Northvolt bei Heide: Chancen und Risiken der Gigafactory
Im Kreis Dithmarschen in Schleswig-Holstein soll nach dem Beschluss zweier Gemeinden eine Batteriezell-Fabrik des schwedischen Unternehmens Northvolt gebaut werden. Die Befürworter sprechen von riesigen Chancen für die gesamte Region. Aber es gibt auch Risiken und Probleme, die gelöst werden müssen.
Noch sind es grüne Wiesen. Doch schon bald sollen auf dem Areal in den Gemeinden Norderwöhrden und Lohe-Rickelshof (Kreis Dithmarschen) im großen Stil Batteriezellen produziert werden. Das schwedische Unternehmen Northvolt wird auf einer 110 Hektar großen Fläche eine sogenannte Gigafactory bauen und will 3.000 Arbeitsplätze in der strukturschwachen Region schaffen. Die Gemeindevertretung Norderwöhrden hatte am Montagabend für das Vorhaben gestimmt. Damit war die letzte Hürde genommen. Schon von 2026 an sollen in der Batteriefabrik pro Jahr rund eine Million Batterien für E-Autos vom Band rollen. Von der Unternehmens-Ansiedlung soll dann eine ganze Region profitieren, hoffen viele der örtlichen Politiker, die Kommunen und der Kreis Dithmarschen.
Kreisstadt Heide und ganze Region vor Umbruch
Die Batteriefabrik entsteht in zwei kleinen Gemeinden. Lohe-Rickelshof auf der östlichen Seite ist ein Dorf, in dem etwa 2.100 Menschen leben. Die westliche Fläche gehört zur Gemeinde Norderwöhrden. Die etwa 260 Einwohnerinnen und Einwohner leben verstreut in mehreren kleinen Ortsteilen oder auf allein liegenden Höfen. Einen richtigen Dorfkern gibt es es in der eigenständigen Gemeinde nicht. Lohe-Rickelshof und Norderwöhrden liegen unmittelbar vor den Toren der Kreisstadt Heide. Das Thema Northvolt beschäftigt seit Jahren nicht nur die Kommunalpolitiker der beiden Dörfer, auch im Rathaus der 22.000 Einwohner zählenden Kreisstadt ist die Batteriefabrik das Thema. "Natürlich bringt eine Unternehmensansiedlung dieser Dimension große Herausforderungen für die ganze Region mit sich, vor allem für die Infrastruktur", sagt Heides Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat (SPD). "Die Chancen, die von diesem Projekt ausgehen, werden aber die Risiken deutlich übertreffen."
Boomtown Heide?
Northvolt will 3.000 neue Arbeitsplätze in der Batteriefabrik schaffen. Hinzu sollen 6.000 bis 7.000 Jobs bei Zulieferbetrieben und Dienstleistern kommen. Für Dithmarschens Landrat Stefan Mohrdieck (parteilos) ist die Ansiedlung eine große Chance. "Das wird einen großen wirtschaftlichen Impuls geben. Bislang gelten wir ja als strukturschwache Region, aber mit Northvolt wird hier eine große Transformation in Gang gesetzt. Ich meine die neuen Arbeitsplätze und die Wertschöpfung, die dadurch hier in der Region entsteht."
Wirtschaftsförderer Dirk Burmeister, Chef der Entwicklungsagentur Region Heide, geht noch einen Schritt weiter. Er vergleicht Heide mit dem nordschwedischen Skellefteå, wo eine ähnliche Fabrik gebaut wurde. "Da arbeiten bislang gut 2.000 Menschen, und die haben einen Altersdurchschnitt von 34 Jahren. Das zeigt schon: Wir geraten in den Fokus von jungen Menschen - weltweit. Das bedeutet, dass auch bei uns der Altersdurchschnitt stark nach unten gehen wird. Wir werden viele neue Kinder bekommen, durch den Zuzug von Familien und das wird die ganze Region und auch die Wirtschaft und den Einzelhandel hier bei uns verändern."
Dithmarschens Landrat Mohrdieck geht davon aus, dass in den kommenden zehn bis fünfzehn Jahren bis zu 15.000 neue Menschen in die Region Heide kommen werden. Das hätten Schätzungen von Experten ergeben.
Wo sollen die neuen Menschen leben?
Nur gemeinsam kann die Region die Herausforderungen in Verbindung mit der Batteriefabrik bewältigen, sagen Heides Bürgermeister und die Vertreter der elf Dörfer aus dem Umland. Die wichtigsten Vorausetzungen dafür habe man bereits vor Jahren im Stadt-Umland-Konzept (SUK) festgeschrieben. Konkret bedeute das - man wolle nicht in Konkurrenz um Firmen und entsprechende Steuer-Einnahmen treten, sondern die Region gemeinsam entwickeln, sagt Dirk Burmeister von der Entwicklungsagentur Region Heide. Ein gutes Beispiel sei das Thema Wohnungsbau. "Wir haben jetzt alle elf Gemeinden gefragt, was sie sich für ihren Ort vorstellen können. Wie viele Grundstücke für Neubauten, welche Häuser, wie viele Neubürger möchten sie - und wir koordinieren das dann alles." Burmeister hat sich dazu auch in Brandenburg informiert. "Wir waren in Grünheide und haben uns dort das Tesla-Werk und das Umland angeschaut. Wir haben uns auch mit Bürgermeistern dort unterhalten und wollen aus den Fehlern, die man dort gemacht hat, lernen und die positiven Dinge übernehmen."
