Warum Hamburg noch heute Bunker-Hochburg ist
In keiner anderen Stadt wurden im Zweiten Weltkrieg so viele Bunker errichtet wie in Hamburg, der schon damals zweitgrößten Metropole Deutschlands. Die Nationalsozialisten hatten 1940 ein Sofortprogramm auflegen lassen. Adolf Hitler sah für Hamburg im Zuge des Bombenkriegs eine Bedrohung der wichtigen U-Boot- und Ölindustrie. Über die ganze Stadt verteilt entstanden Gebäude mit meterdicken Wänden und Decken. Sogar in die Hohlräume des Bismarck-Denkmals im Alten Elbpark nahe der St. Pauli-Landungsbrücken wurden Luftschutzräume gebaut - mit Platz für rund 950 Menschen.
Gegen Kriegsende zählte die Hansestadt 1.051 Anlagen, viele davon beschädigt. 1950 waren es aufgrund der von den Briten angeordneten Sprengungen noch 1.026. Darunter waren 76 Hochbunker, 415 Röhren- und 356 Rundbunker sowie 11 Luftschutztürme. Während des Kalten Krieges waren viele Bunker weiterhin als Zufluchtsstätten vorgesehen. Inzwischen gibt es noch rund 400 Bunker in der Hansestadt, etwa 30 davon sind Hochbunker, schätzt Ronald Rossig, Vorsitzender des Vereins "Unter Hamburg". Exakte Zahlen gibt es nicht.
St. Pauli und Wilhelmsburg: "Riesenklötze" fallen ins Auge
Bunker werden ganz unterschiedlich genutzt, viele stehen unter Denkmalschutz. Einer davon ist zum Beispiel der "Kaufmann-Bunker" in Pöseldorf. Der wohl bekannteste Bunker in Hamburg steht auf dem Heiligengeistfeld auf St. Pauli. Der ehemalige Flakturm ist 75 Meter mal 75 Meter breit und 39 Meter hoch. Heute wird er "Medienbunker" genannt. In ihm haben verschiedene Firmen ihren Sitz. Außerdem siedelten sich Musik-Clubs wie Uebel & Gefährlich und Terrace Hill an. Dieses gewaltige Gebäude wird derzeit in einen "Grünbunker" verwandelt.
Sein ähnlich großer "Kollege" in Wilhelmsburg hat bereits einen Umbau zu einem Energiebunker erfahren. Dort wurden ein Ökostrom-Kraftwerk und ein Warmwasser-Speicher eingebaut. Diese "Klötze" fallen jedem ins Auge. Dabei hat Hamburg noch etliche weitere kleinere Hochbunker - auch Bunkerhäuser genannt -, die von den Menschen gar nicht mehr als solche wahrgenommen werden. Zu sehr haben sich Anwohner an den Anblick gewöhnt. Viele Bunker verschwinden hinter Bäumen oder sind zugewuchert.
Große und kleine Bunker-Anlagen unter Tage
Die meisten Bunker sind unterirdisch, bleiben also im Verborgenen. Zu den größten Anlagen zählen die heute noch erhaltenen Tiefbunker Steintorwall (insgesamt 2.700 Plätze) und Hachmannplatz (1.000 Plätze) unter dem Hauptbahnhof sowie Berliner Tor (600 Plätze). Weitaus größer war der 200 Meter lange und 21,4 Meter breite Tiefbunker unter dem Spielbudenplatz auf St. Pauli (5.000 Plätze). Nach dem Krieg wurde er zu einem Parkhaus umgebaut (430 Plätze für Autos).
Meist wurden Tiefbunker als Röhrenbunker errichtet. In die Erde eingelassen konnten so auch vergleichsweise kleine Bauten auf geringer Fläche in bestehende Stadtgebiete gebaut werden. Solche Bunker finden sich noch recht häufig zwischen der "normalen" Bebauung in Wohngebieten wie zum Beispiel verstärkt in den Stadtteilen Eimsbüttel und Eppendorf. Die dortigen Gründerzeithäuser hatten und haben meist keine vollständige Unterkellerung. Eine Nutzung der einstigen Schutzanlagen - etwa als Lager - ist vereinzelt noch möglich. Häufig ist aber Wasser eingedrungen, sodass die Innenräume modrig sind.
Neben den Hoch- und Tiefbunkern gibt es viele Sonderbauten, die als Luftschutzräume genutzt werden konnten. Diese befinden sich an mehreren S- und U-Bahnstationen wie etwa Reeperbahn, Stadthausbrücke, Harburg-Rathaus, Jungfernstieg oder Steinfurther Allee.
Turmbunker mit neuer Funktion
Eine weitere Bunker-Variante sind die sogenannte Zombeck-Türme wie etwa am Bahnhof Barmbek, an der Rothenbaumchaussee gegenüber des Dammtor-Bahnhofs, an der Sternschanze oder zwischen Baumwall und St. Pauli-Landungsbrücken. Die nach ihrem Konstrukteur Paul Zombeck benannten Türme - von diesen sind neun von ehemals elf noch erhalten - haben bis zu zwei Meter dicke Wände. Im Inneren gibt es keine Stufen, sondern eine ansteigende Rampe, sodass die Struktur eher einem Schneckenhaus ähnelt. Sie wurden zwischen 1939 und 1941 gebaut.
