deutschlands ist 37 Meter hoch und 72 Meter breit. Unter ihrem Dach finden zwölf Bahngleise Platz mit bis zu 367 Metern Länge, durch zwei Brücken miteinander verbunden. Von dort bietet sich Fahrgästen und Besuchern immer wieder das beeindruckende Schauspiel der ein- und ausfahrenden Züge, wenn der Heizer die Dampfpfeife zieht, die Maschine stampft, die Räder zu rollen beginnen und der Rauch zur Decke aufsteigt. Breite Treppen führen sechs Meter zu den Bahnsteigen hinunter, denn der Bahnhof ist im ehemaligen Wallgraben der Stadtmauer errichtet worden. Auch zwei Friedhöfe mussten weichen, die Grabstätten sind auf den Hauptfriedhof Ohlsdorf verlegt worden.

Teil eines neuen Verkehrskonzepts

Der neue Hauptbahnhof ersetzt die vier Kopfbahnhöfe, an denen die Züge bisher aus Berlin, Lübeck, Altona und Hannover ankommen: den Berliner Bahnhof, an dessen Stelle wenige Jahre später die Deichtorhallen errichtet werden, den Lübecker Bahnhof an der Spaldingstraße, wo heute der S-Bahn-Viadukt in Richtung Harburg abzweigt, den Bahnhof Klostertor, dessen Gleisanlangen zum Paketpostamt am Hühnerposten umgebaut werden, und den Hannoverschen Bahnhof auf dem Grasbrook, der weiterhin als Güterbahnhof benutzt wird. Zwischen 1941 und 1945 werden von dort, fast in Sichtweite des Hauptbahnhofs, Tausende Juden, Sinti und Roma in die Vernichtungslager im Osten deportiert.

Durch den neuen Zentralbahnhof wird Reisen erheblich schneller, denn die Fahrgäste, die in Hamburg umsteigen, müssen jetzt nicht mehr mit Droschken oder Verbindungsbahnen von einem Kopfbahnhof zum anderen transportiert werden. Er ist Teil eines umfassenden Verkehrskonzepts. Denn gleichzeitig nimmt auch die neue Stadt- und Vorortbahn ihren Betrieb auf. Sie fährt von Blankenese über Altona und den Hauptbahnhof weiter nach Barmbek und Ohlsdorf, auf einer Strecke, die heute noch von der S-Bahn bedient wird.

Der Kaiser bestimmt die Fassade

Entwurf für den Hamburger Hauptbahnhof in Jugendstil © picture alliance / arkivi
So hätte der Bahnhof nach dem Siegerentwurf eigentlich aussehen sollen, doch der Kaiser war dagegen.

Zwölf Jahre haben Hamburg und Preußen verhandelt und geplant. Den Architektenwettbewerb gewinnen 1900 der Altonaer Eisenbahningenieur Möller und die Charlottenburger Architekten Reinhardt und Süßenguth mit je 8.000 Mark Preisgeld. Sie haben bereits den Neubau des Altonaer Museums entworfen, der gerade in der Nachbarstadt errichtet wird. Doch Kaiser Wilhelm II., der oberste Bau- und Bahnchef seines Reiches, verwirft den Plan der Architekten, die ein kunstvoll verziertes Jugendstilgebäude bauen wollen. Er findet es schlicht "scheußlich" und empfiehlt das Hamburger Rathaus als Vorbild, einen viereckigen Prachtbau im überladenen Stil der Neorenaissance.

Das Vorbild steht in Paris

Danach soll sich die Fassade des Empfangsgebäudes richten, mit ihren zwei je 45 Meter hohen Ecktürmen. In die Konstruktion der Halle greift er jedoch nicht ein. Hier orientieren sich die Architekten an der Galerie des Machines, einem hochmodernen Stahlskelettbau der Pariser Weltausstellung von 1889.

Die Bauarbeiten beginnen 1903. Dafür wird das Gelände zunächst planiert, 450 Meter ist der gesamte Bauplatz lang. 800 Stahlbetonpfähle rammen die Arbeiter in den Boden, um die Hallenkonstruktion zu stützen. Die großen Stahlträger bewegt ein riesiger Brückenbaukran aus Düsseldorf an ihre Position. Als das Stahlfachwerk nach Monaten endlich steht, beginnen Glaser damit, hunderte von Scheiben in das Gerüst einzupassen.

Der Bahnhof boomt

Am Tag nach der Einweihung, dem 6. Dezember 1906, nimmt die Preußische Staatseisenbahn den fahrplanmäßigen Verkehr Richtung Berlin, Lübeck, Kiel und Hannover auf. Schon im ersten Jahr fahren hier jetzt täglich 218 Züge, darunter 146 Reisezüge. Der neue Hauptbahnhof entwickelt sich schnell zum wichtigsten Knotenpunkt im norddeutschen Reise- und Güterverkehr. Bis weit ins 20. Jahrhundert steigen hier auch Millionen von Auswanderern aus, bevor sie die Schiffe nach Übersee erreichen. In den beiden Weltkriegen fahren von hier Soldaten an die Front, während in den Nachkriegsjahren Heimkehrer und Flüchtlinge das Bild prägen. Die letzten Kriegsschäden werden erst Ende der 1980er-Jahre beseitigt. 1991 baut die Bundesbahn das Empfangsgebäude zur "Wandelhalle" um, die nun zahlreiche Geschäfte und Restaurants bietet.

Heute kommen am Hauptbahnhof täglich 800 Züge des Fern- und Regionalverkehrs sowie 1.200 U- und S-Bahnen an, drängen sich mehr als 500.000 Reisende und Pendler auf den Bahnsteigen und in den Hallen, so viel, wie außer in Paris an keinem anderen europäischen Bahnhof. Deshalb ist ein weiterer Ausbau vorgesehen. Passagiere sollen künftig den Bahnhof ihn über eine dritte Zugangsbrücke in Höhe der Steintorbrücke zur Mönckebergstraße betreten können. Das Vorhaben wird derzeit geprüft.

Dieses Thema im Programm:

die nordstory | 18.05.2018 | 14:15 Uhr

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