"Die Frau als Mensch": Comic-Künstlerin Ulli Lust im Gespräch
Die Comic-Künstlerin Ulli Lust ist eine der renommiertesten Vertreterinnen ihres Fachs. Im Interview spricht sie über ihre Arbeit, die Herausforderung einen Sach-Comic zu gestalten und die Bedeutsamkeit der Farbe Rot-Ocker.
Seit vielen Jahren beschäftigt sich Ulli Lust mit dem Bild der Frau in der Gesellschaft. Jetzt hat sie mit dem Buch "Die Frau als Mensch", die oft falschen Annahmen über die steinzeitliche Lebensweise unter die Lupe genommen. In ihren Recherchen fand sie bestätigt, was viele vielleicht bereits geahnt hatten: Die Frau, und nicht der Mann, stand im Zentrum dieser längst vergangenen Kultur, nicht Egoismen und das Recht des Stärkeren haben uns so lange und erfolgreich als Spezies überleben lassen, sondern die Fähigkeit zur Kooperation.
Sie lehren seit zehn Jahren an der Hochschule in Hannover als Professorin den Comic. Wie funktioniert das?
Ulli Lust: Was ich unterrichte, ist Grafisches Erzählen, das Erzählen mit Bildern, das, was ich selber in Österreich damals nicht studieren konnte, weil es das Angebot nicht gab. Das bieten wir jetzt in Hannover an. Es ist eine Kombination aus Zeichnen und Storytelling. Man muss einfach sehr viel selber zeichnen, und ich erkläre, welche Möglichkeiten es gibt und welche nicht. Aber im Grunde müssen die Leute das alles selber erfahren. Ich kann keine Regeln vorgeben.
Das Medium Comic ist ein sehr komplexes. Man muss sehr viele Fäden in der Hand halten. Deswegen ist es sinnvoll, das im Studium zu lernen. Früher waren die Comiczeichner*innen alle Autodidakt*innen - das war auch in Ordnung. Ich habe während meines Studiums ausschließlich Comics gezeichnet, und ich habe diesen Vorlauf auch gebraucht, um diese Fähigkeiten zu bekommen, diese Bild- und Textebene im Griff zu behalten, die Dramaturgie und die Storyline.
Sie haben einen neuen, wunderbaren Band vorgelegt: "Die Frau als Mensch. Am Anfang der Geschichte". Darin geht es um das Bild von Frauen in verschiedenen Zeiten der Menschheitsgeschichte und wie die Frauenfiguren, die man gefunden hat, über die Jahrhunderte hinweg von den Archäologen gedeutet wurden. Bei steinzeitlichen Jägern ging man lange davon aus, dass das alles Männer waren - heute weiß man, dass es auch Frauen gewesen sind, die aber sehr muskulös und trainiert waren.
Lust: Die kulturelle Prägung ist sehr stark, wenn es darum geht, Artefakte und Spuren zu interpretieren. Wenn man nur wenige Spuren oder Figuren hat, dann neigen die Forscher*innen dazu, ihre eigene kulturelle Prägung auf dieses Objekt zu übertragen. Bei der Analyse dieser Frauenstatuetten bin ich sehr schnell auf dieses Problem gestoßen, dass wir kulturell verschiedenste Prägungen haben, wie wir Frauen anschauen. Nackte Frauenkörper zum Beispiel werden nicht mit derselben Unschuld betrachtet wie nackte Männerkörper. Es wird da immer gleich etwas darauf projiziert.
Die Spurensuche, was diese Figurinen in der Vergangenheit bedeutet haben könnten, bedeutet auch, dass ich diesen ganzen kulturellen Ballast hinter mir lassen muss. Ich muss versuchen, einen Tunnel durch diese ganzen Schichten an Geschichte zu bohren. Deswegen erwähne ich, dass es tendenziell diese verschiedenen Arten gibt, Frauen zu betrachten, um verständlich zu machen, dass man das alles weglassen kann. Das sind die ersten Menschen der Geschichte, und da gab es diese ganzen Prägungen in der Form noch nicht. Es gab vermutlich so etwas wie Naturgesetze bei den Steinzeitmenschen. Da wird immer gleich mit dem Naturgesetz des Stärkeren argumentiert, mit dem aggressivem, gewaltbereiten Mann, der konkurrenzorientiert ist, der natürlich stärker ist als die Frau und sie beschützen muss. Diese ganzen Mythen, die gerade im Sozialdarwinistischen wieder populär werden, sind tatsächlich auch moderne Mythen. Die Forschung hat mittlerweile längst belegt, dass der Homo Sapiens diese Erwartungen überhaupt nicht erfüllt hat. Der Gewinner der Evolution beim Homo Sapiens war der freundliche Mann und nicht der aggressive Gorilla. Das muss ganz deutlich richtig gestellt werden, weil aktuell wieder gerne argumentiert wird, dass egoistisches, egozentrisches Verhalten eine natürliche Sache sei und man sich notwendigerweise so verhalten müsse, wenn man überleben möchte. Aber genau das Gegenteil ist der Fall.
Sie verwenden in Ihrem Buch häufig die Farbe Rot-Ocker und zitieren Thorwald Ewe, der schreibt: "Die Wanderungen des modernen Menschen um die Welt werden von einer roten Farbwolke begleitet."
Lust: Ist das nicht ein wunderschöner Satz? Ich finde den so schön, so bildhaft. Ich habe die rote Farbwolke dann nicht wirklich gezeichnet, ich zeige nur die Menschen, die ausziehen. Natürlich malen sie sich immer mit Ocker an. Man denkt, dass sie die Kleider und die Gesichter mit Ocker angemalt haben. Rot ist nämlich für die meisten Säugetiere unsichtbar. Bei der Jagd ist es eine gute Tarnung, wenn man sich im Gesicht rot anmalt. Das klingt total absurd, weil für uns Rot eine Signalfarbe ist, aber wir haben eben die Rezeptoren für das Rot im Auge, und viele Jagdtiere haben diese Rezeptoren nicht - die würden ein Grau sehen. Das heißt, das dunkle Gesicht der Eiszeitmenschen wurde mit der roten Farbe etwas unsichtbarer. Die waren nämlich auch dunkelhäutig.
Das Gespräch führte Martina Kothe. Das komplette Interview hören Sie oben auf dieser Seite - und in der ARD Audiothek.
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