Northvolt: So verändert die Batteriefabrik eine Stadt

Stand: 05.12.2023 21:11 Uhr

Skellefteå erlebt seit der Northvolt-Ansiedlung einen Boom. Innerhalb weniger Jahre wuchs die Stadt um 4.000 Einwohner. Gleiches könnte auch in Dithmarschen passieren, sollte das Unternehmen dort ebenfalls bauen.

von Jonas Salto

Wer auf dem kleinen Flugplatz in Skellefteå im Norden Schwedens landet, kann noch nicht ahnen, dass ihn eine Stadt in Aufbruchstimmung erwartet. Eine meterhohe Schneedecke liegt gerade über der Region. Es wirkt wie das Ende der Welt. Schön beleuchtete Holz-Häuschen stehen an den Straßen auf dem Weg vom Flughafen in die Kommune mit ihren 76.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Im Zentrum aber wird schnell klar: Hier tut sich etwas. Egal, in welche Richtung man blickt, überall stehen große Kräne. Hier wird gebaut. Auch im tiefsten Schnee bei minus 15 Grad tagsüber. Denn die Zeit drängt.

Von harter Arbeit zu Hightech

Die Stadt war Jahrzehnte lang auf dem absteigenden Ast. Bergbauer und Holzfäller verloren in den frühen 1990er-Jahren ihre Jobs. Die Branche war zusammengebrochen. Skellefteå schrumpfte um mehr als 5.000 Einwohner. Die jungen Leute verließen die Stadt, so schnell sie nur konnten.

Schauspieler Niklas Larsson Lirell (rechts) im Gespräch mit NDR Reporter Jonas Salto. © NDR Foto: Jonas Salto
Niklas Larsson Lirell ist in seine Heimat zurückgekommen - und spielt jetzt im neuen Kulturhaus der Stadt.

Unter ihnen damals der Schauspieler Niklas Larsson Lirell. "Das Ding war, dass die jungen Leute nicht bleiben konnten in diesem Kaff. Um jemand zu werden, musste man wegziehen in größere Städte." Er ist der Sohn eines Landwirts und ging mit 27 nach Stockholm, um dort als Schauspieler Erfahrungen zu sammeln. Vor elf Jahren ist er wieder zurückgekommen und erlebt seitdem den massiven Wandel.

Northvolt zieht Arbeitskräfte aus der ganzen Welt an

Eine Karte zeigt den Standpunkt von Northvolt Ett in Schweden. © NDR
In der sogenannten Gigafactory "Northvolt Eins" am Stadtrand arbeiten etwa 3.000 Menschen.

Mit der Entscheidung von Norhtvolt, 2017 eine Fabrik am Stadtrand von Skellefteå zu bauen, hat sich alles geändert. "Wenn du eine Weile nicht hier warst und dann zurückkommst, stehen fast überall neue Gebäude. Es ist aufregend", erzählt Hoteldirektor Johan Carlsten. Wenn der 50-jährige jetzt durch seine Heimatstadt läuft, hört er an jeder Ecke Menschen, die Englisch sprechen.

Das ist nicht verwunderlich. Denn für den Batterieproduzenten arbeiten Menschen aus mehr als 100 Nationen. Das erzählt die Pressesprecherin Sanna Bäckström: "Ich denke, die meisten kommen aus der Schweiz, Indien, Pakistan, England und Nigeria. Es ist wirklich ein Mix aus allen Ländern der Welt." Die rund 3.000 Mitarbeiter verständigen sich auf Englisch. Wer dort arbeiten möchte, sollte einen technischen Hintergrund haben. Northvolt schult seine Mitarbeiter dann selbst innerhalb weniger Wochen oder Monate. Wer sich entscheidet, nach Skellefteå zu ziehen, findet im Moment aber nur schwer eine Wohnung oder ein Haus. Das ist ein Dauerthema in der Lokalzeitung "Norran".

Zu langsamer Wohnungsbau treibt Preise hoch

Lars Andersson von der Zeitung Norran (rechts) im Gespräch mit NDR Reporter Jonas Salto. © NDR Foto: Jonas Salto
Lars Andersson (rechts) von der Zeitung "Norran" begleitet die Entwicklung der Stadt nach der Ansiedlung von Northvolt.

