Wandelanleihe für Northvolt: Wann waren die Probleme bekannt?
Bund und Land zittern weiter um 600 Millionen Euro, die der schwedische Batteriehersteller Northvolt für den Bau einer Fabrik bei Heide erhielt. Die Chronik zeigt: Probleme zeichneten sich früh ab.
In Houston, Texas, soll sich in den kommenden Wochen entscheiden, wie es für Northvolt weitergeht. Das schwedische Unternehmen hatte am dortigen Insolvenzgericht ein Sanierungsverfahren nach US-Recht beantragt. Noch ist unklar, ob Investoren dringend benötigtes Geld geben. Vor Gericht geht es auch um deutsche Steuermittel: Teil der Verhandlungsmasse sind 600 Millionen Euro, mit denen die Förderbank KfW bei Northvolt eingestiegen war.
Das Geld war als Anleihe für den Bau einer neuen Fabrik bei Heide (Kreis Dithmarschen) geplant und von Land und Bund jeweils zur Hälfte abgesichert. Diese Unterstützung des Staates wirft viele Fragen auf. Einige Abgeordnete des Landtags in Kiel haben nun die Möglichkeit, Einblick in die Northvolt-Akten zu nehmen. Da Teile der Unterlagen als vertraulich eingestuft worden sind, gelten strenge Sicherheitsvorschriften. Bisher sind nur wenige Informationen zu dem Millionen-Deal bekannt. Wer hat wann darüber entschieden?
Ein Überblick zu den Entwicklungen:
- September 2022: Idee der Wandelanleihe
- Mai 2023: Finanzministerium stimmt KfW-Kredit zu
- Oktober 2023: Bericht aus Schweden: Northvolt hat Probleme
- Dezember 2023: SH übernimmt Hälfte der Bürgschaft
- Frühjahr 2024: Northvolt unterzeichnet Bau der Heide-Fabrik
- Sommer 2024: Northvolt bremst Expansion und entlässt Mitarbeiter
- November 2024: Northvolt beantragt Sanierung nach Chapter 11
- Ausblick: Bund und Land Hoffen auf Rückzahlung der Wandelanleihe
September 2022: Northvolt will Geld noch vor Standort-Bekenntnis
Im März 2022 macht Northvolt seine Pläne für den Bau einer Batteriefabrik öffentlich. In Dithmarschen sind viele Kommunalpolitiker und Menschen aus der Region angefixt. Damals sind aber auch noch andere Standorte, zum Beispiel in Spanien, im Rennen. Es gibt noch kein eindeutiges Bekenntnis vom Batteriehersteller zu Dithmarschen. Trotzdem geht Northvolt im September auf den Bund zu und fragt an, inwiefern der Staat das Vorhaben unterstützen kann.
Bund und Northvolt führen laut einer Sprecherin erste Gespräche über eine sogenannte Wandelanleihe. Das ist ein Kredit, der später entweder in Form von Geld oder in Form von Aktien zurückgezahlt werden kann. Der Staat wird damit zum Investor. Es handelt sich um ein sogenanntes Zuweisungsgeschäft des Bundes. Es findet dabei keine eigenständige Kreditprüfung seitens der KfW statt. Im November 2022 informiert der Bund das Land Schleswig-Holstein darüber, dass ein Wirtschaftsgutachten als Grundlage für die Entscheidung erstellt werden soll.
Mai 2023: Anfänglicher Widerstand aus dem Finanzministerium
Im Bundesfinanzministerium gibt es offenbar zunächst Vorbehalte zum gewählten Verfahren des KfW-Kredits. Nach Dokumenten, die dem NDR vorliegen, stimmt der damalige Ressortchef Christian Lindner (FDP) dem KfW-Darlehen im Mai 2023 dennoch zu.
Im Juni 2023 stellen die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) ihr Gutachten fertig - laut Bundeswirtschaftsministerium auf Basis der damals vorliegenden Daten. Nach Informationen von NDR Schleswig-Holstein schätzen die PwC-Gutachter das Risiko für einen Komplettausfall der Anleihe auf gerade einmal ein Prozent. Laut Bundeswirtschaftsministerium haben auch kommerzielle internationale Akteure eine Wandelanleihe zu den gleichen Bedingungen gezeichnet. "Die Gleichstellung mit einer großen Zahl anderer Investoren bietet die zusätzliche Sicherheit, dass kommerzielle und in Industrie und Finanzwelt erfahrene Akteure gleichfalls intensiv prüfen und zu einer positiven Einschätzung des Unternehmens und konkreten Instruments kommen", heißt es vom Ministerium.
Das vom Bund in Auftrag gegebene PwC-Gutachten beleuchtet außerdem den technischen Stand von Northvolt bei der Produktion: Das Unternehmen habe Anfang 2023 zwar wichtige Meilensteine bei der Fertigung erreicht, allerdings halten die Gutachter nach Informationen des NDR fest, dass Northvolt zu diesem Zeitpunkt nur seriennahe Prototypen an die Kunden ausliefern kann. Für den gesamten Hochlauf der Produktion seien in dem Gutachten drei bis vier Jahre als realistisch eingeschätzt worden.
Oktober 2023: Keine kritischen Nachfragen im Haushaltsausschuss
Der Haushaltsausschuss des Bundestages gibt am 18. Oktober 2023 grünes Licht für die Auszahlung der Wandelanleihe. Dem NDR liegt das vertrauliche Protokoll des Haushaltsausschusses vor, bei dem die Mitglieder das Subventionsgeschäft zur Kenntnis genommen haben. Kritische Nachfragen dazu gab es dort laut Protokoll weder von Vertretern der Union noch von SPD, FDP oder den Grünen.
