Umgang mit AfD-Aussteigern: "Müssen die Gesprächskanäle offen halten"
Der Filmemacher Jan Lorenzen hat für die Doku "Wir waren in der AfD - Aussteiger berichten" mit Menschen gesprochen, die am Anfang begeistert mit dabei waren und inzwischen ausgestiegen sind.
Seit mehr als zehn Jahren gibt es die "Alternative für Deutschland". 2013 ist sie als Protestpartei gestartet - heute werden viele Landesverbände durch den Landesverfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestuft. Viele Politiker sind inzwischen aus der Partei ausgetreten: Bernd Lucke, Frauke Petry, Jörg Meuthen. Die Geschichte der AfD ist die Geschichte einer zunehmenden Radikalisierung.
Herr Lorenzen, die AfD wurde 2013 gegründet. Wer ist damals hauptsächlich in die Partei eingetreten?
Jan Lorenzen: Die erste Phase war bestimmt von liberal-konservativen Kräften, die vor allem von der CDU, aber auch von den anderen Parteien enttäuscht waren, die in Bezug auf den Euro eine andere Politik machen wollten. Die Themen, die die AfD heute bestimmt, sind erst nach und nach in die Partei reingetragen und in der Partei artikuliert worden. Es gab aber auch in der frühen Zeit schon welche, die das Thema Umgang mit Migration bewegt hat, denen dieses Thema wichtig war. Die waren aber am Anfang noch in der Minderheit und wurden in der Regel innerhalb der Partei an den Rand gedrückt.
Sie haben für Ihre Dokumentation mit Menschen gesprochen, die der AfD den Rücken gekehrt haben. Wie reflektieren die Ausgestiegenen rückblickend ihre Parteizugehörigkeit?
Lorenzen: Das war für mich eigentlich eine Grundvoraussetzung, dass sie es überhaupt reflektieren. Das war für mich das Interessante, wie gut sie den eigenen Radikalisierungsprozess und dann auch den Deradikalisierungsprozess beschreiben können. In der Regel beginnt es mit einer politischen Heimatlosigkeit, mit dem Wunsch, sich politisch artikulieren zu wollen. Diese Partei ist ja eine sehr heterogene Gruppierung gewesen, und viele haben erst einmal gar nicht gemerkt, dass da auch Rechtsradikale mit ihnen in der Partei sind.
In der Regel sind es ganz persönliche Erlebnisse, die zu der Einsicht geführt haben: "Hier ist ja doch irgendwas nicht in Ordnung." Oft ist es gar nicht in dem eigenen Kreisverband, in dem eigenen AfD-Milieu gewesen, sondern in der Begegnung mit anderen Teilen der Partei. Dass die Partei so heterogen war, hat auch damit zu tun, dass sie sehr lange gebraucht haben, die Medienberichte über die Gefährlichkeit der AfD ernst zu nehmen und nicht einfach so abzutun. Weil das, was sie in ihrem Kreisverband erlebt haben, war etwas ganz anderes.
Die Einblicke, die Ihre Dokumentation gewährt, sind ein hochspannendes Terrain, auch für alle, die sich fragen, wie man AfD-Mitglieder überhaupt erreichen kann. Welche Chance haben wir da als Gesellschaft?
Lorenzen: Es ist ganz wichtig, erst einmal zu erkennen, dass wir überhaupt noch eine Chance haben. Die entscheidende Chance besteht darin, die Rückkehrwege offen zu halten. Die Taktik der AfD ist es, diese Rückwege in die Gesellschaft abzuschneiden, indem sie Mitglieder dazu anleitet, mit radikalen Posts, mit radikalen Äußerungen sich selbst für die Mehrheitsgesellschaft zu verbrennen. Wenn wir als Gesellschaft die Hürde für eine Rückkehr so hoch legen und sagen: Der hat einmal etwas Rassistisches gesagt, der darf gar nicht mehr zurück - dann fallen wir im Prinzip auf diesen Radikalisierungsmechanismus, den die AfD für sich selbst gefunden hat, herein. Ich glaube, wir müssen die Gesprächskanäle offen halten, wir müssen weiterhin die Hand reichen und uns über jeden, der dieser Partei den Rücken kehrt, freuen.
