Eine Person steht vor dem Schriftzug "Wärmewende?", der mit Kreide auf den Asphalt geschrieben wurde. © picture alliance / CHROMORANGE Foto: Christian Ohde

Zwischen Weser und Ems liegt die deutsche Gasprovinz

Stand: 05.07.2024 13:59 Uhr

2045 will Deutschland sich ohne fossile Energien wie Öl und Gas warmhalten. Der Zensus 2022 zeigt: Wir heizen noch lange nicht klimafreundlich. Doch womit geheizt wird und welche Herausforderungen das für die kommunale Wärmeplanung bedeutet, ist regional unterschiedlich.

von Carolin Fromm

Womit heizen Sie eigentlich? Wohnen Sie in Leer, dann sehr wahrscheinlich mit Gas. Leben Sie in Flensburg, stammt Ihre Wärme vermutlich aus Fernwärme. Das zeigen die Daten des aktuellen Zensus.

Das Ziel ist klar vorgegeben. Bis 2045 will die Bundesregierung Deutschland ohne fossile Energie warmhalten. Der niedersächsische Klimaschutz- und Energieminister Christian Meyer steckt die Ziele für sein Bundesland beim Wärmegipfel sogar noch höher: "Bis 2040 wollen wir unseren gesamten Energiebedarf aus Erneuerbaren Energien decken - und ein ganz wichtiger Schlüssel hierfür ist der Gebäudebereich." Denn da ist noch viel zu tun, wie die aktuellen Zensus-Daten für die Bundesländer zeigen.

Nordwest-Niedersachsen: Die Gasprovinz

Rechnet man Öl- und Gasheizungen zusammen, stehen diese in gut 70 Prozent der Gebäude in Mecklenburg-Vorpommern, in Niedersachsen sind es sogar mehr als 87 Prozent. Nordwest-Niedersachsen sticht dabei besonders heraus: Denn nördlich von Osnabrück, zwischen Weser und Ems liegt das Gasland. Die zehn Kommunen mit den meisten Gasheizungen bundesweit (über 90 Prozent) liegen alle in Ostfriesland und im Oldenburger Land. Wieso?

"Das ist historisch gewachsen", antwortet Barbara Saerbeck, Projektleiterin Grundsatzfragen zur Wärmewende des Thinktank Agora Energiewende. Denn deutsches Erdgas kommt fast immer aus Niedersachsen - vor allem aus der Region um Weser und Ems. In Niedersachsen liegen auch 12 von 44 deutschen Gas-Speichern. Und da in der Region seit mehr als 60 Jahren Gas gefördert wird, galt es lange als regionale Energiequelle. Dazu kam Gas aus dem nahegelegenen größten Gasfeld Europas in Groningen, das erst vor Kurzem geschlossen wurde. Und auch an den Nordseehäfen landet Gas aus dem Ausland an. "Deswegen waren die Netzbetreiber dann hier massiv tätig, sodass die Gasinfrastruktur besonders gut entwickelt ist", erklärt der Geschäftsführer der Klimaschutz- und Energieagentur Niedersachsen (KEAN), Lothar Nolte.

Besondere Herausforderungen für die Umstellung

"Gasleitungen liegen in der Region fast bis in jedes Haus", weiß auch Eckhard Stein. Der Präsident der Handwerkskammer Oldenburg und Vorsitzender in Niedersachsen führt einen Sanitär- und Heizungsbetrieb in Wilhelmshaven. "Deswegen ist Gas so schön einfach, immer gewesen." Er kritisiert, dass man lange Zeit nicht genug Energie in die Umstellung gesteckt habe und sieht besondere Herausforderungen für die Region. "Die Leute, die umstellen müssen, müssen auch das Geld haben", sagt er mit Blick auf die Arbeitslosenquote von knapp zwölf Prozent in Wilhelmshaven. Zudem bekämen viele Wohnungen einzeln über ein Gasgerät Warmwasser und Heizung. Die verschiedenen Eigentümer und Verwalter müssten sich zukünftig dafür entscheiden, zentrale klimafreundlichere Anlagen einzubauen.

Dafür sei viel Kommunikation nötig, betont Wärmewende-Expertin Saerbeck. "Das ist schon eine große gesellschaftliche Aufgabe." Denn jeder Gasheizungsbesitzer muss einzeln überzeugt werden, in klimafreundliche Systeme zu investieren. Im Gegensatz zur Fernwärme, bei der die Netz-Betreiber einfach von fossilen auf klimafreundlichere Energiequellen umstellen können. "Es ist entscheidend, dass in den nächsten zwei bis vier Jahren kommuniziert wird, wie die Wärmegewinnung in der Region aussehen soll. Werde ich an ein Wärmenetz angeschlossen oder muss ich selbst in eine klimaneutrale Lösung investieren? Und was mache ich in der Zwischenzeit, wenn meine Heizung kaputt geht?" Dort sei die kommunale Wärmeplanung daher besonders gefordert.

Heizungen in Niedersachsen sind eher jung

Niedersachsen hat mit einem Durchschnittsalter von 12,3 Jahren für Heizungen bundesweit vergleichsweise junge Heizsysteme in den Gebäuden. In etwa zehn Jahren werden also viele erneuern müssen. Doch je weniger Menschen zukünftig Gas nutzen, desto weniger Schultern teilen sich die Netzentgelte. "Die Politik muss jetzt tätig werden und den Ordnungsrahmen anpassen, damit die Netzentgelte nicht unkontrolliert steigen und im Extremfall wenige verbleibende Kunden die Kosten des gesamten Netzes tragen." Niedersachsen habe viel zu tun - aber mit der Windenergie auch viele Möglichkeiten, betont Saerbeck.

