Als die "Gorch Fock" vom Stapel lief
23. August 1958: Zehntausende Gäste haben sich auf dem Werftgelände von Blohm + Voss versammelt, um den Stapellauf der "Gorch Fock" im Hamburger Hafen mitzuerleben. Unter dem Tuten der Schiffshörner und dem Jubel der Zuschauer rauscht die Dreimastbark der Bundesmarine um 11.16 Uhr ins Wasser, als es heißt "Stoppen los!".
"Gorch Fock" wird auf Plattdeutsch getauft
Zuvor hat die 14-jährige Ulli Kinau das Schiff getauft. Mit den Worten: "Boben dat Leben steiht de Dod, aber boben den Dod steiht wedder dat Leben. Ick döp di op den Naam 'Gorch Fock'!" (Über dem Leben steht der Tod, aber über dem Tod steht wieder das Leben. Ich taufe dich auf den Namen "Gorch Fock") lässt sie eine Sektflasche am Bug zerschellen. Gorch Fock war der Künstlername ihres berühmten Onkels, Johann Kinau, der insbesondere durch seinen Roman "Seefahrt ist not" bekannt wurde. Kennengelernt hat Ulli Kinau ihren Onkel allerdings nicht. 1916 ging er während des Ersten Weltkriegs mit dem Kreuzer "Wiesbaden" in der Skagerrak-Schlacht unter.
Auch Ulli Kinaus Vater, Rudolf Kinau, steht auf der in den Farben Hamburgs geschmückten Taufkanzel unter dem Bugspriet. Er hält die Taufrede und zeichnet mit plattdeutschen Worten den Lebensweg seines älteren Bruders, dem Seefahrtsdichter Gorch Fock, nach. Unter den Gästen befinden sich auch die Frau Gorch Focks, Rosa-Elisabeth Kinau, sowie seine Enkel.
Untergang der "Pamir" überschattet das Fest
Der Stapellauf des ersten Segelschulschiffs der Bundesmarine ist jedoch kein unbeschwertes Fest. Die Gäste erinnern sich an die Katastrophe knapp ein Jahr zuvor, als die "Pamir" - das Segelschulschiff der deutschen Handelsmarine - im Atlantik versank und 80 der 86 Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Von dieser Katastrophe handelt auch die Rede des Inspekteurs der Bundesmarine, Vizeadmiral Ruge, der nach der Begrüßung der Gäste durch Werft-Chef Walther Blohm das Wort ergreift. Dem kritischen Publikum versucht er darzulegen, dass die heute vom Stapel laufende "Gorch Fock" sicherer sei als die durch 'mangelnde Stabilität' gesunkene "Pamir". Tatsächlich sind die Konstruktionspläne der "Gorch Fock" nach dem "Pamir"-Untergang erneut überarbeitet worden. Rund 300 Tonnen Eisenballast im Rumpf geben dem Schiff auf See eine besonders hohe Stabilität - theoretisch bis zu 90 Grad Krängung.
Doch es gibt noch weitere Zweifel: Einige befürchten, dass mit der "Gorch Fock" erneut ein Kriegsschiff vom Stapel läuft. Denn bereits Kaiser Wilhelm II. ließ seine Kriegsschiffe bei Blohm + Voss bauen, später zählte die Kriegsmarine des "Dritten Reiches" zu den größten Auftraggebern der Hamburger Werft.
Friedensbotschafterin "Gorch Fock"
Doch bald erweisen sich diese Ängste als unbegründet. 1959 sticht die "Gorch Fock" zu ihrer ersten Ausbildungsfahrt in See. Das neue Segelschulschiff wird in Häfen auf der ganzen Welt freudig empfangen. Statt als Kriegsschiff nehmen die Menschen die Bark als "Friedensbotschafterin in Weiß" wahr.
Heftige Kritik nach tödlichen Unfällen
Jahrzehntelang ist die "Gorch Fock" der Stolz der Deutschen Marine. Doch als bei Unfällen 2008 und 2010 zwei Kadettinnen an Bord ums Leben kommen, gibt es heftige Diskussionen über die Bedingungen an Bord. Die Ausbildungsfahrten werden vorübergehend ausgesetzt, ein neues Ausbildungskonzept erarbeitet, mit dem das Schiff ab 2012 erneut in See sticht.
Instandsetzung verschlingt Millionen
Zum Jahreswechsel 2015/16 kommt die "Gorch Fock" zur Überprüfung ins Dock der Bredo Werft in Bremerhaven. Dort stellt man schwere Schäden fest. Die Kosten für die Instandsetzung steigen von anfänglich geschätzten zehn Millionen Euro auf bis zu 135 Millionen Euro. Wegen der Kostenexplosion diskutiert die Bundesmarine zwischenzeitlich auch über einen Neubau. Doch mittlerweile ist entschieden: Die "Gorch Fock" soll nach ihrer derzeitigen Runderneuerung noch über das Jahr 2040 hinaus als Segelschulschiff der Marine dienen.