Fehldiagnose bei Knieschmerzen vermeiden
Es drückt, es knirscht, es schmerzt oder sticht - Beschwerden im Knie sind so vielfältig wie ihre möglichen Ursachen. Das Knie ist ein kompliziertes Gelenk, und das macht den Weg zur richtigen Diagnose oft schwierig. Fehldiagnosen und unnötige Operationen sind für Betroffene belastend und gerade bei Kniebeschwerden nicht selten. So stellt sich unter Umständen erst nach Jahren heraus, dass ein Arthrose-Patient in Wahrheit an einer Fehlstellung der Kniescheibe leidet.
Internationalen Studien zufolge liegen Ärzte in rund 15 Prozent aller Diagnosen daneben. Genaue Zahlen für Deutschland gibt es nicht, doch Fachleute gehen hier von einer vergleichbaren Quote aus.
Dutzende mögliche Ursachen für Knieschmerz
"Häufig werden Ursachen für Kniebeschwerden ausschließlich im Gelenk selbst gesucht, in vielen Fällen sind aber die umgebenen Muskeln und Bänder Ursache für die Beschwerden", gibt Orthopäde und Sportmediziner Dr. Helge Riepenhof zu bedenken. Zu den geläufigsten Beschwerden gehören Probleme mit der Kniescheibe, mit den Kreuzbändern und Meniskusverletzungen. Doch es kommen noch ganz andere Krankheiten infrage, die sich durch Knieschmerzen bemerkbar machen können. Darunter fallen zum Beispiel die rheumatoide Arthritis, aber auch Gicht, Schuppenflechte, die durch Zecken verbreitete Borreliose oder Infektionskrankheiten.
Genaue Beschreibung der Schmerzen bringt erste Spur
Wesentliche Hinweise auf die Ursache der Beschwerden liefert meist schon das Patientengespräch. Deshalb ist es enorm wichtig, dass der Arzt sich genug Zeit nimmt, damit der Patient seine Schmerzen so genau wie möglich beschreibt. Vier einfache Fragen bringen den Arzt in der Regel auf die richtige Spur:
Nach dem Gespräch untersucht der Arzt das Knie sorgfältig, prüft die Beweglichkeit und Stabilität des Gelenks und tastet es auf mögliche Schwellungen oder Ergüsse ab. Danach untersucht er Muskeln und angrenzende Gelenke wie Hüfte und Sprunggelenk, um Zusammenhänge abzuklären.
Beim Verdacht auf entzündliche Prozesse kommen diverse Blutuntersuchungen hinzu, etwa auf Entzündungs- und Rheumafaktoren, bei Gicht-Verdacht auch auf erhöhte Harnsäurewerte. In seltenen Fällen kann eine Punktion nötig werden, um die Gelenkflüssigkeit im Labor auf Anzeichen für Rheuma oder bestimmte Keime untersuchen zu lassen. Die Punktion selbst birgt wiederum ein nicht ganz auszuschließendes Infektionsrisiko.
Wann Röntgen, MRT und Ultraschall sinnvoll sind
Wenn eine Behandlung mit Physiotherapie und die Einnahme von Schmerzmitteln keine rasche Linderung bringt, greift der Arzt auf bildgebende Verfahren zurück, bei Arthrose-Verdacht vor allem auf Röntgen. Bei jüngeren Menschen kommen statt Röntgenaufnahmen eher Kernspintomografie (MRT) oder Ultraschall in Betracht, denn damit lassen sich mögliche Schäden an Weichteilen wie Bändern oder Menisken besser beurteilen. Selten werden nuklearmedizinische Untersuchungen (Knochenszintigrafie) nötig sein - sie geben Aufschluss über Veränderungen im Knochenstoffwechsel, etwa durch Entzündungen oder Tumoren.
Weisen die Untersuchungsbefunde des Arztes und die Bilder der Kernspintomografie klar auf mechanische Probleme wie eine Meniskus- oder Kreuzbandverletzung hin, dann kann eine Gelenkspiegelung (Arthroskopie) angezeigt sein. Als operatives (sogenanntes minimalinvasives) Verfahren ermöglicht sie den direkten Blick ins Gelenk und die Chance, den Schaden zu reduzieren.
Operation als letztes Mittel
"Vor einer Operation sollte allerdings - wenn es kein Notfall ist - immer eine Behandlung mit Physiotherapie und gegebenenfalls mit schmerzlindernden Medikamenten versucht werden", betont der Orthopäde und Rehabilitationsmediziner Dr. Christian Sturm. Besonders stabilisierende Übungen und die Eigenwahrnehmung (Proprioception) seien dabei wichtig - diese Maßnahmen und könnten mittel- und langfristig die Beschwerden oft lindern: "Als Betroffener kann man hier viel selbst zu Hause tun, zum Beispiel täglich Übungen im Einbeinstand machen."
Bei Unsicherheit zweite Meinung einholen
Bei allen modernen technischen Möglichkeiten bleiben das ausführliche Gespräch und die genaue Untersuchung durch den Arzt der wichtigste Teil der Diagnostik. Ein Röntgenbild allein ist keine hinreichende Diagnose - und gerade die Fehlerraten beim Interpretieren von Röntgenbildern sind mit zehn Prozent auch nicht gerade gering, das ergab eine große Metaanalyse in den USA 2008.
Patienten sollten deshalb ihrem Körper vertrauen und einen Arzt suchen, der das Problem ernst nimmt und versteht. Wer unsicher ist, sollte spätestens beim Stichwort "OP" eine zweite Meinung einholen, um einen unnötigen Eingriff zu vermeiden.