Northvolt: Scholz spricht von "Dithmarschen-Geschwindigkeit"
Mit einem symbolischen Boßelwurf und einem Buzzer begann am Montag offiziell der Bau der Batteriefabrik. Unter anderem besuchten dafür Bundeskanzler Scholz, Bundeswirtschaftsminister Habeck und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther die Baustelle.
Zum Baubeginn der Batteriezellenfabrik des schwedischen Unternehmens Northvolt waren am Vormittag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie Vize-Kanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), aber auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) nach Dithmarschen gekommen. Die Gäste trafen sich zunächst in einer Halle in Hedwigenkoog, einige Kilometer vom Baugelände entfernt.
Northvolt will ein guter Nachbar in Dithmarschen sein
Northvolt-Deutschlandchef Christofer Haux betonte, wie passend der Standort in Heide für Northvolt sei. "Für uns, Herr Bundeskanzler, müssen sie keine Stromtrasse bauen!", sagte er. Zudem dankte er den beiden Bürgermeistern der Gemeinden Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden, auf deren Fläche die Fabrik entsteht. "Hier in Dithmarschen gibt es nichts Wichtigeres als Nachbarschaft - wir möchten gute Nachbarn sein", so Haux.
CEO Carlsson: Jetzt ist die Zeit, nach SH zurückzuziehen
Auch CEO Peter Carlsson sprach vom "perfekten Platz" und sagte, er wolle ein Ökosystem bilden und "Hand in Hand mit den Communities" arbeiten. Investitionen, zum Beispiel in Wohnraum und Schulen seien wichtig, auch um Mitarbeitende in die Region zu holen. "Nun ist die Zeit, nach Schleswig-Holstein zurückzuziehen, weil Du hier Lebensqualität und Hightech Manufacturing Career kombinieren kannst", sagte Carlsson. Insbesondere sprach er Ingenieurinnen und andere Frauen in technischen Berufen an und betonte, Northvolt wolle Diversität.
Günther: Projekt soll organisch in der Region wachsen
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther freute sich, dass das Großprojekt nun nach Schleswig-Holstein kommt. Die Fabrik solle kein Fremdkörper sein, sondern in der Region wachsen. Dabei sei insbesondere die grüne Stromproduktion in Schleswig-Holstein ein Gewinn für die Ansiedlung von Unternehmen. "Das zeigt, dass es sich lohnt, in erneuerbare Energien zu investieren", sagte Günther. "Hier wird das klimaneutrale Industrieland sichtbar."
Am frühen Morgen sprach Günther auf NDR Info von einem "besonderen Tag für mich und für Schleswig-Holstein". Die Ansiedlung von Northvolt bringe der Region fast 10.000 Arbeitsplätze. Zur Kritik von Anwohnenden, dass die Gegend nicht auf so ein großes Unternehmen vorbereitet sei, entgegnete Günther, die Region werde nicht allein gelassen: "Indem wir auch günstige Kredite zur Verfügung stellen, indem wir bei wohnbaulichen Entwicklungen besondere Kontingente machen". Günther versprach eine "Sonderförderung" für den Wohnungsbau. Die Northvolt-Ansiedlung bringe viele Vorteile, "weil sich Infrastruktur entwickelt - Schulen, Kitas, aber auch Dienstleistungen". Die Menschen würden recht schnell merken, dass dies auch für sie ein großer Gewinn sei, so der Ministerpräsident.
Scholz: "Dithmarschen-Geschwindigkeit" für ganz Deutschland
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: "Industrie siedelt sich dort an, wo Energie ist. Es war keine Fügung, sondern eine klare Entscheidung, auf Windenergie zu setzen." Die Menschen seien über sich hinausgewachsen, um die Ansiedlung möglich zu machen - Scholz nannte es "Dithmarschen-Geschwindigkeit" und sagte, diese sei Voraussetzung für das Deutschland-Tempo. "Man kann sich ganz viele Dithmarschens in unserem Land wünschen!" Die Batteriefabrik biete riesige Möglichkeiten für den Mittelstand, gleichzeitig sei der innovative und agile deutsche Mittelstand ein Grund, warum sich Unternehmen wie Northvolt hierzulande ansiedeln.
