Wie die "Pamir" im Hurrikan versank
Als der Frachtsegler "Pamir" der Hamburger Reederei F. Laeisz am 21. September 1957 untergeht, sterben 80 der 86 Mann Besatzung. Die Ladung des Schulschiffs war im Hurrikan verrutscht. War das Unglück vorhersehbar?
"SOS von 'Pamir', jagt auf uns zu, deutsche Viermastbark 'Pamir' in Gefahr zu sinken!" Dieser Funkspruch erreicht am 21. September 1957 um 11.54 Uhr Ortszeit etliche Schiffe im Nordatlantik. Kurz darauf ein weiterer Hilferuf: "Jetzt eilt, Schiff macht Wasser, Gefahr des Sinkens!" Es bleibt die letzte Meldung der "Pamir". Kurz darauf geht das Segelschulschiff unter. Nur sechs der 86 Besatzungsmitglieder überleben die Katastrophe.
"Wir sahen das Schiff noch kieloben treiben"
An die letzten Minuten des Schiffes erinnerte sich der 2009 verstorbene Karl-Otto Dummer auch Jahrzehnte später genau. Er war 1957 einer der sechs Überlebenden der Katastrophe und als Kochmaat auf der "Pamir". Als das Schiff mitten im Hurrikan kentert, seilt sich der damals 25-Jährige an einem Tampen ins Wasser ab. Weil die "Pamir" bereits vorher starke Schlagseite hat, können keine Rettungsboote ins Wasser gelassen werden. Nur schwimmend gibt es eine Chance eines der wenigen losgerissenen, beschädigten Rettungsboote zu erreichen. "Ganz ruhig habe ich mich heruntergelassen", sagt Dummer in einem Interview im Jahr 2007. "Hätte ich mich fallen lassen, wäre ich zwischen die bereits im Wasser Herumpaddelnden geraten. Da hat einer den anderen heruntergedrückt und gestoßen. Dabei sind wahrscheinlich schon sehr viele ertrunken." Schließlich holt die "Pamir" ganz über. "Wir sahen das Schiff dann nur noch kieloben treiben", so Dummer.
"Der eine hat gebetet, der nächste geflucht"
Etwa eine halbe Stunde dauert es, bis die "Pamir" vollständig versinkt. Auf dem sturmgepeitschten Wasser mit rund zwölf Meter hohen Wellen tobt derweil der Überlebenskampf. "Jeder schwamm so schnell er konnte. Man hatte wenig Zeit, sich um den anderen zu kümmern", so Dummer. Nach etwa einer Stunde retten sich er und neun seiner Kameraden auf ein Leck geschlagenes Rettungsboot. Im Inneren reicht ihnen das Wasser bis zum Bauch. Stunde um Stunde hoffen die Seeleute auf Hilfe. "Der eine hat gebetet, der nächste geflucht", erinnert sich Dummer. "Das Schlimmste aber war einzuschlafen - dann wachte man nicht mehr auf." Nach 54 Stunden sind fünf Kameraden gestorben. Endlich findet das US-Schiff "Saxon" das Boot. "Da kam eine Regenböe auf uns zu, eine schwarze Wand. Dann sahen wir einen Regenbogen. Und zwischen Regenbogen und Regen, das sah aus wie ein Tor. Und mittendrin ein wunderschönes Schiff. Da denken Sie doch, jetzt sind Sie verrückt. Aber dann ist das wirklich", berichtet Dummer von den letzten Minuten vor der Rettung.
Nur sechs Menschen werden gerettet
60 Schiffe aus 13 Nationen und elf Flugzeuge suchen sieben Tage lang nach den 86 Seeleuten: Es ist die bislang größte Rettungsaktion der Geschichte. Doch außer Dummer und seinen Kameraden bergen sie 18 Stunden später lediglich einen weiteren Überlebenden. Besonders erschütternd: Die Rettungskräfte finden mehrere Seeleute, die trotz Schwimmwesten ertranken, weil die Westen den Rücken statt den Kopf über Wasser hielten. Ihr Schicksal gibt den Anstoß zur Entwicklung sogenannter ohnmachtssicherer Rettungswesten.
Mit der "Pamir" geht eine Legende unter
Die Nachricht vom Untergang der "Pamir" löst in der jungen Bundesrepublik Bestürzung aus. Die Besatzung bestand zum Großteil aus sehr jungen Leuten, Kadetten, Schiffsjungen, Matrosen, die an Bord des Schulschiffes ausgebildet werden sollten. Mehr als die Hälfte war zwischen 16 und 18 Jahre alt.
Der Schock sitzt umso tiefer, da die "Pamir" kein gewöhnliches Schiff war. Das 1905 in Hamburg bei Blohm + Voss erbaute Schiff zählte zu den berühmten Flying-P-Linern, einer Reihe von Frachtseglern der Hamburger Reederei Laeisz, die im Transatlantikhandel eingesetzt und für ihre Schnelligkeit und Zuverlässigkeit bekannt waren - eine schwimmende Legende.
Warum sank das Schiff?
