Chronobiologie: Ist die Zeitumstellung gesundheitsschädlich?
Eine innere Uhr steuert zahlreiche wichtige Vorgänge der Organe: von der Herzfrequenz über die Verdauung bis zur Wundheilung. Die Zeitumstellung kann diesen biologischen Rhythmus aus dem Takt bringen.
Zweimal im Jahr werden in Deutschland die Uhren umgestellt - um jeweils eine Stunde. Besonders starke gesundheitliche Auswirkungen hat dabei die Umstellung auf die Sommerzeit. Grund dafür ist, dass in der Nacht eine Stunde Schlaf verloren geht. Der Körper vieler Menschen reagiert darauf sehr sensibel: Die innere Uhr gerät durcheinander. Schlafstörungen, ein akutes Auftreten von Herz-Kreislauf- und Darm-Erkrankungen, Schlaganfällen, Migräne-Attacken und Konzentrationsstörungen können die Folge sein. Auch vermehrte Verkehrs- und Arbeitsunfälle treten in der Zeit nach der Umstellung auf.
Fast ein Drittel der Deutschen hat Probleme mit Zeitumstellung
Eine Umfrage der Krankenkasse DAK im März 2024 zeigt: 30 Prozent hatten infolge der Zeitumstellung schon einmal Probleme, zum Beispiel gesundheitlicher oder psychischer Art. Am häufigsten berichteten die Betroffenen von Müdigkeit, Schlappheit, aber auch Einschlafproblemen oder Schlafstörungen sowie Konzentrationsschwierigkeiten nach der Umstellung. Frauen sind der Befragung zufolge deutlich häufiger betroffen - und die Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen, unabhängig vom Geschlecht.
Zahl der Herzinfarkte und Migräneattacken steigt einigen Studien zufolge
In der Woche nach der Umstellung zur Sommerzeit gibt es einen signifikanten Anstieg der Migräneattacken. Das ermittelte die Schmerzklinik Kiel 2025 in einer Studie, bei der sie die Kopfschmerzverläufe von 258 Migränepatienten und -patientinnen über einen Zeitraum von zwei Jahren auswertete. Besonders auffällig war für die Forschenden dabei die Zunahme von Migräneanfällen direkt an den Montagen nach der Umstellung auf Sommerzeit. Im Herbst, wo die Uhr eine Stunde zurückgestellt wird, kam es dagegen in den Folgetagen zu weniger Attacken.
Eine ganze Reihe von Studien zeigt auch ein erhöhtes Auftreten von Herzinfarkten in der Woche nach der Zeitumstellung. So kamen Forschende aus den USA in einer 2014 im Fachmagazin "Open Heart" veröffentlichten Analyse zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass es am Montag nach der Sommerzeitumstellung zu 24 Prozent mehr Herzinfarkten kommt. Andere Studien zeigen insgesamt einen niedrigeren Anstieg, zum Beispiel vier Prozent mehr Herzinfarkte in der ersten Woche nach der Umstellung. Die Datenlage dazu ist also unterschiedlich, aber die Sommerzeitumstellung scheint nachweisbare Auswirkungen auf die Anzahl der Infarkte zu haben. Männer und Personen, die bereits Herzmedikamente einnehmen, sind dabei besonders gefährdet.
Viele Ärzte sind gegen Zeitumstellungen
Vor allem viele Schlafmediziner und Chronobiologen - das sind die Wissenschaftler, die sich mit der zeitlichen Organisation von Prozessen im Körper beschäftigen - sprechen sich für ein Ende der Zeitumstellung aus und sind für die Abschaffung der Sommerzeit. Eine ganzjährige Normalzeit würde den Biorhythmus und damit die Gesundheit vieler Menschen weniger belasteten. Der Grund dafür ist, dass der größere Teil der in Deutschland lebenden Menschen eher zu den sogenannten Eulen gehört, wie Schlafforscher herausfanden. Sie werden morgens erst später wach und aktiv, sind dafür aber auch am Abend länger fit. Die Normalzeit ist vereinfacht gesagt die spätere Zeit und käme ihnen entgegen.
Eule oder Lerche: Chronotypen sind biologisch festgelegt
"Lerchen" sind die Frühaufsteher unter den Menschen, die Morgenmenschen. Sie sind früh am Tag leistungsbereit und werden im Gegenzug am Abend früher müde. Bei den "Eulen" ist das Gegenteil der Fall. Ihr natürlicher Biorhythmus und damit auch ihre Leistungskurve beginnen und enden später am Tag. Diese Varianten des biologischen Rhythmus nennt man Chronotyp. Er beeinflusst die Hormonausschüttung im Körper, die Körpertemperatur, Herzfrequenz, Blutdruck, das Immunsystem und vieles mehr. Denn viele Prozesse im menschlichen Körper unterliegen einer tageszeitlichen Rhythmik (zirkadianer Rhythmus). Zu welchem Chronotyp man selbst gehört, ob man also eine "Lerche" oder eine "Eule" ist oder zwischen den beiden Formen liegt, lässt sich genetisch nachweisen. Die TU Dortmund bietet außerdem einen kostenlosen Online-Selbsttest dazu an.
Schichtarbeit und Gesundheit: Das Sterberisiko steigt
Vielen Menschen gehören zu den späten Chronotypen, gesellschaftliche Anforderungen führen aber häufig dazu, dass sie trotzdem früh aufstehen - ein Leben gegen die innere Uhr. Diese Diskrepanz zwischen eigenem und dem äußeren, sozialen Rhythmus heißt "Sozialer Jetlag". Auf Dauer kann es dabei zu einem Schlafverlust kommen und der soziale Jetlag kann einen erhöhten BMI und die Entstehung von Fettleibigkeit begünstigen.