Habeck: Starker Windkraft-Ausbau hat Northvolt geholt
Wirtschaftsminister Robert Habeck sagte auf NDR Info, das Northvolt-Projekt sei "eine der größten Investitionen seit langer Zeit". Bund und Land gäben rund 900 Millionen Euro als Unterstützung. "Aber Northvolt selbst gibt auch viel Geld aus." Interessant sei dabei, warum Heide als Standort ausgewählt wurde. Es liege an den erneuerbaren Energien, so Habeck: "Northvolt hat in ganz Europa gesucht. Und Heide hat sich durchgesetzt. Der Hauptgrund war die Dichte an grünem Strom. Die Windkraft wird zu einem Magneten für Firmenansiedlungen."
Mobilitätsexperte: Bei Nachhaltigkeit geht es nicht nur um Strom
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) bezeichnete das Werk als wichtigen Schritt für die nachhaltige Batterieproduktion in Deutschland. Professor Dr. Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach sieht das Thema differenzierter. Zwar sei Strom der wichtigste Faktor bei Batteriezellproduktion. Er hält es aber für unwahrscheinlich, dass Northvolt vollends mit grünem Strom produzieren kann. Grüne Energie sei nicht zu jeden Zeitpunkt verfügbar, Batteriezellproduktion müsse aber rund um die Uhr laufen und dementsprechend auch konventioneller Strom bezogen werden. Zudem müsse Northvolt sicherlich noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, auf einen Gleisanschluss und die Schieneninfrastruktur warten. "Auch das spielt hinein in die Nachhaltigkeits-Rechnung", so der Mobilitätsexperte im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Insgesamt sei die Produktion von Batteriezellen sehr CO2-intensiv - "in der Nutzung der Batteriezelle im fertigen E-Auto holt man es wieder raus."
Der Mobilitätsexperte sagte auch, aufgrund der hohen Energie- aber auch Personalkosten sei Deutschland nicht wettbewerbsfähig. Dennoch hält Bratzel es für wichtig, im Bereich Batteriezellen Kompetenzen zu haben, weil dort ein großes Innovationspotenzial liege. "Wir hinken China im Bereich Batteriezellen und Elektromobilität meilenweit hinterher. Aber dennoch ist es entscheidend, dass wir an dem Punkt nun ansetzen, um den Anschluss nicht zu verlieren und eine erste Stufe an Unabhängigkeit zu gewinnen", sagte er. Bei den Rohstoffen, wie etwa seltenen Erden, bestehe aber nach wie vor eine hohe Abhängigkeit.
Boßelwurf zum Baustart
Nach dem Festakt mit Reden ging es weiter zur eigentlichen Baustelle. Zum Baubeginn gab es keinen sogenannten ersten Spatenstich, wie bei großen Bauprojekten üblich. Stattdessen wurde auf dem Baugelände symbolisch eine Boßelkugel geworfen - mit dem örtlichen Boßelverein Heid-Rüsdörp. Bei dem traditionellen Wurfsport geht es darum, mit möglichst wenigen Würfen weite Distanzen zu überbrücken. Northvolt begründet das damit, dass lokale Gebräuche aufgenommen werden sollen.
Anschließend hat Northvolt-CEO Carlsson auf der Baustelle gemeinsam mit den verantwortlichen Projektleitern das Bauvorhaben vorgestellt. Danach betätigten die anwesenden Politiker zeitgleich einen Buzzer mit der Aufschrift "Challenge accepted" - das akustische Signal für den Start einer Pfahl-Bohrmaschine. Auf dem Gelände soll damit eine Spezialfirma mit den Gründungsarbeiten für das erste Gebäude der künftigen Fabrik beginnen.
2026 sollen die ersten Batteriezellen vom Band laufen
Ab 2026 sollen auf der rund 110 Hektar großen Fläche die ersten Autobatterien vom Band laufen, 2029 soll die Produktion voll hochgefahren sein. Kaufen wollen die Batterien zum Beispiel BMW, Scania, Volvo Cars oder die Volkswagen-Gruppe. Nach Angaben von Northvolt beläuft sich das aktuelle Gesamt-Auftragsvolumen des Unternehmens auf über 50 Milliarden US-Dollar. In Dithmarschen will Northvolt nach eigenen Angaben 3.000 Arbeitsplätze schaffen und 4,5 Milliarden Euro investieren. Die EU-Kommission hat eine staatliche finanzielle Unterstützung in Höhe von 902 Millionen Euro aus Fördermitteln und Garantien bewilligt. Die finale Entscheidung für die Ansiedlung der Fabrik fiel erst im Januar in den betroffenen Dörfern selbst.