Konkrete Pläne in Heide
Wohnungsbau ist auch in der Kreisstadt Heide ein großes Thema. Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat verweist auf die jetzt schon angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt. "Die Schaffung von Wohnraum ist zentrales Thema der Stadtentwicklung. Wir haben bereits erste Erfolge erzielt, zum Beispiel an der Grenze zur Gemeinde Lohe-Rickelshof. Dort sind in Zusammenarbeit mit einem privaten Investor 88 Wohnungen gebaut worden - für unterschiedliche Alters- und Einkommensgruppen." Weitere Neubaugebiete seien in Planung, so der Bürgermeister. Zum Beispiel hinter dem Westküstenklinikum und im Stadtteil Süderholm am Bahndamm. Das werde die Stadt Heide konsequent weiterverfolgen, so Schmidt-Gutzat. Es sei aber nur möglich, wenn man dafür Investoren finde.
Ausbau von Schulen und Kitas notwendig
Viele junge Familien, die nach Heide und ins Umland ziehen, werden die ganze Region verändern. Eine logische Folge: Auch Schulen und Kindergärten müssen mitwachsen, sagt Landrat Mohrdieck. Die Stadt Heide baut für 100 Millionen Euro ein neues Schulzentrum Heide-Ost mit Gemeinschaftsschule und Gymnasium. Doch beim Thema Kita-Plätze gibt es offenbar noch keine konkreten Pläne. Michaela Hoppe vom Kita-Zweckverband Heide-Umland sagt: "Ich hoffe, dass die Erweiterung von Kindergärten bereits in den Northvolt-Planungen enthalten sind. Ansonsten sehe ich hier für die Zukunft große Probleme." Für Landrat Mohrdieck steht jedenfalls fest, dass die Region allein diese Aufgaben nicht schultern kann. Das Land Schleswig-Holstein müsse den Kommunen hier finanziell helfen.
Mittelstand und Handwerk bangen um Fachkräfte
Das Thema Northvolt beschäftigt auch viele Firmenchefs in der Region. Der Unternehmensverband Unterelbe-Westküste vertritt rund 400 Firmen aus Nordfriesland, Dithmarschen, Steinburg und Pinneberg. "Der Wettbewerb um Fachkräfte existiert jetzt schon und der wird mit Northvolt natürlich noch schärfer werden. Das ist die Sorge der Unternehmen, die uns tatsächlich auch erreichen, die können wir denen nicht nehmen", sagt Geschäftsführer Ken Blöcker. Ob aus dem Industriegebiet Brunsbüttel oder aus dem verarbeitenden Gewerbe in der Region Heide - überall höre man Stimmen von Firmenchefs, die Angst hätten, ihre guten Leute zu verlieren, so Blöcker.
Auch im Handwerk befürchteten Firmenchefs, dass Mitarbeitende durch bessere Löhne abgeworben werden könnten. Kreishandwerksmeister Björn Will hat eine Baufirma in Weddingstedt bei Heide: "Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es ist ein Risiko, aber es ziehen ja auch Leute hier in die Region, und die bringen auch Ehepartner und Kinder mit, und da ist bestimmt der eine oder andere auch für unsere Betriebe dabei." Northvolt sei überall Thema. Auch in seiner Firma habe er schon mit Mitarbeitenden darüber gesprochen. "So nach dem Motto - da kommt ein großer Betrieb, der zahlt vielleicht deutlich besser und bringt auch ganz viele Goodies mit wie etwa einen Betriebskindergarten, Sozialleistungen und so weiter", berichtet der Bauunternehmer. "Also da werden bestimmt einige wechseln." Dithmarschens Kreishandwerksmeister hofft aber auch auf neue Aufträge für die Handwerksfirmen, zum Beispiel beim Bau von zusätzlichem Wohnraum in der Region.
Koordination notwendig
Neue Straßen, Wohnungen, Schulen und Kitas - Mammut-Aufgaben, die auf die Region Heide und den Kreis Dithmarschen zukommen. Landrat Stefan Mohrdieck sagt, es mache jetzt wenig Sinn, zum Beispiel aus Aktionismus heraus irgendwo im Kreis neue Kitas zu bauen. "Wir müssen erst mal schauen, wo neuer Wohnraum entsteht und wo die neuen Bürgerinnen und Bürger genau hinziehen." Losgelöst von dieser Frage könne man noch gar keine Entscheidungen treffen.
Mohrdieck verweist auf die bereits gebildeten zwölf Northvolt-Arbeitsgruppen in der Region und eine regelmäßig tagende Steuerungsgruppe mit dem Land zum Thema Northvolt. "Ich gehe davon aus, dass wir da mit der nötigen Dithmarscher Gelassenheit rangehen und dann auch bereit sind, die Chancen zu sehen und weniger die Risiken."