Wie gefährlich ist die AfD? "Kurs orientiert sich am Nationalsozialismus"
Hendrik Cremer vom Deutschen Institut für Menschenrechte warnt in seinem Buch "Je länger wir schweigen, desto mehr Mut werden wir brauchen" vor der AfD. Im Interview mit NDR Kultur betont er, dass sich die Partei längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt habe.
Herr Cremer, seit den Recherchen von Correctiv gehen hunderttausende Bürgerinnen und Bürger auf die Straße und demonstrieren gegen die AfD. Wie blicken Sie auf die Proteste?
Hendrik Cremer: Ja, die Proteste sind natürlich sehr gut und sehr wichtig. Sie sind auch ein Zeichen gegen die Gleichgültigkeit, gegen das Schweigen. Sie werden allerdings nicht ausreichen, um der AfD effektiv entgegenzutreten.
Glauben Sie denn, dass diese Proteste in irgendeiner Weise einen Einfluss auf die Wahlen in diesem Jahr haben werden?
Cremer: Das ist schwierig einzuschätzen. Sie können sicherlich Effekte haben, wichtig bleibt aber weiterhin die Aufklärungsarbeit über die AfD, die in ihrer Gefährlichkeit im öffentlichen Diskurs bisher häufig nicht abgebildet wird.
Wie gefährlich ist denn die AfD Ihrer Meinung nach? Es ist ja immerhin eine demokratisch gewählte Partei.
Cremer: Ja, sie ist demokratisch gewählt, deswegen ist sie aber noch keine demokratische Partei. Diese immer wieder zu hörende Schlussfolgerung greift deutlich zu kurz. Immer wieder ist auch zu hören von einer rechtspopulistischen oder nur in Teilen rechtsextremen Partei - dabei hat sich die Partei längst zu einer rechtsextremen Partei entwickelt und insbesondere unter der Führungsperson Björn Höcke einen Kurs eingeschlagen, in dem sie eine Gewaltherrschaft anstrebt, die sich am Nationalsozialismus orientiert.
Ist denn Ihrer Meinung nach die AfD verharmlost worden?
Cremer: Auf jeden Fall. Die jüngsten Reaktionen haben im Grunde gezeigt, dass vielen im Bereich der Politik und den Medien noch nicht klar war, wie gefährlich die AfD tatsächlich ist. Auch danach nehme ich noch immer wieder Stimmen und eine Berichterstattung wahr, die noch nicht wirklich erkennt, wie gefährlich die AfD ist, dass sie schon längst einen Kurs verfolgt, der sich an nationalsozialistischer Ideologie orientiert, dass sie das Ziel einer homogenen Volksgemeinschaft verfolgt, inklusive Deportationen. Das hat etwa Björn Höcke schon in einem Gesprächsband von 2018 sehr deutlich gemacht, wo er von einem großangelegten "Remigrationsprojekt" spricht und deutlich macht, dass auch diejenigen, die sich einer konsequenten Durchsetzung der national-völkischen Ideologie der AfD entgegenstellen, mit tödlicher Gewalt zu rechnen haben.
Sie haben in Ihrem Buch auch die Sprache und die Wortwahl der AfD analysiert. Was haben Sie da feststellen können?
Cremer: Dass sie insbesondere mit unterschiedlichen Gesichtern unterwegs ist, dass sie sich in der Öffentlichkeit selbst verharmlost, dass sie sich immer wieder als Opfer inszeniert und dass sie auf Veranstaltungen gegenüber ihrer eigenen Anhängerschaft sehr offen national-völkische Ideologie propagiert, bis hin zu Aufrufen zur Gewalt.
Das Thema des Antisemitismus hat Sie in der Recherche für Ihr Buch im Kontext mit der AfD auch beschäftigt, oder?
Cremer: In der Tat zeige ich auf, dass die AfD antisemitisch ist, was in der Debatte relativ selten thematisiert wird. Die AfD bestreitet das in der Außendarstellung regelmäßig. Deutlich wird es immer wieder in Reden von Funktionären der AfD, die dann häufig Codes verwenden, die in rechtsextremen Kreisen wie der AfD klar verständlich sind. Sie formulieren das nicht offen für die Allgemeinheit, aber doch sehr deutlich, wie etwa der Bundestagsabgeordnete Bystron bei der Europawahlversammlung im letzten Sommer. Er wurde auf Platz zwei der Liste für die Europawahl gewählt, hat eine sehr eindeutig antisemitische Rede gehalten und hat trotzdem über 80 Prozent Zustimmung erhalten.
Sie haben eingangs gesagt, dass die Proteste da nicht genug entgegensetzen können. Was braucht es denn Ihrer Meinung nach?
Cremer: Ich denke, dass die Proteste sehr, sehr wichtig sind, auch wichtige Zeichen setzen. Aber dass es auch kontinuierliche Aufklärungsarbeit braucht, dass es eine Berichterstattung braucht, in der auch abgebildet wird, wie gefährlich die AfD mittlerweile ist. Auch der Bereich der Bildung muss sich noch stärker dem Thema annehmen - die schulische wie auch die außerschulische Bildung -, um deutlich zu machen, dass die AfD mittlerweile ein Kurs eingeschlagen hat, der sich am Nationalsozialismus orientiert.
Das Interview führte Friederike Westerhaus.