Vogelgrippe: Eine Gefahr vor allem für Männer?
Die Vogelgrippe grassiert wieder in ganz Europa. Forschende sind in Sorge, dass die Erkrankung auf den Menschen übertragen werden könnte. Dabei trifft es Männer härter als Frauen. Warum ist das so?
Vor rund zehn Jahren infizierten sich in China erstmalig auch Menschen mit der Vogelgrippe, und zwar mit dem Subtyp H7N9, mit dem es seither zu fünf Epidemien gekommen ist. Für Virologinnen und Virologen sind die Vogelgrippe-Erreger, die wissenschaftlich aviäre Influenzaviren genannt werden, ausgesprochen besorgniserregend. Denn sie haben schon mehrfach Artengrenzen übersprungen und sind auch auf den Menschen übergegangen. "H7N9 aviäre Influenzaviren wurden vor der Corona-Pandemie durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Viren mit dem höchsten pandemischen Potenzial gesehen“, erklärt die Influenza-Forscherin Gülsah Gabriel vom Hamburger Leibniz-Institut für Virologie. Über fünf Jahre hinweg, in mehreren stetig steigenden epidemischen Wellen habe man das beobachtet.
Hohe Sterblichkeit - vor allem bei Männern
Mehr als ein Drittel der infizierten Menschen überlebte die Erkrankung nicht. Und Männer waren deutlich häufiger betroffen als Frauen, erkrankten schwerer und verstarben öfter. Vogelgrippe-Viren sind, wie alle Influenza-Viren, sehr mutationsfreudig, das heißt, dass sie sich ständig verändern. Deshalb haben sie das Potenzial, eine nächste Pandemie auszulösen. Diese würde dann deutlich mehr Todesopfer fordern als die Corona-Pandemie. Um darauf besser vorbereitet zu sein, hat die interdisziplinäre Hamburger Forschungsgruppe gemeinsam mit chinesischen Forschenden vom Nationalen Influenza Zentrum untersucht, wie sich das Virus im menschlichen Organismus ausbreitet. Dafür analysierten sie retrospektiv die Daten der chinesischen Vogelgrippe-Infizierten - eine der größten humanen H7N9-Kohorten überhaupt - und machten Tierversuche.
Testosteron wird durch Infektion reduziert
Zentrale Fragen der Studie waren: Warum infiziert das Virus Männer häufiger, lässt sie schwerer erkranken und öfter versterben? Bis jetzt wurde angenommen, das unterschiedliche Verhalten von Männern und Frauen sei der Grund dafür. Denn in China sind es überwiegend Männer, die auf den Geflügelmärkten arbeiten und die Tiere schlachten. Aber als Erklärung reicht das nicht, wie die Studie des internationalen Forschungsteams zeigt, die jetzt in der Fachzeitschrift "Nature Communications" erschienen ist.
"Wir haben tatsächlich herausgefunden, dass H7N9-Influenza die Hormonachse bei den Männern so beeinflusst, dass die männlichen Geschlechtshormone, vor allem das Testosteron, durch die Infektion stark reduziert wird", erklärt Gülsah Gabriel. Und das führe wiederum dazu, dass ein wichtiger Immunfaktor fehlt, um die Infektion zu bekämpfen.
Geschlechtshormone wirken sich auf Immunsystem aus
Denn die Geschlechtshormone Testosteron und Östrogen gelten als wichtige Impulsgeber für das Immunsystem. Vor allem das weibliche Hormon Östrogen fördert die Vermehrung von Immunzellen und bekämpft auf diese Weise eindringende Krankheitserreger. Der Androloge Professor Frank Sommer vom Universitätsklinikum Eppendorf in Hamburg hat an der Studie nicht mitgearbeitet, ist aber von den Ergebnissen nicht überrascht.
"Männer und Frauen reagieren wirklich unterschiedlich auf Infektionskrankheiten", sagt er. Die Reaktion an sich, also die Anregung von natürlichen Killerzellen oder auch weißen Blutkörperchen, sei zwar identisch. "Aber wie die getriggert werden, das scheint wohl geschlechtsspezifisch zu sein." Das heißt: hormonell bedingt.
Angriff auf Hormonproduktion in den Hoden
Auch das männliche Immunsystem ist auf das weibliche Östrogen angewiesen, deshalb verstoffwechselt der männliche Körper Testosteron in Östrogen. Dafür aber muss das Hormon ausreichend vorhanden sein. Bei H7N9 stört das Virus den Testosterongehalt im Organismus, wie die Forschenden zeigen konnten. Und zwar doppelt: einerseits durch die entzündlichen Prozesse im Körper, die die Vogelgrippe hervorruft und andererseits, indem das Virus die Hormonproduktion in den Hoden angreift. Im Tiermodell konnte Virologin Gabriel mit ihrem Team zeigen, dass die H7N9-Influenza auch die Hoden selbst befällt. Dadurch werde die Testosteronproduktion massiv herabgeregelt. "Der Körper kann dann nicht mehr genug Immunfaktoren mobilisieren, um die Infektion zu bekämpfen."
Eine Infektion mit H7N9 kann also den männlichen Hormonhaushalt aus der Balance bringen. Ein wichtiger Befund, um bei den nächsten Übertragungen auf den Menschen diesen Faktor in die Therapie miteinzubeziehen.