Stand: 12.03.2019 11:32 Uhr

Chat zu Kniebeschwerden, Fatigue und Osteoporose

Porträt von Dr. Christian Sturm. © NDR
Dr. Christian Sturm arbeitet im Bereich der Sport- und Rehabilitationsmedizin mit ganzheitlichem Blickwinkel.

Bewegung als Medizin: Wie sieht das beste Bewegungsprogramm aus, wenn ich gesund bleiben oder gegen bestimmte Beschwerden angehen will? Was kann ich bei Kniebeschwerden tun? Was muss ich bei einem Erschöpfungssyndrom beachten? Wie viel Bewegung ist bei Osteoporose hilfreich?

Um diese Themen ging es in Folge 4 der Bewegungs-Docs. Nach der Sendung hat Dr. Christian Sturm Ihre Fragen im Chat beantwortet. Das Chatprotokoll zum Nachlesen.

Linda: Weiblich, 54 Jahre, 172 cm, 60 kg. Rat des Hausarztes: Dekristol 1.000 I.E. zwei Mal täglich im Winter und einmal täglich im Sommer ohne vorherige Messung des Vitamin-D-Spiegels beziehungsweise der Knochendichte. Ist das in Ordnung und ausreichend?

Dr. Christian Sturm: Vitamin D haben in Deutschland fast alle Menschen zu wenig, daher ist ein Labortest meist nicht nötig. Generell würde ich im Winter Vitamin D für jeden empfehlen, im Sommer eher nur für Risikopatienten wie sie oder Menschen, die wenig im Freien sind und sich wenig bewegen.

Mary: Bin 70 Jahre. Hatte vor eineinhalb Jahren einen Herzinfarkt und habe schon seit sieben Jahren Arthrose in beiden Knien und Füßen auf dem Rist. Was kann ich machen, um eine Operation hinauszuzögern?

Sturm: Bei einigen Erkrankungen ist es praktisch, dass sie der gleichen Therapie bedürfen. Sowohl ihr Herzinfarkt als auch die Arthrose bedürfen schonender Bewegung, die man aber langsam steigern darf und sollte - also gegen beides gemeinsam hilfreich.

U.F.: Ich leide seit Jahren unter Dauerstress. Mittlerweile bin ich körperlich kaum noch belastbar. Schwimme ich beispielsweise 15 Minuten lang, fühle ich mich ein bis zwei Stunden danach krank und mir tut alles weh. Am nächsten Tag habe ich ziemlich sicher Migräne. Wie komme ich wieder auf die Beine?

Sturm: Gerade Symptome wie Burnout oder die beschriebene Fatigue werden durch Bewegung und aerobes Ausdauertraining langsam besser, das ist auch gut für den Hormonstoffwechsel und die Stimmung. Aber das darf man nur langsam steigern und man muss vorsichtig starten - also oft, aber zunächst nicht so intensiv und lange.

Christiane: Eine Frage zu Vibrationsplatten: Sollte das ein medizinisches Gerät sein oder reicht auch eines, das für die Muskelstärkung vorgesehen ist? Die Anschaffung dieser ist wesentlich günstiger.

Sturm: Vibrationsplatten sind fast alle sehr gut für die Stimulation und daher fürs Training, da gehen auch die günstigen vom Discounter. Natürlich gibt es auch dort Ausnahmen, die eine nicht ausreichend hohe Amplitude in der Schwingung haben.

Seifenblase: Habe seit cirka vier Wochen einen Reizerguss (laut Orthopäde) oberhalb des Knies, rechts außen. Was hilft gegen das Wasser oberhalb des Gelenks? Weiblich, 46 Jahre, Ausdauer- und Kraftsport etwa fünf Mal pro Woche.

Sturm: Der Erguss kommt meist durch die Produktion von zu viel Gelenkschmiere durch die Knie-Innenhaut, was zum Beispiel durch mechanische Überreizung passiert. Dann möchte das Knie sich besser "schmieren" und meint es gut, aber das führt zu Schwellungen und Schmerzen, oben am Knie ist eine Umschlagfalte, da sammelt sich das dann.

Finny: Was halten Sie von einem gutem Minitrampolin zur Vorbeugung von Osteoporose?

Sturm: Ein Trampolin ist eine gutes Trainingsgerät, da es staucht und damit den Knochen reizt. Zudem braucht man Balance (gut gegen Stürze im Alltag) und die Muskeln werden beim Ausgleichen gefordert. Das setzt aber natürlich ausreichende Stabilität voraus und die Spannung des Trampolins muss darauf abgestimmt sein.

