Kein Sättigungsgefühl: Was passiert im Körper?
Appetit, Hunger, Essen und Sättigungsgefühl bilden ein komplexes Zusammenspiel, das bei vielen Menschen aus dem Takt geraten ist. Übergewicht und Unzufriedenheit sind die Folgen. Was passiert im Körper?
Das Zusammenspiel von Hunger und Sättigung läuft in unserem Körper mehrmals täglich ab. Die Steuerungszentrale liegt in unserem Gehirn: im Hypothalamus. Hier werden die Signale, die der Körper bei Hunger oder Sättigung sendet, gebündelt. Aber nicht nur die körperlichen Abläufe bestimmen den Appetit. Auch äußere Reize, wie besondere Gerüche, Aussehen der Nahrung oder ein spezieller Geschmack, haben Einfluss auf unser Hungergefühl. Physiologische und emotionale (hedonische) Signale bedingen einander, sind stark miteinander verknüpft.
Wie entsteht das Sättigungsgefühl?
Hunger ist ein Warnsignal des Körpers. Die Organe, besonders das Gehirn, brauchen Energie, um optimal arbeiten zu können. Deshalb wird Hunger mit der Zeit zu einem übermächtigen Verlangen. Die Folgen können Unruhe und Aggressivität sein. Deshalb versuchen wir, den Hunger möglichst schnell zu stillen.
Erreicht Essen den Magen, wird die Magenwand gedehnt. Dies wird von sogenannten Mechanorezeptoren an das Gehirn gesendet. Die Magendehnung alleine löst aber noch kein Sättigungsgefühl aus. Zusätzlich erfassen sogenannte Chemorezeptoren im Darm und in der Leber, wie viele Nährstoffe aufgenommen wurden. Dabei kommt es zur Ausschüttung verschiedener Hormone, die für den Energiehaushalt des Körpers wichtig sind, die Bauchspeicheldrüse lässt den Blutzuckerspiegel ansteigen. Mikroorganismen aus dem Darm senden ebenfalls Signale. Erst wenn Mechano- und Chemo-Rezeptoren reagieren und der Hypothalamus die Meldung des richtigen Hormonspiegels bekommt, fühlen wir uns satt. Dann schüttet der Körper unter anderem das Glückshormon Serotonin und signalisiert: "Ich bin satt, ich bin zufrieden."
Für eine entsprechende Dehnung des Magens muss nach Untersuchungen ein Volumen von 300 bis 400 Kubikzentimetern das Organ füllen - etwa eine kleine bis mittelgroße Portion Nudeln. Flüssigkeiten können den Magen auch dehnen, aber diese werden meist schnell an den Darm weitergeleitet.
Hungrig oder satt? Unterschiedliche Hormone beteiligt
Laut Wissenschaft gibt es eine Vielzahl von Hormonen, die bei Hunger und Sättigung eingreifen. Doch viele Wechselwirkungen sind noch nicht erforscht. Die wichtigsten Sättigungshormone im Überblick:
- Leptin gibt dem Körper permanent eine Rückmeldung zum Energiestatus. Das Hormon ist an die Fettdepots des Körpers gekoppelt. Wenn der Leptin-Wert sinkt, bekommen wir Hunger. Wenn wir Nahrung zu uns nehmen, steigt der Wert wieder und das Hormon unterstützt das Sättigungsgefühl.
- Ghrelin ist der Gegenspieler zum Leptin und wird auch "Hunger-Hormon" genannt. Wenn der Magen leer ist und der Körper Energie benötigt, steigt der Ghrelin-Wert. Wird gegessen, sinkt der Wert wieder.
- Wenn über den Darm Fettsäuren und Aminosäuren aufgenommen werden, wird Cholecystokinin produziert. Dieses Hormon ist ebenfalls für das Sättigungsgefühl verantwortlich.
- Das Verdauungshormon GLP-1 wirkt ebenfalls sättigend, es wird bei der Aufnahme von Glukose und Fettsäuren ausgeschüttet.
- Ebenfalls durch Glukoseanstieg werden die Hormone Amylin und Insulin produziert, die ebenfalls zum Sättigungsgefühl beitragen.
Wie lange dauert es, bis man sich satt fühlt?
Erst nach etwa 20 Minuten setzt in der Regel das bewusste Sattsein-Gefühl ein. Dabei spielen verschiedene Faktoren der Nahrungszusammensetzung eine Rolle:
- flüssige oder feste Nahrung
- Energiedichte der Nahrung
- Energiegehalt der Nahrung
Die Sättigung hängt an den Hormonen, die bei unterschiedlicher Nahrungszusammensetzung auch unterschiedlich stark ausgeschüttet werden. Das gilt zum Beispiel für süße Speisen wie Schokolade: Sie enthalten eine hohe Dosis an Glukose, aus der der Körper schnell Energie gewinnt. Süßes signalisiert dem Körper also einen kurzfristigen Energieschub. Leider ist es aber auch sehr kalorienreich und enthält meist kaum Ballaststoffe und andere wertvolle Nährstoffe. Das Süße lässt zudem den Blutzuckerspiegel sehr rasch ansteigen und nach der Ausschüttung von Insulin wieder stark abfallen, der niedrige Blutzuckerspiegel löst Hungergefühle aus.