Eine Anregung, die sicherlich auch in Richtung der Medien gemeint ist. Haben die Medien möglicherweise die AfD bisher zu undifferenziert betrachtet?
Lorenzen: Ja, ich würde klar sagen, dass wir sie zu undifferenziert betrachtet haben. Aber es ist trotzdem nicht falsch, wie die Medien berichtet haben, denn es hat ja diese Vorfälle immer gegeben. Ich habe lange darüber nachgedacht und habe mich auch im Vorfeld der Recherche mit Journalisten getroffen, die über die AfD berichtet haben. Wenn die beispielsweise in Thüringen an einem Wahlstand eindeutig rassistische Äußerungen erlebt haben, dann haben sie das aufgeschrieben und haben so über die AfD berichtet. Dass zum Beispiel ein Vorsitzender wie Bernd Lucke in Hamburg gedacht hat, das sei nicht seine Partei, weil aus seiner Sicht diese Partei eine ganze andere war, das erklärt diesen Wahrnehmungswiderspruch und dieses Lügenpresse-Narrativ, was in der AfD so populär ist.
Die Gründe waren zum Teil vielfältig, dieser Partei beizutreten. Was waren denn jeweils die Gründe der Menschen, die Sie befragt haben, auszusteigen? An welchem Punkt haben sie entschieden, der AfD den Rücken zu kehren, und wie schwierig war dieser Prozess des Ausstiegs?
Lorenzen: Es sind meistens ganz persönliche Erlebnisse. Ich möchte gerne die Geschichte eines Gesprächspartners erzählen, der selber Migrationshintergrund hat. Er hat an einen Stammtisch der Jugendorganisation zwei junge Frauen eingeladen, beide auch mit Migrationshintergrund, dunkelhäutig, und er war begeistert, dass sie sich für die AfD interessiert haben; er meinte, die wären wahrscheinlich auch eingetreten. Am nächsten Morgen sitzt er am Frühstückstisch und bekommt einen Anruf von seinem Kreisvorsitzenden, der ihn anbrüllt, solche Leute hätten in der AfD nichts zu suchen, die würden die Bananen von den Bäumen essen, und das solle er bitte nicht mehr machen. Das war für ihn der Moment, wo er gesagt hat: Jetzt ist vorbei, jetzt habe ich den Kampf verloren, weil ich auch für mich gemerkt habe, dass das Eis dünner wird.
Ich will das jetzt gerne verallgemeinern, weil für fast alle meiner Gesprächspartner gibt es genau so einen Moment, wo sie gemerkt haben, dass es nicht mehr eine Einzelmeinung ist, die hier oder da mal artikuliert wird, sondern die gesamte Partei verändert sich in eine Richtung, die sie nicht mehr mittragen können.
Nun ist es aber nicht allen so leicht gemacht worden, durch Rausschmiss die AfD verlassen zu können. Viele haben sicherlich auch selber sehr mit sich ringen müssen, um den eigenen Entschluss zu fassen.
Lorenzen: Wenn Sie fragen wollen, was das Schwierige dabei ist: Mir ist aufgefallen, dass es diejenigen leichter hatten, aus der Partei wieder rauszukommen, bei denen sich das Umfeld nicht abgewandt hat, wo es immer noch Freunde gab, die unabhängig von dieser politischen Orientierung ihre Freundschaften weiter gepflegt haben. Aber diejenigen, wo das Umfeld weggebrochen ist, die das Gefühl hatten, sie stehen vor dem Nichts, die möglicherweise auch noch in der sozialen oder finanziellen Abhängigkeit waren, und sie durch ihren Austritt ihren Job verloren haben - die haben es extrem schwer gehabt. Mit dem Austritt standen sie vor einem schwarzen Loch, sie wussten nicht, wie die Gesellschaft sie wieder aufnimmt, ob sie als ehemalige AfD-Mitglieder überhaupt ohne Weiteres einen neuen Job bekommen und so weiter. Auch da gilt das, was ich vorhin schon gesagt habe: Akzeptiert nicht rassistische oder homophobe Äußerungen - darum geht es gar nicht; sagt gerne eure Meinung. Aber versucht die Kontaktwege offen zu halten, brecht nicht den Kontakt ab, wenn ihr das irgendwie schafft!
Das Interview führte Philipp Cavert.