Pudschi: Ich habe starke Osteoporose wegen vieler Risikofaktoren, wie Bewegungsmangel nach einem Schädel-Hirn-Trauma mit körperlichen Einschränkungen mit acht Jahren, zudem Untergewicht. Daher sind mir viele Übungen nicht machbar. Wissen Sie auch leichte Varianten oder was kann ich noch tun?

Sturm: Gerade wenn die Osteoporose durch lange Inaktivität entstanden ist, wie nach Unfällen, dann kann man sie meist durch stimulierendes Training besonders gut wieder in den Griff bekommen. Gute Ernährung mit Eiweiß, Calcium und Vitamin D ist zudem wichtig.

Lisa: Sind Vibrationsplatte und Trampolin zu empfehlen, wenn hinter der Kniescheibe bereits kein Knorpel mehr vorhanden ist? Oder schadet es sogar?

Sturm: Auch wenn an einer Seite des Knorpels der Kniescheibe schon starke Schäden vorhanden sind, kann man dies durch Zentrierung der Kniescheibe meist gut entlasten oder die Kniescheibe sogar "überkorrigieren", in dem man sie muskulär sogar in die Gegenrichtung zieht.

Birgit: Seit einer abrupten Verdrehung des Knies habe ich Schmerzen an den Innenseiten der Knie und Oberschenkel. Das MRT zeigt Knorpelveränderung zweiten Grades, es ist keine Struktur verletzt, das Problem besteht nur muskulär. Physiotherapie blieb bisher ohne Erfolg. Die größte Beeinträchtigung ist für mich, dass nach kurzer Zeit des Fahrradfahrens die Schmerzen kommen. Sonst wird bei Arthrose immer Radfahren empfohlen. Haben Sie eine Idee warum das bei mir nicht klappt?

Sturm: Knorpelschäden sind zwar auch Strukturschäden, aber es scheint ja zum Glück nichts gerissen zu sein. Oft sind die so genannten Retinakula an den Schmerzen beteiligt und werden in der Therapie oft übersehen. Diese stabilisieren die Kniescheibe zu den Seiten hin und sind oft überfordert.

Philipp_DUS: Ich habe seit einigen Jahren linksseitige Schmerzen, teilweise von der Fußsohle über Knie, Hüfte, LWS bis hin zu Schulter und dem Nacken- und Kopfbereich. Insbesondere die Wade ist phasenweise spontan sehr schwach und das Knie schmerzhaft bei Belastung. Was kann ich tun, um dem entgegenzuwirken und kann ich bedenkenlos Sport treiben?

Sturm: Auch bei Knieschmerzen muss man allerdings an Ursachen weiter oben denken. Wenn wie bei ihnen scheinbar das ganze Bein "im Strahl" betroffen ist, kann auch eine Nervenkompression wie bei einem Bandscheibenvorfall oder einem Piriformis-Syndrom (wahrscheinlicher) für den Knie- und Beinschmerz verantwortlich sein. Dann hilft Therapie am Knie natürlich nicht.

Lisa: Retropatellar medial Chondromalazie Grad 4 (auch Gleitlager). Akut starke Schmerzen, warmes Knie und brennende Kniescheibe - trotzdem bewegen? Bandage für Stabilität ratsam?

Sturm: Wenn das Knie gerade akut betroffen ist und wirklich warm und rot nach Belastungen ist, sollte man ihm in der Tat eine Pause gönnen. Wenn es nicht rasch besser wird, muss man auch eine Infektion im Gelenk vom Arzt abklären lassen. Sonst helfen Hausmittel wie Quarkwickel und Kohl oder antientzündliche Kräutermischungen - oder natürlich Medikamente die antientzündlich wirken wie beispielsweise Diclofenac-Präparate. Dann sanft wieder mit Bewegung starten, wenn die Akut-Phase vorüber ist.

AndreaF: Schadet Krafttraining mit hohen Gewichten den Gelenke? Zum Beispiel Squads mit 50 Kilogramm und mehr?

Sturm: Hohe Gewichte sind nicht grundsätzlich gut oder schlecht. Man muss dem Körper Zeit geben sich stufenweise daran anzupassen (Adaptation), das dauert gerade bei Sehnen länger. Muskeln passen sich gut an. Die Gelenkstellung muss beim Training, gerade bei ruckartigem, aber perfekt eingestellt sein, damit es nicht zu mehr Verschleiß kommt.