Fernwärme bisher auch fossil - aber leichter umzustellen

Was in Nordwest-Niedersachsen die Gasheizung, ist anderswo im Norden das Fernwärmenetz. Spitzenreiter ist nicht etwa eine Stadt - sondern die Insel Helgoland (93,6 Prozent). Doch auch in der Region Flensburg, in Wolfsburg und zahlreichen Städten in Mecklenburg-Vorpommern dominiert Fernwärme. Im Nordosten verfügen 37 von 84 Städten über ein Fernwärmesystem, darunter auch kleine Orte wie Bützow und Neubukow. "In Mecklenburg-Vorpommern ist in der DDR und nach der Wende in Fernwärme investiert worden", sagt Saerbeck. Doch in Fernwärme versteckt sich bisher oft Fossiles. So kommt der Großteil der Wärme des Hamburger Netzes noch aus Kohle. Das soll sich mit der Abschaltung der Kohlekraftwerke und dem neuen Energiepark Hafen bald ändern. Anders als in Niedersachsen fließt dann einfach klimafreundlichere Wärme in die Haushalte - ohne, dass ein Hausbesitzer von einer Investition überzeugt werden muss.

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Wenig relevant: Erneuerbare Energien, Holz und Strom

Nach Gas- sind Ölheizungen der zweitwichtigste Wärmelieferant im Norden. Sie sind überall zu finden. In der Gemeinde Wiedenborstel bei Neumünster stehen sie sogar in allen Gebäuden des Ortes - allerdings stehen dort auch nur vier Häuser. Erneuerbare Energie, die bei der Stromerzeugung schon eine wesentliche Rolle spielen, haben bei der Wärmegewinnung noch immenses Potenzial. Alle Bundesländer im Norden nutzen Wärmepumpen, Geothermie und Solarenergie seltener als der bundesweite Durchschnitt.

Kohle (außerhalb von Fernwärme) und Biomasse spielen im Norden keine große Rolle bei der Wärmegewinnung. Auch Strom trägt nur in Süddeutschland und Nordrhein-Westfalen wesentlich zum warmen Heim bei. In Süddeutschland, wo früher Atomenergie floss, wird bereits heute mehr auf Stromlösungen gesetzt. Auch Holz wird in Bayern und Baden-Württemberg deutlich öfter zur Wärmegewinnung genutzt als im Norden. Hier spielt Holz lediglich in Südniedersachsen eine Rolle.

Zensus aus 2022: Und seitdem?

Die Zahlen des Zensus sind aus dem Jahr 2022. Seither gab es während der russischen Gasknappheit doch einen Wärmepumpen-Boom, oder? Ja, aber die Heizungsbranche hat während der langwierigen Diskussion um das EEG eine starke Rückwärtsbewegung festgestellt. "Die Welle, bei der die Leute bewusst klimafreundlichere System wollten, wurde nicht mitgenommen. Letztes Jahr ist eine unheimliche Nachfrage nach Gasheizungen entstanden," sagt der Vorsitzende der niedersächsischen Handwerkskammern, Eckhard Stein. Aufträge für Wärmepumpen seien zurückgestellt worden, weil die Menschen die Preisentwicklungen und Fördermöglichkeiten abwarten wollten. Anstatt sich zu informieren, seien Leute in Panik verfallen und hätten schnell noch neue Gaskessel installieren lassen, erzählen Experten. "Es wird eine Bewegung weg von fossilen Brennstoffen kommen müssen. Bis 2045 komplett umgestellt zu haben, ist ein hochgestecktes Ziel. Es ist eine Herausforderung als Gesellschaft. Wir müssen es alle wollen - und am Ende auch finanziell können."

Energieträger bei Gebäude-Heizungen

Hier können Sie sehen, wie in Ihrer direkten Umgebung geheizt wird. Zoomen Sie einfach rein.

Zensus als Grundlage für Politik

Alle zehn Jahre liefert der Zensus - ehemals bekannt als Volkszählung - detaillierte Erkenntnisse darüber, wie die Menschen in Deutschland leben. Ende Juni wurden die neuesten Daten veröffentlicht. Sie stammen aus Melderegistern und Haushaltebefragungen. Sie dienen als Grundlage für politische Planungen und Vorhaben in ganz Deutschland. Die Zensusdaten werden vom Statistischen Bundesamt sehr detailliert veröffentlicht - teilweise bis auf ein Raster von 100 mal 100 Metern. Um in diesen Gitterzellen oder auch in sehr kleinen Gemeinden dennoch den Rückschluss auf einzelne Menschen zu verhindern, werden die Daten leicht verfälscht. Dabei wird ein Geheimhaltungsverfahren verwendet, das jedes Originalergebnis mithilfe eines Zufallsverfahrens leicht verändert. Aus diesem Grund können Ergebnisse in der höchsten Zoomstufe Ungenauigkeiten enthalten.

Grafiken: Serafin Arhelger, Michael Hörz, Michael Kreil

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Dieses Thema im Programm:

NDR Info | Aktuell | 05.07.2024 | 15:11 Uhr

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