"Ein Moment von Gegenwelt": Zum 80. Geburtstag von F. C. Delius
Friedrich Christian Delius, bekannt als F. C. Delius, gehörte seit den 1960er-Jahren bis zu seinem Tod am 30. Mai 2022 zu den maßgeblichen Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur. Er wäre am Montag 80 Jahre alt geworden.
"Am Ende entscheiden in der Literatur allein die Sätze, die Energie, die Unruhe, die sich zwischen zwei Punkten entfalten", so hat es Friedrich Christian Delius 2011 in seiner Dankesrede für den Büchner-Preis auf den Punkt gebracht. Themen, das hat er immer wieder betont, haben ihn nie interessiert. Mit jedem Buch hat er vor allem eine neue Form gesucht.
Die Öffnung ins Reich der Worte
Die Literatur bot ihm sein Leben lang die Möglichkeit, vermeintliche Schwächen in Stärken zu verwandeln: "Als ich die ersten Gedichte schrieb, so mit 16, 17, hab ich gemerkt, dass ich mehr Wörter in mir hatte, als ich geglaubt habe. Es war eine Überraschung über mich selber. Dass dieser Mensch, den ich ja auch für stumm und dumpf und dumm gehalten habe, weil er so wenig gesagt hat, dass dem plötzlich - ich will nicht sagen, wie aus einem Vulkan, aber doch von unten - eine Öffnung in das Reich der Worte kam."
Der Norddeutsche Rundfunk half dabei ein bisschen mit: Anfang der 1960er-Jahre hatte Delius eines seiner Gedichte an den NDR geschickt. Es wurde veröffentlicht und mit diesen Worten anmoderiert: "Den Tod durch Ertrinken ohne zeitkritische Ironie, aber doch zeitnah, behandelt der 18-jährige Friedrich Christian Delius aus Korbach."
Ein Moment von Gegenwelt
Die Anerkennung hat ihn beflügelt. Als er nach Berlin zieht, arbeitet er zunächst beim gerade gegründeten Wagenbach-Verlag als Lektor. Der Gedichtband "Kerbholz" erscheint und zeitkritische Schriften wie "Wir Unternehmer" und "Unsere Siemens-Welt", wodurch er in einen langjährigen Rechtsstreit hineingezogen wird, der schließlich zu seinen Gunsten ausgeht.
Mit "Mogadischu Fensterplatz" schreibt Delius als erster einen Roman über die Opfer des RAF-Terrorismus, in "Die Birnen von Ribbeck" blickt er bereits 1991 auf die Deutsche Wiedervereinigung und 1994 erinnert er sich an "Das Jahr, in dem ich Weltmeister wurde". Für ihn war es das Jahr 1954. Er war elf Jahre alt, stotterte, wurde ständig rot und fühlte sich eingeengt durch die Autorität seines Vaters, eines evangelischen Pfarrers: "Ich habe überlegt, dass ich das mit irgendetwas kontrastieren möchte. Und dann bin ich irgendwann darauf gekommen: Erinnere dich an diesen Nachmittag 1954, wo du da beim Radio gesessen hast. Das war doch so ein Moment von Gegenwelt."
Friedrich Christian Delius erhält den Büchner-Preis
Diese Idee einer Gegenwelt greift Delius in seinem Buch "Die Zukunft der Schönheit" auf. Diesmal blickt er zurück auf ein Freejazz-Konzert in New York, das er 1966 auf einer Reise der "Gruppe 47" miterlebt hat. Im Taumel der wilden Töne der Band von Albert Ayler blickt er noch einmal zurück auf seine Vatergeschichte und auf die Entstehung seiner literarischen Identität. Damals noch nicht ahnend, dass neben vielen, vielen literarischen Auszeichnung ihm auch einmal die bedeutendste im deutschsprachigen Raum zuerkannt würde. Das war 2011.
"Büchner ist natürlich das Größte, ist ja gar keine Frage. Das macht einen stolz. Das ist eine Anerkennung, die sich im ganzen Lande rumspricht, also zu meiner Hauswartsfrau, fast bis zu den Müllmännern. Also: Das ist schon was." In der Dankesrede zum Büchner-Preis stellte Delius einmal mehr klar, wie er seine Rolle als Schriftsteller verstanden wissen wollte.
Und wer ihn so sprechen hört, spürt, wie sehr seine Stimme fehlt: "Als ich, der vorher mitdemonstriert hatte und nun vor weiteren Schritten zurückschreckte, stehenblieb, so begann ich zu meiner vertrauten Rolle als Schweiger die neue Rolle als Zuschauer zu akzeptieren und gegen den bissigen Vorwurf: Du hältst dich raus, du tust nichts! die leise Antwort zu finden: Doch, ich tue was, ich schaue zu, ich schaue nicht weg, ich merke mir das, ich hebe das auf."
F. C. Delius im Programm von NDR Kultur
In "Am Morgen vorgelesen" werden aktuell Erzählungen von Friedrich Christian Delius wie "Die Birnen von Ribbeck" gelesen. Am Montagabend ab 23.30 Uhr sendet NDR Kultur in der Sendung "Jazz - Round Midnight" den Konzertmitschnitt des Jazz-Konzerts, das Delius zu seiner Erzählung "Die Zukunft der Schönheit" inspiriert hat.