Sophie.Barbara.Ines: Sehr geehrter Dr. Sturm, wir haben die heutige Sendung verfolgt und wir finden den Ansatz ihrer Sendung sehr bereichernd. Ihr Beitrag erreicht viele Patienten und hilft mit Sicherheit vielen Menschen, Mut zu fassen. Vielen Dank für die Auseinandersetzung mit diesen wichtigen Themen! Wir sind Physiotherapeuten wollen Ihnen gerne Feedback zu Ihrer Sendung geben. Zunächst finden wir es sehr schön, dass sie die Bewegung so in den Vordergrund stellen und Patienten dahingehend gut beraten. Bei dem Fall des Osteoporose-Patienten verwendeten sie die bildliche Darstellung des Jenga-Turms und ließen Bausteine herausziehen. Dadurch könnten jedoch die Ängste der Patienten verstärkt werden, wenn sie sehen wie instabil der Turm wird. Metaphern wie der Turm prägen sich sehr lange und sehr deutlich in das Gedächtnis von Patienten, dieses ständige Bild könnte die Bewegungsangst der Patienten stark erhöhen. Ein anderer Ansatz wäre eine positivere Darstellung. Anstatt die Balken zu entfernen, die Balken, die das Krafttraining darstellen, in den Turm einzubauen und dadurch den Turm wieder zu stabilisieren. Somit kann das Selbstbild der Patienten gestärkt werden. Außerdem empfehlen wir bei Bewegungsübungen (laut der aktuellen Studienlage zum motorischen Lernen) immer einen externen Fokus zu setzen.

Sturm: Vielen Dank für die Rückmeldung. Das Bild mit dem Turm ist natürlich kein schönes, wenn man dadurch die Angst hat, es könne etwas passieren. Leider ist dies in extremen Fällen - wie bei unserem Patienten - ja auch so und wir motivieren ja trotz dieser besonderen Situation ausdrücklich zu Bewegung, Training und Kraftsport. Auch Studien zeigen, dass Training gute Effekte auf den Stoffwechsel und die Standstabilität hat. Das Vorbild des Patienten soll da auch für viele Motivator sein, die ja meist viel weniger extrem betroffen sind. Aber wir nehmen ihre Anmerkungen gerne auf.

Mary: Welche Sportarten würden Sie mir empfehlen bei Arthrose in beiden Knien und unsicherem Gang? Bin schon oft gefallen, möchte aber gerne auch wieder spazieren gehen. Zurzeit ist das nur mit dem Rollator möglich. Helfen Medikamente?

Sturm: Wenn sie aktuell sogar nur am Rollator gehfähig sind, wäre ein begleitetes Training für sie sicher der richtige Start. Das ginge zum Beispiel mit einem "Rezept", also einer Heilmittelverordnung vom Arzt für Krankengymnastik am Gerät (KGG), bei der unter geschützten Bedingungen mit speziell geschulten Physiotherapeuten für sie ein Schema mit vorsichtigem Aufbau erarbeitet und begleitet wird.

Helga W.: Ich bin in Hannover Fitness- und Gesundheitstrainerin und unterrichte in verschiedenen Vereinen Gruppen in Herz-, Fitness- und Entspannungsport sowie in Yoga. Jetzt bin ich seit Januar so erschöpft und habe heftige Schmerzen im rechten Bein, im Oberschenkel bis zum Knie außenseitig. Ich bin verzweifelt. Das Auftreten schmerzt so sehr. Vielleicht ist ja auch meine Kniescheibe verrutscht. Ich hoffe, es ist nur ein muskuläres Problem, obwohl 2012 eine Stenose und auch Arthrose festgestellt worden ist.

Sturm: Außen am Bein herunterziehend kann es auch der sogenannte Tractus iliotibialis sein, der als verstärkter Faszienstreifen das Bein außen stabilisiert. Er macht gerne Schmerzen außen am Knie, wenn er zu stark gespannt ist. Hier helfen Faszienrolle, Dehnung und eventuell manuelle Therapie.

W. R.: Bin männlich, 58 Jahre und habe seit 2012 die Diagnose Osteoporose. Damaliger Wert der Knochendichtemessung L1 - L4: -2,9 / Hals -1,3 / Gesamt -2,0. Erneute Messung 01.2019 : L1 - L4 : -3,3 / Hals -1,6 / Gesamt -2,2. Es konnten keine Ursachen für die Osteoporose, trotz umfangreicher Untersuchungen, gefunden werden. Würden Sie mir raten zusätzlich zur Einnahme von Dekristol 20.000 I.E. (alle zwei Wochen, Wert: 25-OH-Vitamin D: 105 nmol/l) zusätzlich knochenaufbauende Medikamente zu nehmen?

Sturm: Wie bei unserem Patienten sind die Ursachen ja oft nicht genau bestimmbar und eine medikamentöse Therapie setzt meist ja eine genaue Diagnose voraus. Daher würde ich ihnen eine Vorstellung bei einem Spezialisten, zum Beispiel einem Osteologen empfehlen, der ihnen hilft herauszufinden, was die Ursache ist und ob sie Medikamente benötigen.

