Eine Ärztin impft einen Jugendlichen © Colourbox Foto: AtlasStudio
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AUDIO: Grippewelle: Perspektiven und Impfung (6 Min)

Grippewelle: Wie wichtig ist eine Impfung auch für Kinder?

Stand: 26.01.2024 16:00 Uhr

Seit Anfang des Jahres hat die Zahl der Grippe-Erkrankungen in Deutschland zugenommen. Wem wird eine Impfung gegen das Influenza-Virus empfohlen und ist diese jetzt noch sinnvoll? Welche Rolle spielen Kinder in der Grippewelle?

von Korinna Hennig

Die Daten des Robert-Koch-Instituts sprechen eine deutliche Sprache: Die Influenza-Ansteckungskurve zeigt seit Jahresbeginn steil nach oben. Während die Zahl der Covid-Fälle langsam zurückgeht, hat die Grippe-Saison nun eindeutig begonnen. Besonders betroffen sind Schulkinder. Das war auch bei der Grippewelle auf der Südhalbkugel so, während unserer Sommermonate. Der Verlauf dort gilt generell als Indikator für den Verlauf der Infektsaison in Europa.

In Australien schwere, aber kurze Grippe-Saison

"In Australien sah man eine frühe, sehr schwere Influenza-Saison, mit einem sehr steilen Anstieg, die aber für australische Verhältnisse ungewöhnlich kurz war", sagt Tobias Ankermann, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Städtischen Krankenhaus Kiel. Fast ein Drittel der bestätigten Influenza-Infektionen in Australien betrafen Kinder unter neun Jahren. Besorgniserregend: Auch die Zahl der Todesfälle unter ihnen war besonders hoch im Vergleich zu Influenza-Epidemien, die vor der Corona-Pandemie beobachtet wurden. Trotzdem kann Gülsah Gabriel vom Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg daraus keine ungewöhnliche Bedrohungslage für Europa ableiten, denn wie sehr vor allem ungeimpfte Kinder mit Vorerkrankungen betroffen waren, zeigen die Daten beispielsweise nicht.  

Zahl der Ansteckungen bestimmt nicht allein der Virustyp 

Für die Frage, wie schwer eine Grippewelle die Bevölkerung trifft, sind verschiedene Faktoren von Bedeutung. "Allein durch die intrinsische Virulenz des Virus lässt sich das nicht erklären", sagt die Influenzaforscherin - also durch krank machende Eigenschaften des Virus. "Es gibt auch keinen Hinweis, dass das Virus sich so verändert hat, dass es besonders Kinder infiziert."

Es könnten also weiter Nachholeffekte durch die Corona-Pandemie in Australien eine Rolle gespielt haben. Weil viele über einen längeren Zeitraum keinen Kontakt mit Influenza-Viren hatten, hat sich die Immunität in der Gesamtbevölkerung verändert, das verschiebt auch die Ansteckungsdynamik. Manchmal spiele es auch eine Rolle, wenn die Saison der verschiedenen Erreger sich verschiebt und sie aufeinander treffen, meint Gabriel. "Man könnte theoretisch auch eine Doppelinfektion oder sukzessiv aufeinanderfolgende Infektionen nicht ausschließen."  

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Bisher keine Anzeichen für schwere Grippewelle in Deutschland

Der Kieler Kinderarzt Tobias Ankermann sieht den bisherigen Influenza-Verlauf in seiner Klinik - aber auch bei anderen Viren - eher wieder in normalerem Fahrwasser als in den Vorjahren, etwa bei den besonders für Säuglinge und Kleinkinder nicht ungefährlichen RSV-Infektionen: "Erst jetzt, mit Anfang des Jahres, beginnt die Saison. Die Anstiegs-Kinetik und auch die Altersverteilung entspricht momentan einer normalen Influenza-Saison. Wir haben aktuell einzelne Kinder mit Influenza. Führender Erreger war bisher RSV, und jetzt kommen einzelne Influenza-Fälle." 

Beruhigend könnte auch sein, dass zurzeit ein Influenza-A-Erreger in Deutschland dominiert, der streng genommen ein alter Bekannter ist und seit 2009 immer wieder kursiert. "Diese H1N1 Influenzaviren sind hauptsächlich für milde Erkrankungen verantwortlich", erklärt Virologin Gabriel. Denn sie infizieren vor allem die oberen Atemwege und werden darum besonders effizient über Tröpfchen und Aerosole übertragen, verursachen dafür aber eher weniger primäre Lungenentzündungen. An zweiter Stelle, aber deutlich seltener, rangiert ein weiterer Subtyp, der auch die unteren Atemwege befällt. 

