ADHS bei Erwachsenen: Symptome, Diagnostik und Therapie
Auch im Erwachsenenalter können ADHS-Symptome zu Schwierigkeiten im Alltag führen. Was sind die typischen Anzeichen? Welche Diagnostik gibt es? Und welche Therapie hilft?
Sich schwer konzentrieren können, Aufgaben aufschieben, zu spät kommen, Gegenstände verlieren, frustriert oder ungeduldig sein - das haben die meisten Menschen schon erlebt. Bei Manchen passieren diese Dinge aber so oft, dass der Alltag, die Karriere und die Beziehungen negativ beeinflusst werden. Dann kann ADHS, das Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, dahinterstecken.
Dieses Syndrom ist besonders aus der Kinder- und Jugendmedizin bekannt. Es betrifft aber bei Weitem nicht nur Kinder und Jugendliche. Etwa fünf Prozent aller Erwachsenen in Deutschland haben eine ADHS-Diagnose. Manche von ihnen haben lange Leidenswege hinter sich. Mithilfe der richtigen Unterstützung und Therapie können die meisten Betroffenen einen guten Umgang mit ADHS erlernen.
Wie entsteht ADHS bei Erwachsenen?
ADHS entsteht im Kindesalter - je nach Definition treten erste Anzeichen vor dem zwölften oder dem siebten Geburtstag auf. Ursächlich ist wahrscheinlich das Zusammenspiel verschiedener Aspekte. Nach dem aktuellen Wissensstand sind genetische und umweltbezogene Faktoren vorrangig.
Obwohl die Symptome mit dem Alter oft abnehmen, haben etwa 70 Prozent der ADHS-diagnostizierten Kinder oder Jugendlichen auch nach dem 18. Lebensjahr noch Symptome. Bis zu 15 Prozent erfüllen auch als Erwachsene noch die kompletten Diagnosekriterien.
Trotz Anzeichen während der Kindheit und Jugend erhalten einige Betroffene die ADHS-Diagnose erst im Erwachsenenalter. Grund dafür: Die Aufmerksamkeit für ADHS ist erst in den vergangenen Jahren gestiegen und Symptome wurden bei Kindern oftmals nicht ernst genommen. Manche Erwachsene merken erst, dass sie selbst betroffen sein könnten, wenn bei ihren Kindern Auffälligkeiten vorliegen.
ADHS: Symptome bei Erwachsenen
Ein Aufmerksamkeitsdefizit, Hyperaktivität und Impulsivität sind die ADHS-Kernsymptome - auch im Erwachsenenalter. Wichtig ist: ADHS äußert sich bei allen Betroffenen anders. Die Symptome und ihre Ausprägung unterscheiden sich. Im Folgenden werden also lediglich typische Anzeichen und Verlaufsformen beschrieben, die so nicht bei allen Betroffenen bestehen müssen.
Wie äußert sich Hyperaktivität bei Erwachsenen?
Meistens nehmen die Symptome im Erwachsenenalter ab oder werden weniger offensichtlich. Insbesondere die körperliche Hyperaktivität und körperliche Unruhe wird oft schwächer und kann dann eher als innere Anspannung, Getriebenheit oder ein Rasen der Gedanken bemerkt werden. Die Unruhe kann aber auch bei Erwachsenen als Beinwippen, Fingertrommeln oder besonderer Rededrang nach außen sichtbar sein. Betroffene kompensieren ihre überschüssige Energie und Anspannung teilweise mit exzessivem Sport.
Symptom Impulsivität
Erwachsene mit ausgeprägter Impulsivität unterbrechen typischerweise häufig in Gesprächen. Entscheidungen werden zum Teil vorschnell und ohne das Bedenken der Konsequenzen getroffen - was Beziehungen und den beruflichen Werdegang beeinflussen kann. Impulsive ADHS-Betroffene sind eher ungeduldig, neigen zu unüberlegten Spontankäufen und einem risikoreichen Verhalten. Häufig werden starke Stimmungsschwankungen, eine niedrige Toleranz für Frustration und Stress sowie eine leichte Reizbarkeit beschrieben.
