NDR Buch des Monats März: "Flusslinien" von Katharina Hagena
Die seit vielen Jahren in Hamburg lebende Autorin Katharina Hagena hat ihren vierten Roman geschrieben. "Flusslinien" birgt viele Geschichten: Das Altern, der Tod und die Liebe sind die großen Themen.
"Der Ausgangspunkt meiner Bücher ist meistens der Schauplatz. Ich muss wissen, wie es da riecht, wie es da aussieht, was da wächst, was da herumläuft oder wohnt, und dann kann ich meine Figuren da so reinpassen", sagt Katharina Hagena.
Bühne frei für die Elbe, von der Autorin bei unzähligen Spaziergängen erkundet. Jedes der zwölf Romankapitel beginnt mit einem kurzen Gang am Fluss, jedes Kapitel steht für einen Tag.
Tag 1: Über dem grauen Fluss liegt flacher Nebel, der unter dem Südostwind wallt und strömt wie Trockeneis. Darüber eine Schicht blasser Himmel, darüber die Wolken.

Die Figuren, die Katharina Hagena in diese Landschaft "eingepasst" hat, sind Margrit, Luzie und Arthur. Aus der Perspektive dieser drei erzählt sie auch. Margrit ist 102 und lebt in einer Seniorenresidenz an der Elbe, ihre 18-jährige Enkelin Luzie hat nach einem traumatischen Erlebnis kurz vor dem Abitur die Schule geschmissen, in einem DLRG Haus am Strand Unterschlupf gefunden und will Tätowiererin werden. Arthur, 24, ist ihr Nachbar. Er muss den Tod seines Zwillingsbruders verarbeiten und jobbt als Fahrer in der Seniorenresidenz. Margrit fährt er täglich in den "Römischen Garten" oberhalb der Elbe, die letzte Etappe des steilen Weges müssen die beiden allerdings zu Fuß bewältigen:
Oben angelangt, tut Arthur so, als brauche er eine Verschnaufpause, weil er sieht, dass sie eine braucht. Er gibt vor, kurzatmig zu sein, wischt sich mit einer großen Bewegung den Schweiß ab und fragt, ob sie den Alten im Heim Wackersteine zu essen gäben, sie würde ja von Tag zu Tag schwerer.
Katharina Hagena blickt auf die ganz Alten und die Jungen
Margrit bleibt nicht mehr viel Zeit. Das Altern, der Tod und die Liebe sind die großen Themen in diesem Roman. Die Liebe zwischen Margrit und ihrer Enkelin und die sich behutsam entwickelnde Liebe zwischen Luzie und Arthur. Hagena schaut auf die ganz Alten und die Jungen, deren Blick auf Vergangenheit und Zukunft. Die mittlere Generation hat sie bewusst ausgespart. Margrit erinnert sich noch an die Verfolgungen während der Zeit des Nationalsozialismus. Ihre Gesangslehrerin verschwand damals und auch die Gärtnerin Else Hoffa, eine historisch verbürgte Figur, die bei Hagena zur Lebensgefährtin von Margrits Mutter wird.
Auf Hoffa stieß die Autorin bei ihren Recherchen zum Römischen Garten und fand dabei unter anderem heraus, "dass sie mit einer Lehrerin aus Blankenese zusammengezogen ist. Das habe ich zum Beispiel in London erfahren. Dann habe ich mir aus Kalifornien einen Brief schicken lassen, und ich war - und da habe ich am meisten gefunden - im Staatsarchiv in Hamburg. Da waren nämlich die großen Prozessakten für Entschädigungsgelder und -renten, dafür, dass Else Hoffa als Vaterjüdin 1939 Hamburg verlassen musste."
"Flusslinien": Klug komponierter Roman
Ein historischer Roman ist "Flusslinien" jedoch nicht. Katharina Hagena spannt große Bögen und webt wie nebenbei ein feines und breites Netz aus verschiedensten Fäden. In diesem ungemein klug komponierten Roman hängt auf subtile Weise alles mit allem zusammen. Kaum jemand dürfte alle Anspielungen bei der ersten Lektüre verstehen. "Flusslinien" birgt viele Geschichten und ist fest in der Gegenwart verankert. Kaum ein Thema, das Katharina Hagena nicht anspricht: Es geht um die Rolle von Frauen in der Gesellschaft, Gewalt gegen Frauen, den Klimawandel, den Ukrainekrieg, den Missbrauch von Sprache.
"Ich finde, dass die aktuellen Themen im Moment so sehr unseren Alltag bestimmen, dass es mir vorkäme wie ein historischer Roman, wenn ich sie auslassen würde", findet Hagena. "Ich habe überhaupt kein Interesse an so einem Aktualismus, aber diese Kriege oder Konflikte, die sich über viele Jahre jetzt schon hinziehen in der Welt, das ist ja kein Aktualismus. Frauen in der Gesellschaft darzustellen, ist eine meiner Hauptmotivationen, überhaupt zu schreiben."
Flusslinien
- Seitenzahl:
- 400 Seiten
- Genre:
- Roman
- Verlag:
- Kiepenheuer & Witsch
- Bestellnummer:
- 978-3-462-00729-9
- Preis:
- 24 €
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