Aber auch psychologische Aspekte spielen beim Sättigungsgefühl eine Rolle. Essen in einem besonders guten Restaurant oder das Miteinander mit vertrauten Menschen, beeinflussen unser Hunger- und Sättigungsgefühl.
Kein Sättigungsgefühl - Was sind die Ursachen?
Unser Körper ist darauf programmiert, verfügbare Nahrung sofort aufnehmen zu wollen. Doch in Zeiten, da Essen und Snacks ständig in Reichweite sind, wird das zum Problem. Außerdem essen wir oft, um uns zu belohnen, zu entspannen oder Stress zu bewältigen. Die Ursachen im Überblick:
- Chronischer Stress und Schlafmangel erhöhen den Cortisolspiegel, das Belohnungssystem im Gehirn triggert den Appetit auf Süßes und Fettiges. Die Folge: Betroffene greifen zu Chips oder Schokolade, um sich zu entspannen. Emotionen steuern unser Verhalten und die Wahrnehmung von körperlichen Sättigungsempfindungen tritt in den Hintergrund, wir nehmen sie nicht mehr so gut wahr. Außerdem verbraucht ein chronisch gestresstes Gehirn weniger Energie, es zieht weniger aus der Nahrung und überlässt mehr dem Körper. So wachsen die Fettpolster, weil die Lebensmittel schlechter verwertet wird.
- Ein fehlendes natürliches Sättigungsgefühl kann auch psychische Ursachen haben, ausgelöst zum Beispiel durch Traumata. Das kann bei Adipositas, aber auch Anorexie (Magersucht) oder Bulimie (Ess-Brech-Sucht) der Fall sein.
- Der Geschmack kann ebenfalls mit Emotionen verknüpft sein. Süßes wird in der Kindheit häufig als Belohnung geprägt. Auch Babys reagieren sehr auf süßen Geschmack, der kann mit Zuwendung und emotionaler Wärme verbunden sein und wenn wir ein Bedürfnis danach haben, dann greifen wir nach etwas, das nach innerer Wärme schmeckt - Schokolade zum Beispiel. Weil die Energiedichte hoch ist, können wir davon auch viel essen, ohne dass das Sättigungssystem anspringt.
- Fastfood: Pommes oder Burger haben eine hohe Energiedichte, bei einer vergleichsweise kleinen Menge. Der Magen fordert mehr, weil dieser noch nicht stark genug gedehnt ist. Dann wird das Essen schnell verzehrt, sodass kein Sättigungsgefühl eintreten kann.
- Das Hormon Leptin und die Fettzellen des Körpers sind direkt miteinander verbunden. Je mehr Fettzellen sich im Organismus befinden, desto höher ist der Leptin-Spiegel. Bei Übergewicht kann sich also eine sogenannte Leptin-Resistenz entwickeln. Das heißt, das Sättigungsgefühl ist bei den Betroffenen nicht mehr vorhanden. Besonders das Bauchfett spielt hier eine wichtige Rolle.
- Auch eine Diät kann das Sättigungsgefühl durcheinanderbringen: Wird die Kalorienzufuhr plötzlich stark gesenkt, antwortet der Körper mit Hunger. Grund ist eine starke Produktion des Hormons Ghrelin. Wird die Diät jetzt abgebrochen, kommt es zu Irritationen im Körper - ebenso, wenn die Diät weitergeführt wird und später wieder auf normales Essen umgestellt wird.
- Medikamente wie Antidepressiva, Antiepileptika und Antipsychotika, die direkt in den Hirnstoffwechsel eingreifen, können Auslöser für ein fehlendes Sättigungsgefühl sein. Auch Diabetes-Medikamente, Blutdruck-Mittel und Kortison können diese Wirkung haben.
- Heißhungerattacken treten häufig auf, wenn der Blutzucker schnell und stark abfällt. So können Mahlzeiten mit viel Zucker oder einfachen Kohlenhydraten dazu führen, dass das Sättigungsgefühl nicht lange vorhält.
Langsam essen und Pausen machen
Bewusstes Essen ist ein wichtiger Schritt für ein gesundes Essverhalten und damit auch zu einem Sättigungsgefühl. Wichtig ist, achtsam zu essen. Bereits im Mund können wir bewusst die Sättigung beeinflussen. Bewusstes und längeres Kauen trägt zu einer besseren Sättigung bei. Zudem machen unverarbeitete und natürliche Lebensmittel aufgrund hoher Nährwerte deutlich länger satt als Fastfood oder Fertiggerichte. Auch die Konsistenz der Lebensmittel spielt eine wichtige Rolle: Bissfeste Nahrung hält länger satt als eine Suppe ohne Beilage.
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