Starke Konzentrationsschwäche: Anzeichen für ADS
Einige erwachsene ADHS-Betroffene leiden primär unter einer starken Konzentrationsschwäche und Unaufmerksamkeit. Eine Hyperaktivität und Störung der Impulskontrolle sind bei ihnen wenig ausgebildet. Dieser vorwiegend durch Unaufmerksamkeit geprägte Typ wird auch als ADS (Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom) bezeichnet. Das Aufmerksamkeitsdefizit führt dazu, dass die Personen vermehrt Termine vergessen und ihre Schlüssel oder andere Gegenstände verlegen. Die Konzentrationsschwäche und Vergesslichkeit können auch im Beruf hinderlich werden und zu Flüchtigkeitsfehlern führen.
Probleme in Alltag, Beruf und Beziehung
Personen mit ADHS fällt es oft schwer, ihren Alltag gut zu organisieren. Sie sind typischerweise schnell gelangweilt, aber auch schnell überfordert. Aufgrund der Unaufmerksamkeit und einer impulsiveren, risikoreicheren Fahrweise ist das Unfallrisiko im Straßenverkehr erhöht. Schwierigkeiten im Beruf führen dazu, dass Betroffene öfter ihren Arbeitsplatz wechseln und häufiger arbeitslos sind.
Auch im Privaten können Partnerschaften und Freundschaften unter dem ADHS leiden: So können impulsive Wutausbrüche, unberechenbare Stimmungsschwankungen und das Nicht-Einhalten von Absprachen zu Konflikten in Beziehungen führen. Eine starke Unaufmerksamkeit wird oft als mangelndes Interesse an der anderen Person gedeutet. In Partnerschaften ist oft auch die Sexualität beeinflusst: So fällt es den ADHS-Betroffenen auch in intimen Situationen schwer, sich auf eine Sache zu konzentrieren, sie sind schnell abgelenkt und können dadurch für den Partner oder die Partnerin als abweisend wahrgenommen werden.
Einige ADHS-Betroffene erreichen aufgrund der Schwierigkeiten ihre Ziele sowohl im Privatleben als auch bei der Arbeit nicht. Die häufigen Misserfolge führen oft zu Selbstzweifeln und einem mangelnden Selbstbewusstsein.
Positive Symptome und Eigenschaften
Nicht alle typischen Eigenschaften von ADHS-Betroffenen sind negativ. So gelten Personen mit ADHS als besonders kreativ und erfinderisch. Wenn sie von etwas begeistert sind, können sie sich stundenlang mit kompletter Aufmerksamkeit darauf fokussieren. Oft vergessen sie dann alles um sich herum.
Zu den weiteren typischen Stärken zählen besonderer Mut, Spontanität, Ehrlichkeit, Offenheit für Neues und viel Energie. Viele Personen mit ADHS erleben auch ihre positiven Gefühle als sehr intensiv. Sie gelten als feinfühlig und hilfsbereit.
Häufige Begleiterkrankungen bei Erwachsenen mit ADHS
Viele Erwachsene mit ADHS erleben Misserfolge und leiden an Selbstzweifeln. Daher entwickeln sie vermehrt Depressionen oder Angststörungen. Auch Persönlichkeitsstörungen, Alkoholmissbrauch und Drogenmissbrauch treten oft als Begleiterkrankungen auf. Im Erwachsenenalter können die Symptome der begleitenden Störungen und Erkrankungen zum Teil deutlicher werden als die ADHS-Symptome selbst.
Außerdem haben Personen aus dem Autismus-Spektrum gehäuft auch ADHS. Als Ursache hierfür wird eine genetisch bedingte Vulnerabilität diskutiert, die sowohl die Entstehung von Autismus als auch von ADHS wahrscheinlicher machen könnte.
Unterschiede bei Frauen und Männern
Unabhängig vom Geschlecht äußert sich ADHS bei allen Menschen individuell unterschiedlich. Dennoch werden in Studien typische Unterschiede der ADHS-Ausprägung bei Frauen und Männern beschrieben. Geschlechterdiverse Personen finden in der ADHS-Forschung bislang noch wenig Beachtung.
