Ein Mann hält sich den unteren Rücken. © colourbox Foto: -

Rückenschmerzen: Welche Rolle spielt die Psyche?

Stand: 09.03.2023 21:24 Uhr

Chronische Rückenschmerzen haben häufig psychische Ursachen. Eine multimodale Schmerztherapie aus medizinischer Behandlung, Physio- und Psychotherapie kann den Teufelskreis aus Stress und Schmerz durchbrechen.

Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit. Oft tut es vor allem im Kreuz, in der unteren Lendenwirbelsäule weh. Chronisch sind Kreuzschmerzen, wenn sie länger als zwölf Wochen andauern. Und diese chronischen Rückenschmerzen haben meist keine körperlichen, sondern psychische Ursachen. Für eine erfolgreiche Behandlung ist neben Physiotherapie daher auch Psychotherapie wichtig.   

Die psychische Komponente spielt eine wesentliche Rolle bei der Schmerzentstehung. Auch wenn strukturelle Veränderungen zu sehen sind - wie zum Beispiel Gleitwirbel, Bandscheibenvorfall oder Verschleiß -, so sind dennoch in deutlich mehr als 50 Prozent aller Fälle psychische Belastungen wie Stress, Trauer oder Einsamkeit die eigentliche Ursache. Denn psychischer Stress kann tatsächlich körperliche Schmerzen auslösen.  

VIDEO: Rückenschmerzen und Psyche: Welche Übungen helfen? (7 Min)

Schmerzgedächtnis durch Stress    

Stress versetzt den Körper in erhöhte Alarmbereitschaft: Muskeln verspannen sich, Nerven werden gereizt. Eigentlich hat der Schmerz die Funktion eines Frühwarnsystems. Aber das Nervensystem kann Schmerzen auch regelrecht erlernen, sodass diese ihre Warnfunktion verlieren und sich verselbständigen. Die Nervenfasern senden dann unablässig Schmerzimpulse, der Alarmzustand bleibt dauerhaft bestehen. Wenn sich das Gehirn darauf konzentriert, entsteht ein sogenanntes Schmerzgedächtnis: Ungefähr nach drei Monaten beginnt das Gehirn, den Schmerz buchstäblich zu lernen. Es merkt sich, dass bestimmte Bewegungen wehtun und gefährlich werden könnten.

Es ist ein Teufelskreis: Der Stress verursacht Schmerzen - und die Schmerzen lösen noch mehr Stress aus. Die entstehende Signal-Kaskade führt dazu, dass der Schmerz immer intensiver wahrgenommen wird. Viele Betroffene bekommen Angst vor dem Schmerz und und schonen sich. Doch gerade diese Vermeidung kann dazu führen, dass eigentlich zeitweilige Schmerzen zum Dauerschmerz werden, sie "chronifizieren".   

Multimodale Schmerztherapie gegen Teufelskreis aus Schmerz und Stress    

Eine multimodale Schmerztherapie kann helfen, diesem Teufelskreis zu entkommen. Dabei arbeiten Ärzte, Psycho- sowie Physiotherapeutinnen und -therapeuten eng zusammen und entwickeln einen mehrwöchigen Therapieplan, der drei Bereiche einschließt:   

  • Medizinische Behandlung inklusive Medikamente
  • Physiotherapie  
  • Psychotherapie

Die Fachleute tauschen sich idealerweise während der multimodalen Therapie immer wieder aus. Oft berichten sie von überraschend schnellen Erfolgen: Viele Betroffene merken schon nach wenigen Tagen, dass Stressreduktion auch den Schmerz reduzieren kann. Doch trotz erwiesener Wirksamkeit wird die multimodale Therapie nicht von allen Krankenkassen bezahlt. Nur bestimmte Kassen haben extra Verträge mit Zentren geschlossen. Es ist allerdings möglich, sich als Patient eine multimodale Schmerztherapie aus den drei Bereichen selbst zusammenzustellen. Die Krankenkasse müsste dann jede einzelne Therapie extra übernehmen.  

Verhaltenstherapie hilft bei Rückenschmerzen   

Eine wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Physiotherapie ist, dass die Betroffenen die Zusammenhänge verstehen, die zu ihrer Schmerzsymptomatik führen, sie verschlimmern oder verbessern. Durch die Therapie gewinnen Patientinnen und Patienten das Vertrauen in ihren Körper zurück. Wer seinen Schmerz versteht, kann das eigene Verhalten ändern und ist motiviert, selbst aktiv zu werden.

In einer Meta-Analyse werteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fast 100 Studien mit gut 13.000 Teilnehmenden aus und stellten fest: Physiotherapie kombiniert mit Psychotherapie bringt bei chronischen Kreuzschmerzen die besten Ergebnisse. Besonders erfolgreich im Bereich der Psychotherapie ist dabei offenbar die Verhaltenstherapie, um hinderlichen Gedanken und seelischen Ursachen auf die Spur zu kommen und diese dann aufzulösen.   

Physiotherapie gegen die Angst vor der Bewegung   

Gut die Hälfte aller Betroffenen hat katastrophisierende Gedanken: Sie fürchten, schon alltägliche Bewegungen könnten noch mehr kaputt machen - zum Beispiel eine Bandscheibe herausspringen lassen oder einen Nerv einklemmen. Und deshalb meiden sie jede Bewegung.

Wie die Psychotherapie hat auch die Physiotherapie die Absicht, diese Blockaden im Kopf zu lösen. Mit Alltagsbewegungen wird geübt, sich dem Schmerz bewusst zu stellen. Ziel ist es nicht, unbedingt schmerzfrei zu werden, sondern den Alltag zu bewältigen und mit dem Schmerz besser umgehen zu können. Die Betroffenen lernen, dass Bewegung keinen Schaden verursacht, sondern sie - im Gegenteil - ihren Körper belasten dürfen und müssen. Denn besonders das Vermeiden von Bewegung verhärtet die Muskeln, was wiederum zu Schmerzen führt.

Die Betroffenen üben in der Physiotherapie, was sie tun können, um ihre Muskeln zu kräftigen und die Alltagsbelastung zu steigern. Bei starken Schmerzen kann in der Akutphase auch der Einsatz von Schmerzmedikamenten sinnvoll sein. Ein Drittel bis die Hälfte der von Rückenschmerz Betroffenen macht davon zunächst Gebrauch, doch am Ende der ambulanten Therapie können zwei Drittel ihre Medikamente reduzieren.   

Expertinnen und Experten zum Thema   

Dr. Christian Sturm, Medizinische Hochschule Hannover

Oberarzt
Klinik für Rehabilitationsmedizin
Medizinische Hochschule Hannover
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
www.mhh.de/rehabilitationsmedizin

Weitere Informationen
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Visite | 14.03.2023 | 20:15 Uhr

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