Vor allem Nacht- und Schichtarbeit können negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Das Wechselschicht-Modell, das heißt Früh-, dann Tag-, dann Spät-Schicht, dann frei, ist dabei für den Biorhythmus am schlechtesten. Eine amerikanische Studie mit 74.862 Krankenpflegerinnen fand heraus: Wer über fünf Jahre im Schichtdienst arbeitete, hatte ein um elf Prozent erhöhtes Sterberisiko. Für Krankenpflegerinnen, die noch mehr Jahre im Schichtdienst arbeiteten, war das Risiko sogar noch höher.
So wird der Biorhythmus reguliert
Im Hypothalamus im menschlichen Gehirn sitzt der Nucleus suprachiasmaticus, die Hauptuhr des menschlichen Körpers. Sie besteht aus einer Ansammlung von Nervenzellen und ist gerade einmal so groß wie ein Reiskorn. Ihr Tag entspricht im Rhythmus circa der Länge von 24 bis 25 Stunden. Durch eine direkte Verbindung mit den Augen kann sie das Tageslicht und die Dunkelheit wahrnehmen und so synchron zum äußeren Tag-Nacht-Rhythmus laufen. Licht ist damit auch der größte äußere Einflussfaktor für die innere Uhr. Zusätzlich dazu hat jede Zelle des menschlichen Körpers eigene Uhren-Gene. Sie können über Nerven- oder Hormonsignale vom Gehirn aus aktiviert werden, aber auch ein Eigenleben entwickeln.
Eigener Biorhythmus hat Folgen für den gesamten Körper
Ungefähr zehn Prozent der menschlichen Gene sind in ihrer Aktivität von der Tageszeit abhängig. Einige sind vor allem morgens aktiv - andere am Mittag, abends oder nachts. Das hat große Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit, Erkrankungen, Medikamentenverträglichkeit und Heilungsprozesse. Auch die Hormonausschüttung läuft im Körper oft nach einem zirkadianen Rhythmus. So ist zum Beispiel die Cortisol-Ausschüttung natürlicherweise kurz nach dem Aufstehen am höchsten. Zur Nacht hin sinken die Körpertemperatur, der Blutdruck und die Herzfrequenz.
Wundheilung läuft tagsüber schneller
Auch die Haut hat einen Tag-Nacht-Rhythmus. Das konnten unter anderemForscher des Medical Research Council in Cambridge 2017 zeigen: Im Labor untersuchten sie zunächst Wunden von Mäusen und fanden heraus, dass diese deutlich schneller heilen, wenn sie tagsüber entstanden waren. Dafür verantwortlich scheint unter anderem das Protein Aktin. Aktin ist ein wichtiges Eiweiß, das die Fortbewegung von Bindegewebszellen ermöglicht. Die Forschenden fanden heraus: Es unterliegt einer zirkadianen Regulation und führt so zu einer beschleunigten Wundheilung am Tag. Auch beim Menschen konnten sie deutliche Unterschiede in der Wundheilung zeigen. Ihre Analyse der Daten der internationalen Verbrennungswunden-Datenbank (International Burn Injury Database) zeigt: Verbrennungen, die Menschen am Tag erlitten, heilen 60 Prozent schneller als nächtliche Wunden. Letztere brauchen durchschnittlich elf Tage länger, um zu heilen.
Biologischer Rhythmus beeinflusst auch Tumorwachstum und -ausbreitung
Auch das Wachsen und die Ausbreitung von Krebszellen unterliegt zirkadianen Rhythmen. Das konnten Forschende aus Zürich 2023 zeigen. So schwanke zum Beispiel die Rate, wie sich Krebszellen vom Haupt-Tumor lösen und beginnen zu wandern und Metastasen zu bilden im Tagesverlauf. Dabei unterscheiden sich die Krebsarten in ihrem tageszeitlichen Rhythmus. Brustkrebs metastasiert vor allem nachts. Prostatakrebs vor allem tagsüber. Diese Erkenntnisse könnten in Zukunft auch für die gezielte Behandlung mit Chemo- und Immuntherapien genutzt werden, indem man die Krebszellen zum optimalen Zeitpunkt angreift.
Innere Uhr entscheidet, wie Nahrung verstoffwechselt wird
Damit wir unsere Nahrung gut verstoffwechseln, müssen besonders die inneren Uhren von Darm und Leber gut zusammenarbeiten. Das haben Forscher der Universität Lübeck herausgefunden. Wenn wir aber unregelmäßig essen, kann sich dadurch die innere Uhr des Darms "verstellen" und er arbeitet nicht mehr optimal mit der Leber zusammen. Das kann zu einer erhöhten Einlagerung von Energie in Fettgewebe führen und dadurch dick und krank machen. Auch die innere Uhr der Leber kann verstellt werden, zum Beispiel durch zuckerhaltige Mahlzeiten in der Nacht und die darauffolgende Insulinausschüttung. Besonders wichtig für beide Organe das Einhalten von Nahrungspausen.
Expertin im Beitrag
Zeitumstellung beeinflusst chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
https://www.frontiersin.org
Zeitumstellung führt zu gehäuftem Auftreten von Schlaganfällen
https://doi.org
Zeitumstellung erhöht Arbeitsplatzunfälle
https://doi.org
Männer sind von Herzinfarkten nach Zeitumstellung besonders betroffen
https://doi.org
Patienten mit Herzmedikamenten sind von Herzinfarkten nach Zeitumstellung vermehrt betroffen
https://doi.org
Sozialer Jetlag erhöht BMI
https://www.cell.com