Frauen werden häufiger als primär unaufmerksam, vergesslich und verträumt beschrieben. Sie haben also öfter das unauffälligere ADS ohne Hyperaktivität. Dafür werden unter anderem gesellschaftliche Erwartungen an Frauen und Mädchen verantwortlich gemacht. Eine nach außen sichtbare, motorische Unruhe ist bei ihnen seltener als bei Männern.
Während Männer ihre Probleme häufiger externalisieren - aggressiv werden oder Regeln brechen - neigen Frauen eher zu einer Internalisierung der Schwierigkeiten: Sie haben häufiger Selbstzweifel, Ängste und Depressionen. Weil sie tendenziell unauffälliger sind und außerdem eher zu einer Untertreibung ihrer Symptome neigen, wird ADHS bei Frauen seltener diagnostiziert.
Sie werden häufiger mit anderen Erkrankungen und Störungen fehldiagnostiziert und bekommen selbst mit der korrekten Diagnose seltener Medikamente verschrieben. Dabei ist eine besonders genaue Beobachtung gefragt: So können Hormonveränderungen während des Menstruationszyklus oder der Pubertät die Symptomausprägung und das Therapieansprechen deutlich beeinflussen.
Wie sinnvoll sind Tests und Selbsttests?
Woher kommen meine Konzentrationsschwierigkeiten und meine Vergesslichkeit? Habe ich ADHS? Dazu finden sich im Internet eine Menge Selbsttests. Manchmal können sie für eine erste Einschätzung hilfreich sein. Wichtig ist jedoch, dass Ergebnisse dieser Tests immer von einer erfahrenen Person abgeklärt werden. Denn eine sorgfältige Diagnostik ist wichtig, um Fehldiagnosen zu verhindern und die korrekte Behandlung anzuschließen.
Diagnostik: Wie und wo wird ADHS festgestellt?
Als erwachsene Person mit Anzeichen für ADHS sollte man sich an einen ADHS-erfahrenen Psychotherapeuten oder -therapeutin oder eine Fachärztin oder einen Facharzt für Neurologie, Psychiatrie oder Psychosomatik wenden. In ausführlichen Gesprächen mit der betroffenen Person und Bezugspersonen sowie mithilfe verschiedener Tests und Fragebögen wird geprüft, ob die Diagnosekriterien für ADHS erfüllt sind. Es handelt sich dabei um die gleichen Kriterien wie bei Kindern und Jugendlichen.
Unter anderem muss bei Erwachsenen herausgefunden werden, ob schon während der Kindheit Symptome bestanden. Um das retrospektiv einschätzen zu können, werden Fragebögen wie die Wender-Utah-Rating-Scale genutzt. Außerdem wird die betroffene Person körperlich untersucht. Zum Teil wird die Diagnostik durch Blutentnahmen und Untersuchungen wie ein EKG oder ein EEG ergänzt. Die Ärztin oder der Arzt prüft bei der Diagnostik auch, ob Begleiterkrankungen vorliegen, die in der Therapie mitbehandelt werden müssen, oder ob eine andere Störung oder Erkrankung die beschriebenen Symptome hervorruft.
Therapie bei Erwachsenen
ADHS gilt als gut behandelbar, auch wenn es nicht heilbar ist. In einer individuell angepassten Therapie werden die vorherrschenden Symptome und Probleme der betroffenen Person angegangen - und können so reduziert werden. Der Alltag von ADHS-Betroffenen kann so deutlich erleichtert werden. Die passenden Therapieformen werden dabei mit dem betreuenden Psychiater, der Psychiaterin oder anderen Experten besprochen. Während der Behandlung kann der Therapieplan zur Optimierung verändert werden. Bei Erwachsenen mit ADHS ist der Nutzen von Medikamenten sowie einer Psychotherapie wissenschaftlich belegt. Oft ist eine Kombination beider Behandlungsformen sinnvoll.
