Hendrik Cremer © Anke Illing

Wie gefährlich ist die AfD? "Kurs orientiert sich am Nationalsozialismus"

Stand: 31.01.2024 16:47 Uhr

Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte warnt in seinem Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen" vor der AfD. Im Interview mit NDR Kultur betont er, dass sich die Partei längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt habe.

Herr Cremer, seit den Recherchen von Correctiv gehen hunderttausende Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und demonstrieren gegen die AfD. Wie blicken Sie auf die Proteste?

Hendrik Cremer: Ja, die Proteste sind natürlich sehr gut und sehr wichtig. Sie sind auch ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit, gegen das Schweigen. Sie werden allerdings nicht ausreichen, um der AfD effektiv entgegenzutreten.

Weitere Informationen
Bei einer Demo auf dem Opernplatz in Hannover halten Menschen Plakate mit der Aufschrift: "Meine Zukunft ist nur mit Demokratie". © NDR Foto: Markus Golla

Weitere Demos gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen

Seit Mitte Januar gehen vor allem an Wochenenden Tausende auf die Straße. In Braunschweig kamen am Samstag 2.000 Menschen zusammen. mehr

Glauben Sie denn, dass diese Proteste in irgendeiner Weise einen Einfluss auf die Wahlen in diesem Jahr haben werden?

Cremer: Das ist schwierig einzuschätzen. Sie können sicherlich Effekte haben, wichtig bleibt aber weiterhin die Aufklärungsarbeit über die AfD, die in ihrer Gefährlichkeit im öffentlichen Diskurs bisher häufig nicht abgebildet wird.

Wie gefährlich ist denn die AfD Ihrer Meinung nach? Es ist ja immerhin eine demokratisch gewählte Partei.

Cremer: Ja, sie ist demokratisch gewählt, deswegen ist sie aber noch keine demokratische Partei. Diese immer wieder zu hörende Schlussfolgerung greift deutlich zu kurz. Immer wieder ist auch zu hören von einer rechtspopulistischen oder nur in Teilen rechtsextremen Partei - dabei hat sich die Partei längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt und insbesondere unter der Führungsperson Björn Höcke einen Kurs eingeschlagen, in dem sie eine Gewaltherrschaft anstrebt, die sich am Nationalsozialismus orientiert.

Ist denn Ihrer Meinung nach die AfD verharmlost worden?

Buch-Cover: Hendrik Cremer - Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen © Berlin Verlag
Hendrik Cremers Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen" erscheint am 1. Februar im Berlin Verlag.

Cremer: Auf jeden Fall. Die jüngsten Reaktionen haben im Grunde gezeigt, dass vielen im Bereich der Politik und den Medien noch nicht klar war, wie gefährlich die AfD tatsächlich ist. Auch danach nehme ich noch immer wieder Stimmen und eine Berichterstattung wahr, die noch nicht wirklich erkennt, wie gefährlich die AfD ist, dass sie schon längst einen Kurs verfolgt, der sich an nationalsozialistischer Ideologie orientiert, dass sie das Ziel einer homogenen Volksgemeinschaft verfolgt, inklusive Deportationen. Das hat etwa Björn Höcke schon in einem Gesprächsband von 2018 sehr deutlich gemacht, wo er von einem großangelegten "Remigrationsprojekt" spricht und deutlich macht, dass auch diejenigen, die sich einer konsequenten Durchsetzung der national-völkischen Ideologie der AfD entgegenstellen, mit tödlicher Gewalt zu rechnen haben.

Sie haben in Ihrem Buch auch die Sprache und die Wortwahl der AfD analysiert. Was haben Sie da feststellen können?

Cremer: Dass sie insbesondere mit unterschiedlichen Gesichtern unterwegs ist, dass sie sich in der Öffentlichkeit selbst verharmlost, dass sie sich immer wieder als Opfer inszeniert und dass sie auf Veranstaltungen gegenüber ihrer eigenen Anhängerschaft sehr offen national-völkische Ideologie propagiert, bis hin zu Aufrufen zur Gewalt.

Das Thema des Antisemitismus hat Sie in der Recherche für Ihr Buch im Kontext mit der AfD auch beschäftigt, oder?

Cremer: In der Tat zeige ich auf, dass die AfD antisemitisch ist, was in der Debatte relativ selten thematisiert wird. Die AfD bestreitet das in der Außendarstellung regelmäßig. Deutlich wird es immer wieder in Reden von Funktionären der AfD, die dann häufig Codes verwenden, die in rechtsextremen Kreisen wie der AfD klar verständlich sind. Sie formulieren das nicht offen für die Allgemeinheit, aber doch sehr deutlich, wie etwa der Bundestagsabgeordnete Bystron bei der Europawahlversammlung im letzten Sommer. Er wurde auf Platz zwei der Liste für die Europawahl gewählt, hat eine sehr eindeutig antisemitische Rede gehalten und hat trotzdem über 80 Prozent Zustimmung erhalten.