In Schweden berichtet die Wirtschaftszeitung "Dagens Industri" Ende Oktober erstmals über Produktionsprobleme und Verzögerungen im Stammwerk in der Stadt Skellefteå. Rückblickend sieht das Bundeswirtschaftsministerium in dieser Zeit "keine Anzeichen für gravierende Abweichungen" bei Northvolt. "Gesicherte Informationen über erhebliche technische Probleme in der Fabrik in Schweden lagen dem BMWK erst im Sommer 2024 vor."
In Deutschland laufen im Oktober 2023 die Gespräche zwischen Bund und Land weiter darüber, ob Schleswig-Holstein die Hälfte der Bürgschaft übernimmt. Darüber müssen die Abgeordneten im Landtag allerdings noch abstimmen. Noch bevor das passiert, unterschreiben am 30. Oktober Northvolt und die KfW den Vertrag für die Wandelanleihe.
Dezember 2023: Erste Tranche noch vor Entscheidungen
Erst am 15. Dezember 2023 stimmt der Landtag in Kiel dafür, die Wandelanleihe zur Hälfte abzusichern. Schon fünf Tage später, am 20. Dezember, überweist die KfW die erste Tranche in Höhe von 200 Millionen Euro an Northvolt. Northvolt erhält zwar schon die erste Zahlung - hat sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht final für die Investition bei Heide und den Standort entschieden. Auch die Entscheidung der zuständigen Kommunalpolitiker steht noch aus. "Die Auszahlung war nötig, da diese einen wesentlichen Beitrag zum Eigenkapitalstock der deutschen Projektgesellschaft leistete, der wiederum die Voraussetzung für den Start des Projekts bildete", sagt eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).
Februar 2024: 600 Millionen Euro vor dem Baustart
Am 17. Januar unterzeichnet Northvolt einen sogenannten Durchführungsvertrag und verpflichtet sich damit, am Standort bei Heide zu bauen. Die Gemeindevertretungen der beiden betroffenen Gemeinden Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden stimmen Mitte Januar über die Bebauungspläne ab.
Am 28. Februar zahlt die KfW die zweite Tranche an Northvolt mit den verbleibenden 400 Millionen Euro aus. Das Geld aus der Wandelanleihe darf laut Northvolt ausschließlich für die Bauarbeiten bei Heide genutzt werden. "Das Geld liegt auf Konten der deutschen Projekt GmbH und ist zweckgebunden", sagt eine Sprecherin von Northvolt.
Einen Monat später reisen zum offiziellen Baustart der Batteriefabrik Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) an.
Juni 2024: BMW storniert Auftrag, Northvolt stoppt Expansion
Im Juni 2024 erreichen die Probleme bei Northvolt eine breitere Öffentlichkeit in Deutschland: Demnach ist der Kunde BMW mit der Qualität der Produkte unzufrieden und storniert einen Auftrag in Höhe von zwei Milliarden Euro. Wenige Tage später kündigt der damalige Northvolt-Chef in einem Interview an, seine Expansionspläne zu bremsen. Im September gibt Northvolt bekannt: Das Unternehmen muss 1.600 Mitarbeitende in Schweden entlassen.
November 2024: KfW fordert sofort Wandelanleihe zurück
Bei diesen schlechten Nachrichten bleibt es nicht. Ende November verkündet der Batteriehersteller, er werde nach US-amerikanischen Recht ein Sanierungsverfahren durchführen. Eine Tochtergesellschaft von Northvolt hat ihren Sitz in den USA. Das ermöglicht den Schweden, das Verfahren nach Chapter 11 zu beantragen. Ein Insolvenzrichter in Houston, Texas, eröffnet das Verfahren. Damit werden automatisch die Forderungen der Gläubiger zurückgestellt und später unter Umständen sogar ganz eingestellt.
Auf der Liste der betroffenen Geldgeber steht auch die KfW. Sie fordert daraufhin umgehend im Dezember das Geld zurück. Northvolt kann nicht zahlen, also wendet sich die Bank an den Bund. Er muss insgesamt etwa 620 Millionen Euro an die KfW zahlen, weil inzwischen Zinsen und Gebühren hinzugekommen sind. Die Hälfte holt sich das Wirtschaftsministerium in Berlin vom Land Schleswig-Holstein zurück.
Februar 2025: Bundeswirtschaftsministerium verteidigt das Vorgehen
Bund und Land hoffen, dass das Sanierungsverfahren von Northvolt gut ausgeht und der Batteriehersteller dann zumindest noch einen Teil der Wandelanleihe zurückzahlen wird. "Der Rückzahlungsanspruch aus der Wandelanleihe besteht vorerst weiter. Potenzielle Schuldenschnitte sowie die Werthaltigkeit der Wandelanleihe hängen vom Ausgang des Chapter-11-Verfahrens ab", heißt es aus dem Bundeswirtschaftsministerium. "Keine Option ist eine weitere Stützung Northvolts mit frischen Bundesmitteln." Über die Lehre des verlorenen Investments möchte sich das Ministerium auf Anfrage von NDR Schleswig-Holstein offenbar nicht weiter äußern. Eine Sprecherin teilt mit: "Über die künftige Nutzung des Instruments kann das BMWK keine Aussage treffen. Solche Entscheidungen werden stets im Einzelfall getroffen."
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