In Kriegszeiten sollen sich dort jeweils bis zu 1.800 Menschen gedrängt haben. Eigentlich hatte einer dieser Turmbunker 500 bis 600 Schutzplätze. Häufig stehen sie in direkter Nähe von Verkehrsknotenpunkten. Ihr Merkmal ist neben dem kegelförmigen Dach die dem Stadtbild der damaligen Zeit angepasste Verklinkerung. Heute werden sie unter anderem als Bar, Restaurant oder Tonstudio genutzt.
Einer von zwei Ringtreppentürmen 2009 abgerissen
Bis 2009 gab es im Hamburger Rosshafen noch einen seltenen Ringtreppenturm, der auf dem ehemaligen Werftgelände der Howaldtswerke stand. Äußerlich ähnelt diese Bauart den Zombeck-Türmen, ist von innen jedoch ganz anders aufgebaut. Damit in Kriegszeiten möglichst viele Menschen möglichst schnell hineinkommen konnten, ließ der Konstrukteur mehrere Eingänge bauen. Jeder Einlass führte zu einem eigenen Stockwerk. Die Treppen wurden versetzt an der Innenseite der Außenwände angesetzt. Gebaut wurde der Ringtreppenturm im Hafen Anfang der 1940er-Jahre und bot 465 Plätze. Bis zu seinem Abriss im Zuge der Hafen-Erweiterung war der einstige Werksluftschutzbunker noch fast vollständig im Originalzustand. Somit ist der Schutzbau am Worthdamm / Arningstraße der einzige noch verbliebene Ringtreppentürmen. Er steht auf einem Firmengelände und wird nicht genutzt.
Führungen nicht nur für Touristen
In Hamburg kümmern sich seit 2006 zwei Vereine um die Welt der Bunker und andere unterirdische Bauwerke: "Unter Hamburg" und "Hamburger Unterwelten". Die jeweiligen Führungen und weiteren Angebote sind nicht nur für Touristen interessant. Auch die meisten Hamburger können hier viel Neues erfahren. Im Stadtteil Hamm, auf dem Grundstück der Wichernkirche, liegt Hamburgs Bunkermuseum - natürlich ein Bunker, und zwar ein Vier-Röhren-Bunker von 1940/41. Seit 1997 können Interessierte einen Eindruck von der beklemmenden Enge in einem Bunker bekommen. Gezeigt werden unter anderem Berichte von Zeitzeugen, Fotos, Gasmasken und Bombensplitter.
Bunker-Nutzung als Wohnraum
Oft stehen die Bunker Wand an Wand mit Wohnhäusern. Weil Grundstücke in attraktiven Lagen sehr teuer sind und Abrissarbeiten ebenso, haben einige Hamburger in den vergangenen Jahren aus den Kriegsnachlässen Wohnobjekte geschaffen und die Bunker entsprechend umbauen lassen. Größtes Problem dabei: die dicken Mauern. Um ein Fenster oder eine Tür in die Meter starken Wände zu schneiden, sind viel Geduld und teure Diamantsägen notwendig. Häufig wird deshalb aufgestockt. Über einem alten Hochbunker entsteht dann ein luftiges Loft. Auch für soziale Zwecke wird umgebaut: In Altona etwa entsteht aus einem alten Weltkriegsbunker ein Stadtteilzentrum.
Trotz der hohen Abrisskosten werden Bunker vor allem in interessanten und hochpreisigen Wohnlagen auch immer wieder Stück für Stück entfernt. Dafür müssen die alten Gebäude zunächst entkernt werden. Mit sogenannten Lockerungssprengungen, die außerhalb der Bunker keinen Schaden anrichten, können die dicken Mauern geschwächt werden. Schweres Gerät muss aber auf jeden Fall zum Einsatz kommen. Der Schutt wird dann abtransportiert. Die Arbeiten ziehen sich manchmal über Jahre hin - zum Leidwesen der Anwohner.
Hamburg-Eimsbüttel: Die Ecke Müggenkampstraße / Sartoriusstraße im Wandel der Zeit. Jahrzehntelang steht dort ein Hochbunker (Aufnahme von 2011). Nach seinem Abriss wird ein neues Haus gebaut (Aufnahme von 2022). >>> Zum Hin- und Herschieben verwenden Sie den Regler. <<<
Bieten die alten Bunker noch Schutz?
Bereits in den 1960er-Jahren wurden angesichts des Kalten Krieges und der Sorge um Atomwaffenangriffe Gespräche über eine Wiederertüchtigung und den Neubau von Bunkeranlagen in Hamburg geführt. In der Folge investierten die Behörden Millionen D-Mark in den Ausbau. So wurden zum Beispiel in den Tiefbunker Steintorwall moderne Drucktüren, Lüftungs-, Filter- und Notstromanlagen eingebaut. Viele dieser Installationen wurden jedoch im neuen Jahrtausend wieder entfernt - in der Annahme, dass sie nicht mehr benötigt werden.
Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. März 2022 ist die Diskussion neu aufgeflammt. Bunker-Experte Rossig sagte im Gespräch mit dem NDR, dass eine Wiederertüchtigung von Bunkern möglich sei, wenn die Anlagen modernisiert würden. Die Kosten dafür seien aber hoch. So seien bauliche Veränderungen nötig, auch Brunnen müssten neu eingebaut werden. Diese Arbeiten würden Monate dauern. Außerdem müsse geklärt werden, welchen Schutzgrad die Bunker haben und welche Kampfmittel sie abwehren sollen. Luftschutzräume etwa helfen nur kurzzeitig bei herumfliegenden Splittern und Trümmern. Bei einem etwaigen Atomwaffeneinsatz hingegen reicht deren Schutzpotenzial nicht aus.