800 neue Wohnungen entstehen in Skellefteå jährlich. Die Stadt braucht aber 1.000 neue Wohnungen pro Jahr. Private Investoren sind zögerlich. Denn sie bauen am liebsten nur dann, wenn ihre Kunden das Haus oder die Wohnung im Voraus bezahlen, erklärt Lars Andersson von der Zeitung "Norran". Doch Kaufen sei im Moment für viele nicht machbar. "Vor drei Jahren hast du einen Kredit für 1,5 Prozent bekommen. Heutzutage nur noch für 4,5 Prozent", sagt der Wirtschaftsressort-Leiter der "Norran". Also ist die städtische Baugesellschaft von Skellefteå in die Bresche gesprungen. Sie bauen Wohnungen und vermieten sie. Die Mieteinnahmen reinvestieren sie in neue Bauten. Das sind alleine in den kommenden zwei Jahren rund 300 Millionen Euro. Allerdings ist die Nachfrage so stark gestiegen, dass sich die Mieten in etwa verdoppelt haben.

Ein weiteres Thema in der Zeitung: der Ausbau der Straßen und des Schienennetzes. "Wir warten hier auf die Entscheidung, die neue Fernstraße E4 und die neue Bahnstrecke bauen zu dürfen. Wir sind die größte Gemeinde in Schweden, die keinen Personenverkehr auf der Schiene hat", erklärt Lars Andersson schmunzelnder Weise. Die E4 ist die Hauptstraße, die mitten durch die Stadt verläuft. Zu Stoßzeiten stehen die Menschen dort im Stau, bis zu 20 Minuten, Tendenz steigend. Bis 2030 rechnet die Stadt mit weiteren 14.000 neuen Einwohnern. Bis dahin muss die Hauptstraße nach außerhalb verlegt werden. Die Entscheidung dafür werde aber in Stockholm getroffen, sagt Lars Andersson.

Die Satelliten-Aufnahmen aus den Jahren 2018 und 2023 zeigen, wie die Stadt in nur wenigen Jahren gewachsen ist.

Eine Satellitenaufnahme. © Vertical 52 Eine Satellitenaufnahme. © Vertical 52

Neues Kulturhaus, mehr Steuereinnahmen

Niklas Larsson Lirell hat mittlerweile in seiner alten Heimat ein Stockholm-Feeling. Er spielt im neuen Kulturhaus, das 2021 eröffnete, fünf Theaterstücke pro Woche. Seine Kollegen und er machen jetzt sogar Shows auf Englisch, um möglichst viele Menschen in Skellefteå erreichen zu können. Durch die vielen neuen Einwohner hat sich sein Publikum vergrößert. Früher war es so, dass man 140 Kilometer Richtung Norden nach Luleå oder 140 Kilometer Richtung Süden nach Umeå fahren musste, um Theaterstücke oder Musicals zu sehen. Wegen des neuen Kulturzentrums kommen heutzutage die Menschen aus Umeå und Luleå nach Skellefteå, sagt Hoteldirektor Johan Carlsten. Er hat in seinem Hotel 81 Zimmer angebaut, um die gestiegene Nachfrage bedienen zu können.

Das Sara Kulturhus in Schweden. © NDR Foto: Jonas Salto
Das neue Kulturhaus wurde 2021 eröffnet.

Die Stadt hat durch den Zuwachs nun höhere Steuereinnahmen, erklärt Bürgermeisterin Evelina Fahlesson: "Wir haben jetzt Menschen hier, die Jobs haben und Steuern zahlen. So können wir den Einwohnern den Wohlstand geben, den wir ihnen geben möchten." Die Bürgermeisterin, der Schauspieler, der Zeitungsredakteur und der Hoteldirektor sind sich sicher. Die heutige Entwicklung ist erst der Anfang. Die Stadt unter der Schneedecke wird, davon gehen sie hier aus, noch mindestens zehn weitere Jahre wachsen.

Mit Blick auf die geplante Ansiedlung von Northvolt Dithmarschen rät die Bürgermeisterin ihren deutschen Amtskollegen, sich schnell um neuen Wohnraum zu kümmern. Das sei zumindest in Skellefteå die größte Herausforderung im Moment.

Dithmarschen sieht sich gut aufgestellt

Die Entwicklungsagentur der Region Heide ist seit 2013 dabei, ein sogenanntes Stadt-Umland-Konzept umzusetzen. Die Planer sind im Austausch mit der Stadt Heide und den elf umliegenden Gemeinden. Sie sind im Moment dabei herauszufinden, wo neue Bauflächen entstehen könnten und welche Gemeinde wie viele neue Einwohner aufnehmen würde. Genaue Zahlen liegen dem NDR noch nicht vor. "Wir rechnen in den nächsten 15 Jahren mit 10.000 bis 15.000 neuen Einwohnern", sagt Dirk Burmeister von der Entwicklungsagentur - vorausgesetzt Northvolt baut wirklich in Dithmarschen. Das Land hat dem Kreis ein Projektbüro versprochen. Dort sollen alle Fäden vom Wohnungs- und Infrastrukturausbau zusammenlaufen und schnelle Entscheidungen getroffen werden können.

 

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 05.12.2023 | 19:30 Uhr

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