Das Seeamt Lübeck untersucht den Hergang der Katastrophe in den Folgemonaten eingehend. 1958 kommen die Experten zu dem Schluss, dass die falsche Beladung des Frachtseglers mit loser Gerste als Hauptursache zu gelten habe. Im Zusammenspiel mit weiteren Faktoren wie einer unerfahrenen Schiffsführung sowie dem überraschend aufziehenden Wirbelsturm habe sie zu dem Unglück geführt.
"Die 'Pamir' hätte abgewrackt gehört"
Bis heute sind nicht alle Umstände des Unglücks vollständig geklärt. Unklar ist etwa, inwieweit das Schiff überhaupt fahrtüchtig gewesen ist. Die "Pamir" sei dringend reparaturbedürftig gewesen, heißt es von Buchautor Johannes K. Soyener, der sich intensiv mit dem Untergang der "Pamir" beschäftigt hat und darüber einen 2007 erschienenen Tatsachenroman verfasste. Das Schiff sei ein "Seelenverkäufer" gewesen - verrostet, verschuldet und fahrlässig geführt. "Die 'Pamir' hätte nie mehr auf See gehört, sondern abgewrackt", so Soyener.
Dringende Reparaturen seien aus Geldmangel aufgeschoben worden. Dass die "Pamir" reparaturbedürftig war, belegt auch ein Schreiben des Kapitäns Hermann Eggers an die Stiftung, in dem etwa von einem korrodierten Stahldeck und einem leckenden Hochdeck die Rede ist. Andererseits stuft der "Germanische Lloyd", eine Art Schiffs-TÜV, die "Pamir" noch kurz vor ihrer letzten Fahrt als absolut hochseetüchtig ein.
Die letzte Fahrt der "Pamir"
Am 11. August 1957 sticht das Schiff mit 3.780 Tonnen Gerste an Bord von Buenos Aires in Richtung Hamburg in See. Das Kommando hat Johannes Diebitsch, dessen Erfahrung mit Großseglern bereits Jahre zurückliegt. Der erfahrenere Kapitän Hermann Eggers ist erkrankt. Wegen eines Streiks der Hafenarbeiter hat Diebitsch das Getreide durch die Mannschaft selbst stauen lassen. Statt in Säcken wurde ein Großteil der Gerste als Schüttgut geladen - möglicherweise der entscheidende Fehler. Denn lose Gerste gilt als besonders tückische Ladung. Im Schiffsrumpf kann sie leicht verrutschen: "Das weiß jeder Bauer: Gerste fließt. Die schwappt über wie Wasser", erklärt Soyener. Der Kapitän begeht noch einen weiteren Fehler: Er lässt auch den Tieftank mit Gerste beladen. Dieser ist jedoch für die Stabilität des Schiffs von großer Bedeutung, weil man ihn im Notfall fluten kann. Durch das Beladen schaltet Diebitsch diese Sicherheitsreserve aus.
"Pamir" trifft auf Hurrikan "Carrie"
Nach anfänglicher Flaute gerät die "Pamir" am Morgen des 21. September etwa 1.100 Kilometer westlich der Azoren in den Hurrikan "Carrie". Unklar ist, ob die Schiffsführung überhaupt oder möglicherweise zu spät über den aufziehenden Hurrikan informiert wurde, um ihm weiträumig auszuweichen. Gesichert ist aber, dass "Carrie" mehrfach die Zugrichtung ändert und schließlich direkt auf das Schiff zukommt. Die Segel werden nicht mehr rechtzeitig eingeholt, einige zerfetzen im Sturm, andere werden von der Besatzung gekappt, sodass das Schiff in den letzten Stunden ohne Segel im Sturm treibt. Unter der Wucht des Hurrikans ist die Ladung verrutscht und bringt das Schiff immer weiter in Schräglage. Wasser dringt ein. Um 12.03 Ortszeit setzt die "Pamir" einen letzten Hilferuf ab. Er ist nicht mehr zu entschlüsseln, das Schiff wohl bereits gekentert.
Untergang läutet Ende der Frachtsegler-Ära ein
War die "Pamir" Leck geschlagen, wie der Anwalt der "Stiftung Pamir und Passat" später in der Untersuchung behauptet? Oder hatte der Kapitän versäumt, das Schiff rechtzeitig sturmfest machen zu lassen, sodass Wasser durch die Bullaugen und andere Öffnungen eindringen konnte? Es lassen sich wohl nicht mehr alle Hintergründe des Unglücks vollständig klären. Vieles spricht aber dafür, dass die Katastrophe trotz Hurrikans zu verhindern gewesen wäre - etwa, wenn die Ladung sicher gestaut und eine erfahrene Schiffsführung rechtzeitig notwendige Maßnahmen eingeleitet hätte.
Für die Schifffahrt bedeutete der Untergang der "Pamir" den Anfang vom Ende der Frachtschifffahrt unter Segeln. Als nur wenige Wochen nach dem Unglück auch das Schwesterschiff "Passat" im Sturm ebenfalls große Probleme mit einer verrutschten Gersteladung bekommt, ist das Ende dieser Ära endgültig besiegelt. Frachtfahrende Segelschulschiffe hat es seither keine mehr gegeben.