Sie haben eingangs gesagt, dass die Proteste da nicht genug entgegensetzen können. Was braucht es denn Ihrer Meinung nach?

Cremer: Ich denke, dass die Proteste sehr, sehr wichtig sind, auch wichtige Zeichen setzen. Aber dass es auch kontinuierliche Aufklärungsarbeit braucht, dass es eine Berichterstattung braucht, in der auch abgebildet wird, wie gefährlich die AfD mittlerweile ist. Auch der Bereich der Bildung muss sich noch stärker dem Thema annehmen - die schulische wie auch die außerschulische Bildung -, um deutlich zu machen, dass die AfD mittlerweile ein Kurs eingeschlagen hat, der sich am Nationalsozialismus orientiert.

Das Interview führte Friederike Westerhaus.

Weitere Informationen
Eine junge Frau blickt in die Kamera bei einer Demo gegen Rechtsextremismus in Henstedt-Ulzburg. © NDR Foto: Verena Sens

Demos gegen Rechtsextremismus: Plötzlich nicht mehr allein

"Mia" organisiert seit Jahren Proteste gegen die AfD in Henstedt-Ulzburg, oft war das ermüdend. Nun kamen Tausende zur Demo. Was das mit ihr macht. mehr

Logo der Doku "Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten" © MDR/Hoferichter&Jacobs Foto: ARD Das Erste

Umgang mit AfD-Aussteigern: "Müssen die Gesprächskanäle offen halten"

Ein Gespräch mit dem Filmemacher Jan Lorenzen, der die Doku "Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten" gedreht hat. mehr

Zehntausende Menschen demonstrieren in Hamburg gegen Rechtsextremismus © Jonas Walzberg/dpa Foto: Jonas Walzberg/dpa
7 Min

Proteste gegen Rechtsextremismus - mit welcher Wirkung?

Zehntausende Menschen sind gegen Rechtsextremismus auf die Straße gegangen. Viele Medien beobachten mit Spannung, welche Folgen die Demos haben. 7 Min

Moos wächst auf einem Grabstein auf dem Jüdischen Friedhof. © picture alliance/dpa Foto: Federico Gambarini

Holocaust-Gedenken: Nie wieder Antisemitismus und Rassismus

Der 27. Januar ist Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus - und mahnt, dass so etwas niemals wieder passieren darf. mehr

NDR Info Moderatorin Birgit Langhammer mit Gabor Halasz, Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio, zuständig für das Fachgebiet AfD, und
Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin des Vereins "Mehr Demokratie" © NDR Foto: Screenshot
57 Min

Gefahr von rechts - Wie können wir die Demokratie stärken?

Hörerinnen und Hörer haben in der NDR Info Redezeit zusammen mit Experten diskutiert. Die komplette Sendung als Video-Mitschnitt. 57 Min

Jessy Wellmer neben dem Flugzeugmechaniker Pierre Bartholomäus. In ihrer neuen Dokumentation trifft die ARD-Journalistin auf unterschiedliche Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern. © NDR/rbb/beckground TV

Doku: "Hört uns zu! Wir Ostdeutsche und der Westen"

Jessy Wellmer geht in ihrem Film auf Spurensuche im Osten Deutschlands: Warum ist die AfD hier so stark und das Vertrauen in die Demokratie geschwächt? mehr

Auf dem Schweriner Marktplatz hat sich eine Menschenmenge versammelt, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. © Milad Kuhpai / NDR

Breiter Protest gegen rechts - eine dauerhafte Bewegung?

Tausende demonstrieren derzeit gegen die AfD und einen bekannt gewordenen Plan zur "Remigration". Was treibt die Menschen an, die dagegen auf die Straße gehen? mehr

Aster Oberreit vom Verein We A.R.E. e.V. in Hamburg. © We A.R.E. e.V.

Protest gegen rechts: "Wir müssen nachhaltig laut sein"

Der Hamburgerin Aster Oberreit machen sogenannte Remigrationspläne von Rechtsextremen Angst. Sie hofft, dass es die Gesellschaft nicht bei bloßer Empörung belässt. mehr

Philipp Murmann, Präsident der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UVNord) bei einer Rede. © picture alliance / dpa Foto: Marcus Brandt

Wirtschaftsverband UV Nord warnt vor der AfD

Beim Neujahrsempfang in Hamburg forderte Verbandspräsident Murmann dazu auf, sich für die liberale Demokratie in Deutschland zu engagieren. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 31.01.2024 | 16:30 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Sachbücher

Rechtsextremismus

AfD

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Christian Kind steht in seinem Plattenladen hinter der Kasse und lächelt in die Kamera. © NDR Foto: Antonia Reiff

Gerettet durch Crowdfunding: Hamburger Plattenkiste macht weiter

Das Geschäft im Stadtteil Hoheluft versorgt Musikfans mit Vinyl und CDs - doch durch die Corona-Zeit und Schulden stand es kurz vor dem Aus. mehr