Die Welle steht erst am Anfang 

Wie schwer die Grippewelle in Deutschland jetzt noch werden kann, wird nach Einschätzung von Kinderarzt Ankermann erst die Entwicklung der kommenden zwei Wochen zeigen. "Ich denke, dass wir in sieben bis 14 Tagen mehr sagen können, wir sind jetzt am Anfang des Anstiegs."

Laut dem Mainzer Kinderarzt Fred Zepp, der auch Mitglied der Ständigen Impfkommission (Stiko) ist, erkranken jedes Jahr geschätzt 20 bis 30 Prozent der Kinder an Influenza, das sei in etwa vergleichbar mit der Krankheitslast bei Covid. Lebensbedrohliche Verläufe sind dabei sehr selten.

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Impfung kann auch für Jüngere sinnvoll sein

Viele Kinderärzte impfen schon jetzt auch ohne Stiko-Empfehlung gegen Influenza, die meisten größeren Krankenkassen übernehmen dafür freiwillig die Kosten. Kinderarzt Ankermann sagt, es gebe gute Gründe, sein Kind mittels einer Impfung vor der Grippe zu schützen. "Wenn man Kinder gesehen hat, die an Influenza erkranken, auch ohne Komplikation - das ist eine schwere Virusinfektion. Und wenn man den Kindern das ersparen oder es abschwächen kann, ist das gut."

Vor allem Säuglinge und Kleinkinder gelten als gefährdet, wenn ihre Mütter sich nicht während der Schwangerschaft haben impfen lassen. Die WHO empfiehlt die Impfung für alle Kinder im Alter von sechs Monaten bis fünf Jahren. Auch in Europa folgen einige Länder dieser Empfehlung. Ähnlich wie bei Covid könne es auch nach einer Influenza-Infektion Langzeitschäden geben, betont Markus Rose, ärztlicher Leiter des Bereichs Pädiatrische Pneumologie im Olgahospital am Klinikum in Stuttgart. Für die Lunge ist das Risiko einer US-Studie zufolge sogar größer als nach einer Corona-Infektion. 

Besondere Rolle der Kinder 

Trotzdem wollte die Stiko eine allgemeine Impfempfehlung für gesunde Kinder bisher nicht geben. Kinderarzt Fred Zepp argumentiert auch mit der schwankenden Wirksamkeit des Impfstoffs: Weil sich das Virus schnell verändert und meist mehrere Subtypen eine Rolle spielen, erfasst auch der jährliche angepasste Impfstoff oft längst nicht alle Erreger. Die Wirksamkeit gegen Erkrankung ist deshalb von Jahr zu Jahr unterschiedlich und liegt mal bei 70, in schlechten Jahren aber auch nur bei 30 Prozent.   

Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte und auch manche Epidemiologen argumentieren dennoch: Kinder könnten die Viren unbemerkt an Risiko-Personen wie Großeltern weitergeben, denn sie haben viel mehr Kontakte als Erwachsene. Und ein Drittel aller Influenza-infizierten Menschen entwickeln in der Regel gar keine Symptome.

Geringe Impfquoten bei Älteren 

Die Virologin Gabriel betont allerdings, das individuelle Wohl der Kinder müsse im Vordergrund stehen. Für Ältere gebe es schließlich eine Impfempfehlung, allerdings wird die Impfung in Deutschland von nicht einmal der Hälfte der betroffenen Altersgruppe in Anspruch genommen - in Dänemark etwa sind es fast doppelt so viele. Dieses Defizit sollten die Kinder nicht ausgleichen müssen, meint Gabriel, zumal schwer zu erfassen sei, inwiefern eine Impfung auch bei symptomlosen Infizierten noch einen Effekt hat.

Die Stiko hat sich die Frage der indirekten Effekte durch eine Kinderimpfung trotzdem für dieses Jahr vorgenommen. Klar ist: Je mehr Menschen sich impfen lassen, desto besser schützen sie auch ältere Personen mit, bei denen die Impfung nicht so gut funktioniert, das zeigen Erkenntnisse und Interventionsstudien aus anderen Ländern.

Für die aktuelle Saison käme eine neue Stiko-Entscheidung nicht mehr rechtzeitig. Trotzdem könnte eine Grippeschutzimpfung für den Einzelnen durchaus noch Sinn machen, denn die Saison dauert üblicherweise bis April, und ersten WHO-Daten zufolge hat der Impfstoff in diesem Jahr eine hohe Trefferquote.
 

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NDR Info | Wissen | 25.01.2024 | 07:53 Uhr

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