Bei ADHS wird meist eine kognitive Verhaltenstherapie, eine besondere Form der Psychotherapie, angeboten. Insbesondere wenn zusätzlich eine Angststörung oder Depressionen vorliegen, ist eine Psychotherapie wichtig und kann helfen, die Lebensqualität der Betroffenen deutlich zu verbessern. Dabei werden konkrete Strategien zur Bewältigung von Problemen und zur Selbstorganisation im Alltag erlernt. Verhaltensweisen, die häufig Probleme verursachen, und Denkmuster, die zu Selbstzweifeln führen, sollen erkannt und abgebaut werden. Die Stärken der betroffenen Person sollen zudem gefördert werden. Auch Gruppentherapien oder Paartherapien können hilfreich sein.
Behandlung mit Medikamenten
Ob eine medikamentöse Therapie sinnvoll ist, wird individuell mit dem entsprechenden Arzt oder der Ärztin besprochen. Hierbei wird auch über mögliche Nebenwirkungen aufgeklärt, auf die bei der Einnahme geachtet werden sollte. Als Medikament der ersten Wahl wird Methylphenidat verwendet. Auch bei Erwachsenen konnte nachgewiesen werden, dass es die Kernsymptome des ADHS verringern kann. Bei der Einnahme sollte auf Nebenwirkungen wie Störungen des Schlafs, Appetitminderung und ein ungewollter Gewichtsverlust geachtet werden.
Als Alternative kommt meist das Antidepressivum Atomoxetin zum Einsatz, das auch ADHS-Beschwerden wirksam minimieren kann. Auch Atomoxetin kann Schlafstörungen und Appetitmangel verursachen. Zudem kann es das sexuelle Lustempfinden beeinflussen oder Erektionsstörungen hervorrufen. Besteht neben ADHS eine Depression, haben sich die Antidepressiva Bupropion und Venlafaxin bewährt, um die Symptome beider Erkrankungen zu reduzieren.
Zudem kann eine Psychoedukation, das Aufklären der betroffenen Person und der Bezugspersonen, zu einem besseren Verständnis für ADHS und die einhergehenden Schwierigkeiten beitragen. Außerdem können Selbsthilfegruppen, Sport, Achtsamkeitsübungen, Kunst oder Neurofeeback manchen Personen bei einer guten Alltagsbewältigung helfen.
Strategien: Was hilft Erwachsenen mit ADHS?
In der Psychotherapie, bei Aufklärungsschulungen und in Selbsthilfegruppen lernen Betroffene Strategien, um ihren Alltag besser zu bewältigen. Diese Strategien können für Erwachsene mit ADHS hilfreich sein:
- Routinen können helfen, im Alltag organisiert zu bleiben.
- Der Schlüssel oder andere wichtige Gegenstände sollten immer am selben Ort abgelegt werden.
- To-do-Listen und Erinnerungslisten können helfen, um wichtige Termine und Aufgaben nicht zu vergessen. Dabei können auch spezielle Apps hilfreich sein.
- Beim Erledigen von Aufgaben sollten kleinschrittige Ziele gesetzt werden, um Überforderung zu verhindern. Zudem sollten Pausen am Tag eingeplant werden.
- Wenn Freunde und Familienmitglieder über ADHS und bestimmte Probleme der Betroffenen Bescheid wissen, können sie ein besseres Verständnis und Unterstützung entgegenbringen.
- Am Arbeitsplatz sollten mögliche Störfaktoren beseitigt werden: Es wird empfohlen, den Schreibtisch nicht zum Fenster, sondern zur Wand auszurichten und das Handy ausschalten.
- Achtsamkeitsübungen oder Entspannungsübungen - wie kurze Atemübungen - helfen vielen Betroffenen, Anspannung und Impulsivität zu reduzieren.
- Sport und Hobbys helfen beim Abbau von überschüssiger Energie und kreieren Erfolgserlebnisse.
- Beim Treffen von Entscheidungen sollten die Konsequenzen konkret durchdacht werden.
- Mittlerweile gibt es eine Vielzahl an Büchern, in denen aufgeklärt wird und Tipps zum Umgang mit ADHS im Erwachsenenalter beschrieben sind.