Rippenbruch: Welche Rolle spielt Adipositas bei Arthrose? Ich wiege jetzt seit zwei Jahren 40 Kilogramm weniger und meine Gelenkprobleme sind nicht besser trotz Normalgewicht. Auch der Bluthochdruck und die hohen Zucker- und Blutfettwerte sind nicht weg.

Sturm: Gewicht ist wichtig, aber nicht alles. Schwere, aber muskulär sehr stabile Menschen haben oft weniger Beschwerden als sehr schlanke Menschen ohne ausreichende muskuläre Führung ihrer Gelenke. Daher sind Bewegung und vorsichtiges Training besonders wichtig - auch um den Blutdruck und Blutzucker zu verbessern. All dies ist durch Training positiv zu beeinflussen.

Christina: Meine Knie knirschen heftig beim Sporttreiben. Ist das schlimm oder trotzdem weiter bewegen?

Sturm: Das Knirschen kann in der Tat ein Hinweis darauf sein, dass ihre Kniescheibe nicht mittig gut in der Gleitrinne läuft oder generell der Druck hinter der Kniescheibe - zum Beispiel durch zu starken Muskelzug - zu hoch ist und daher das Risiko für frühzeitigen Verschleiß an der Stelle droht.

Brigitte: Bin 79 Jahre, wiege 62 Kilogramm und habe 2009 eine nicht zementierte Hüftprothese bekommen. Ich tue fast alles damit. Drei Mal in der Woche Fitness in der hauseigenen "Muckibude", wandern, worken, Kraft und Ausdauertraining. Alles geht seit zehn Jahren gut. Nun hat sich mein Mann eine nicht ganz billige Rüttelplatte zugelegt und meint, ich kann diese auch benutzen. Kann ich mich mich auch darauf wagen, bis jetzt hab ich das abgelehnt?

Sturm: Das ist eine sehr gute Frage und da scheiden sich die Geister. Viele sagen, dass es gut trainiert. Formell sollte man aber bei einliegenden Metallteilen, wie einer Prothese, die Vibrationsplatten nicht nutzen, da das Risiko für frühzeitige Auslockerung besteht durch die Mikrovibrationen.

Abby28: Ich habe ebenfalls nach einer Brustkrebserkrankung das Erschöpfungssyndrom, aber noch zusätzlich eine Polyneurophatie, die nach Aussage der Ärzte vier Jahre nach der Therapie auch wohl nicht mehr weggeht. Also Zumba geht bei mir nicht, weil ich ohne Gehhilfe sehr wackelig bin. Was kann ich tun? Trampolin geht auch nicht, weil ich zwei künstliche Hüften habe.

Sturm: Gerade wenn man merkt, dass vieles nicht mehr geht oder noch nicht wieder geht, sollte man dringend mit Training beginnen. Je weiter man ohne Bewegung absackt in der Leistungsfähigkeit, umso schwieriger wird der Neustart. Daher unbedingt mit vorsichtigem Gleichgewichtstraining starten, beispielsweise Einbeinstand, während eine Hand immer an einer festen Stange oder einer Türklinge ruht, an der man sich festhalten kann. Oder Nordic Walking langsam und vorsichtig, damit man sich zusätzlich mit den Armen sichert. Wenn alles zu schwer oder riskant erscheint, erst mal in physiotherapeutische Begleitung starten.

Claudia H.: Mir wurde gesagt, dass ich Osteoporose habe. Mir wurde Funktionssport und Reha-Sport verschrieben. Hilft mir das bei Osteoporose? Ich bin 45 Jahre alt.

Sturm: Das ist generell schwer zu beantworten, weil im Reha-Sport oder Funktionstraining von Wassergymnastik bis zum Sportverein alles möglich wäre. Grundsätzlich kann man aber ja sagen, dass jede Form von Bewegung gut ist auch für die Osteoporose. Aber die Sportart und das Training sollte schon möglichst spezifisch sein, dies ist aber im Rahmen von Funktionstraining und Rehasport möglich, muss nur genau mit den Anbietern vor Ort besprochen werden.

Silvi31: Bei Osteopenie soll Joggen gut sein zur Vorbeugung einer Osteoporose. Stimmt das?

Sturm: Ja, das entspricht ja den gezeigten Stauchungen, die Muskeln und Knochen stimulieren. Durch den Aufprall beim Joggen tritt dies ein und kann den Knochen wieder zu mehr Aufbau anregen und damit der Entwicklung von der Osteopenie zur Osteoporose vorbeugen und sogar die Osteopenie lindern im Idealfall.

Dieses Thema im Programm:

Die Bewegungs-Docs | 15.01.2020 | 21:00 Uhr

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