Ein Kartengruß vom Unglücksschiff "Pamir"
"Liebe Sis! Sei nicht bös ob der Kürze. Da wir alle 4000 to Gerste selbst laden müssen (Streik), fehlt jedes Bißchen Zeit. Morgen früh laufen wir aus. Alles andere mündlich. Grüß Biene! Dein Söhn"
Als Hanns-Georg Wirth am 9. August 1957 seiner Schwester "Sis" aus Buenos Aires eine Ansichtskarte mit diesem Text schreibt, ahnt er nicht, wie tragisch diese Fahrt enden wird. Der damalige Leichtmatrose absolviert gerade seine dritte Fahrt auf der "Pamir". Wenige Wochen später geht das Segelschulschiff im Hurrikan im Nordatlantik unter. Nur sechs der 86 Besatzungsmitglieder überleben. Einer von ihnen ist Hanns-Georg Wirth, Spitzname "Söhn".
"Gemeinsam sind wir durch Leer getobt"
"Wir hatten damals alle Spitznamen", erinnert sich Marianne Meißner. "Sis" heißt eigentlich Elisabeth, Marianne wird "Biene" genannt. Biene und Sis sind enge Freundinnen, gemeinsam haben sie die Ausbildung zur Krankenschwester absolviert. Sie wohnen in Leer, Ostfriesland. Auch mit dem Bruder Hanns-Georg ist Marianne befreundet: "Wir hatten wirklich sehr engen Kontakt, waren alle jung, alle im gleichen Alter - fast wie Geschwister. Gemeinsam mit Hanns-Georg und seinem Bruder sind wir damals in und um Leer herumgetobt“, erinnert sich die heute 84-Jährige.
"Sein Gesicht war vom Salzwasser gezeichnet"
Der Untergang des Schulschiffs war auch für sie ein Schock. Und Hanns-Georg habe sich verändert: "Man hat ihn nach der Rückkehr sehr gefeiert. Aber er hat sich eher zurückgezogen", erzählt Marianne Meißner. Die Spuren der Strapazen seien ihm anzusehen gewesen - mehr als zwei Tage harrten er und vier weitere Überlebende im kaputten Rettungsboot aus, sahen mehrere Kameraden sterben, bis ein amerikanischen Schiff sie schließlich rettete. "Sein Gesicht war von dem Salzwasser gezeichnet", so Meißner. Doch Hanns-Georg gibt die Seefahrt dennoch nicht auf. Bereits wenige Monate nach der "Pamir"-Katastrophe geht er wieder an Bord eines Schiffes. Er erreicht sein Ziel, Kapitän zu werden und fährt insgesamt 33 Jahre lang zur See. Heute lebt Hanns-Georg Wirth in Portugal.
Eine Postkarte taucht wieder auf
Die Postkarte, die er damals schrieb, bekommt Marianne spätervon ihrer Freundin Sis. Sie legt sie zwischen die Seiten eines Reader's Digest. "Zu einem Artikel über die 'Pamir'", so Marianne Meißner. Dort bleibt die Karte, bis ihr Sohn Markus sie findet. Der war selbst bei der Marine, interessiert sich für Schifffahrt.
Als sich der Untergang der "Pamir" zum 60. Mal jährt, kommt ihm die Idee, die Postkarte zu fotografieren und Hanns-Georg Wirth das Foto zu schicken. Der habe jedoch kein Interesse gehabt, so Markus Meißner. Über die Berichterstattung habe sich Hanns-Georg in den vergangenen Jahren zu oft geärgert. Einiges habe sich anders zugetragen, als später behauptet worden sei. Was genau, darüber will Hanns-Georg jedoch heute ebenso wenig reden wie damals, auch nicht mit Markus.
Immerhin: Durch die Postkarte kommen die Familien Wirth und Meißner wieder in Kontakt, erstmals seit den 1970er-Jahren. Die vier Freunde von damals, die gemeinsam durch Leer tobten, leben alle noch.