Zweifel an der Infrastruktur
Die Menschen aus der Region waren beim heutigen Baustart allerdings nur Zaungäste. Im Vorfeld war die Stimmung gemischt. Bei einer #NDRfragt-Umfrage befürwortete eine Mehrheit die Ansiedlung. Viele glauben an mehr Arbeitsplätze in der Region und ein besseres Nahverkehrsangebot. Doch es gibt auch Zweifel - besonders daran, ob die Infrastruktur der Region darauf vorbereitet ist - konkrete Sorgen betreffen etwa den Wohnraum oder Kita-Plätze. Northvolt selbst hat ein Verkehrs-Gutachten erstellen lassen, auf dessen Basis entschieden werden soll, wie die Infrastruktur angepasst wird.
Bürgermeister: Es fehlt zwingend noch der Gleisanschluss
Der Bürgermeister von Norderwöhrden, Kay-Uwe Evers (Freie Wählergemeinschaft Norderwöhrden), blickt ebenfalls mit Sorge auf die fehlende Infrastruktur und spricht von großen Herausforderung und gewaltigen Veränderung für die Region. "Wenn ich auf das Modell blicke, fehlt mir hier zwingend noch der Gleisanschluss, um all die Produkte, die hier verarbeitet und hergestellt werden hin- und wieder wegzubringen", sagt er. Das könne aber mindestens zehn Jahre dauern, erwartet Evers. "Für die Zwischenzeit erwarte ich eine feste Autobahnabfahrt von der A 23", so Evers. Er sei Daniel Günther dankbar, dass er die Forderung nach Unterstützung im Beisein des Bundeskanzlers deutlich gemacht habe.
IHK: Ansiedlung ist riesiger Impuls
Die Themen Infrastruktur, aber auch Fachkräfte beschäftigen die Betriebe in der Region, berichtet Thomas Bultjer von der IHK-Geschäftsstelle Dithmarschen. "Die Infrastruktur muss zeitgleich mitwachsen", sagte er im Gespräch mit NDR Schleswig-Holstein. Das gelte sowohl für die sozialen Bereiche wie Wohnraum Kitas und Schulen, als auch für Straße und Schiene. In Bezug auf den Fachkräftemangel sagte Bultjer, wahrscheinlich würden Menschen von anderen Arbeitgebern zu Northvolt wechseln - "aber es werden auch ganz viele neue Menschen zu uns kommen, die Region wird spannender als Arbeitsmarkt". Insgesamt sei die Ansiedlung also eine große Chance. "Wenn so ein großes Unternehmen hier mehrere Milliarden Euro investiert, ist das natürlich ein riesiger Impuls", sagte er. Die Region habe lange als strukturschwach gegolten, man habe darauf gehofft, dass sich im Zuge der Energiewende Unternehmen ansiedeln - das gehe jetzt auf.
IfW-Präsident kritisiert hohe Subventionen
Der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel, Moritz Schularick, lobte ebenfalls die Beschleunigung der Energietransformation durch die neue Fabrik, kritisierte aber die hohe Förderung: "Vermutlich wäre Northvolts Investment auch mit weit weniger Subventionen lohnend gewesen", sagte er. Das Steuergeld fehle nun an anderer Stelle, etwa bei Investitionen in Bildung oder Infrastruktur.
Proteste gegen die Bundesregierung
An der Baustelle gab es Gegenwind für die Bundesregierung: Schon am frühen Morgen hatten sich etwa 40 Menschen mit Traktoren und Autos in der Nähe des Northvolt Geländes zu einem Protest versammelt. Die Polizei war nach eigenen Angaben mit "lageangepassten Kräften" vor Ort. Auch an sämtlichen Zufahrtsstraßen zum Northvolt-Gelände waren Streifenwagen präsent. Beamte kontrollierten auch Lkw, die auf die am Baugelände vorbeiführende Bundesstraße 203 wollten. Am Mittag, als sich die Gäste und Politiker auf den Weg zur Northvolt-Baustelle machten, waren dort laut Polizei 50 Trecker mit insgesamt 150 Demonstrierenden. Sie versuchten, mit lautem Hupen den Festakt zu stören. Laut Angaben einiger der Demonstrierenden seien sie explizit nicht gegen den Bau der Northvolt-Fabrik, sondern gegen die Politik der Ampel-Regierung.