Buchcover: Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus, "Politisch, poetisch, polemisch – Texte zur feministischen Gegenwart" © Leykam
Buchcover: Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus, "Politisch, poetisch, polemisch – Texte zur feministischen Gegenwart" © Leykam
Buchcover: Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus, "Politisch, poetisch, polemisch – Texte zur feministischen Gegenwart" © Leykam
AUDIO: Neue Bücher: "Politisch, Poetisch, Polemisch" von C. Kraft und E. Wellershaus (5 Min)

"Politisch, poetisch, polemisch": Texte zur feministischen Gegenwart

Stand: 07.03.2025 06:00 Uhr

Zum zehnjährigen Jubiläum der feministische Kolumne "10 nach 8", die wöchentlich auf "Zeit Online" erscheint, haben die Redaktionsmitglieder Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus eine Anthologie herausgegeben - mit 30 ausgewählten Texten der letzten Jahre.

von Andrea Schwyzer

Manchmal lässt ein einzelner Satz vermuten: Hier schreibt eine Frau. Ein Satz, wie beispielsweise dieser:

"Ich mache uns Umstände, finde ich." Leseprobe

Gelesen bei Lin Hierse. Und was, wenn es nicht allein um einen Satz geht, sondern um die Tonalität? Wie schreiben Frauen? Für Aiki Mira, non-binärer Science-Fiction-Star, fühlt es sich so an:

Im Schreiben fließt mein Körper über vor Verlangen, ist zum Platzen voll mit zahllosen Vorstellungen von dem, was sein könnte. Den schreibenden Körper verstehe ich daher immer auch als trans*Körper, als eine sehnsuchtsvolle Ausrichtung auf das Werden. Ein schreibender Körper ist ein utopischer Körper, weil er zum Ort wird, an dem Utopien entstehen. Leseprobe

Texte zu Flucht, Familie, Krieg, Rassismus und Sexismus

30 Kolumnen aus zehn Jahren sind in der Anthologie "Politisch, poetisch, polemisch" versammelt. Ausgesucht wurden sie von Caroline Kraft und Elisabeth Wellershaus, beide Redakteurinnen des Frauenkollektivs "10 nach 8". Verhandelt werden Themen wie Flucht, Familie, Krieg, Rassismus, Sexismus.

Mit siebzehn erzählt jemand herum, dass ich irgendwo hinter der Disco "in den Wiesen" Sex gehabt hätte. Ich war weder "in den Wiesen" noch hatte ich Sex, ich war immer noch Jungfrau. Ein anderer behauptete, ich sei verklemmt und wolle keinen Sex, dabei war das nie Thema in unserer zweiwöchigen Beziehung. Noch ein anderer sagt - oder waren es mehrere? -, ich sei eine Nutte, die mit jedem herummacht. Leseprobe

Erinnerungen der Autorin Tanja Raich.

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"Die Frau als Mensch": Comic-Künstlerin Ulli Lust im Gespräch

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Ehrlich, intim, informativ, lustig

Die versammelten Texte sind vor allem persönlich. Sie sind ehrlich, intim, informativ, lustig, manche machen wütend. Aylin Karadeniz etwa schreibt, wie sie - in Deutschland geboren - mit 18 die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen will und aufgrund einer "Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts" scheitert. Erst nach einer jahrelangen Odyssee erhält sie den deutschen Pass - und wird dann, bei ihrer eigenen Einbürgerungsfeier, vom Herrn Stadtrat aufgefordert, nach der Party den Raum durchzuwischen.

Überraschend, die lakonische Erzählung von Heike-Melba Fendel, die für ihren Vater, einen Nazi, eigentlich keine Gefühle haben will. Oder die schonungslos ehrliche Schilderung von Hella Dietz, die ihren Vater beim Sterben begleitet:

Vermutlich weichen wir dem Sterben aus, weil wir der Gewissheit des eigenen Todes ausweichen, solange wir können. (…) "Nach dem Tod der Eltern", so hatte ich es von anderen oft gehört, "steht niemand mehr zwischen mir und dem Grab." Der Tod ist nun kein Zaungast mehr, er ist direkt vor mir. Ich stehe am Abgrund. Ich muss mich bereit machen. Leseprobe

Gegen die männliche Dominanz im Showbiz

Mutig-frech, wie Nino Haratischwili das Aufbegehren der Schauspielerinnen gegen die männliche Dominanz im Showbiz bei den Golden Globes 2018 anprangert:

Auf der Bühne sieht man eine endlose Menge an Botox und verhungerten Körpern, an Essensverzicht und Tausenden von Stunden beim Personal Trainer, man sieht den verbissenen Kampf mit dem Alter, man sieht das Klammern an die Schönheit, die nicht vergehen darf. Leseprobe

Wenn diese Frauen für Gleichberechtigung kämpfen, sollten sie dann nicht den uneingeschränkten Rückhalt aller anderen Frauen bekommen? Nein, findet Nino Haratischwili:

Es ist traurig, dass diese Frauen, die da oben stehen und die allesamt talentiert und klug sind, sich der Macht nicht bewusst sind, die sie hätten, würden sie sich nicht auf ihre Schönheit und ihre Chanel-Roben berufen, sondern in erster Linie auf ihr Können. Leseprobe

Wo sind die feministischen Utopien?

Die Texte sind politisch, ja - polemisch sind sie nicht. Poetisch auch nicht wirklich. Insofern weckt der Titel bei mir falsche Erwartungen. Das Kämpferische fehlt - oder, um im Bild von Aiki Mira zu bleiben, vom schreibenden Körper, der Utopien entwerfen kann: Wo sind die feministischen Utopien? Die Texte sind eher beschreibender Natur. Damit bleiben sie wichtig, keine Frage. Nur funktionieren sie als wöchentliche Kolumne besser als in Buchform, scheinbar zufällig aneinandergereiht. Als Leserin bin ich versucht, zu vergleichen; von einer Erinnerung zur nächsten hüpfend. Das nimmt den einzelnen Texten von ihrer Wahrhaftigkeit und Kraft.

Politisch, poetisch, polemisch - Texte zur feministischen Gegenwart

Seitenzahl:
256 Seiten
Genre:
Roman
Verlag:
Leykam
Bestellnummer:
978-3-7011-8370-8
Preis:
25,50 €

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Neue Bücher | 07.03.2025 | 12:40 Uhr

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