Demos gegen Rechtsextremismus: Plötzlich nicht mehr allein
Rund 3.500 Menschen gingen am Sonntag in Henstedt-Ulzburg auf die Straße, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Ursprünglich angemeldet waren lediglich 100. Was das mit einer der Organisatorinnen macht.
An diesem Sonntag ist "Mia" wieder auf der Straße. Mia, eine Henstedt-Ulzburgerin aus dem Kreis Segeberg, die aus Angst vor Repressalien anonym bleiben möchte, protestiert gegen die AfD, gegen Rassismus und für die Demokratie. Sie ist dabei nicht allein. Rund 3.500 Menschen sind gekommen, und das, obwohl Mia und ihre Mitstreitenden vom Henstedt-Ulzburger Bündnis für Demokratie und Vielfalt nur 100 Demonstranten angemeldet hatten. "Ich bin noch ganz überwältigt", erzählt Mia am späten Sonntagnachmittag nach der Demonstration am Telefon. "Plötzlich wird klar, wir sind nicht mehr allein", sagt sie. Ihr Strahlen ist durch das Handy zu hören. Für sie und viele in Henstedt-Ulzburg ist das Ergebnis der Demo besonders wichtig. Aber von vorne.
"Ich war lange Zeit machtlos, hatte keine Ahnung, was ich tun könnte"
In ihrem Berufsleben ist die 30-jährige Mia als Bauleiterin für die ordnungsgemäße Ausführung der Bauarbeiten auf Baustellen verantwortlich. In ihrem Privatleben engagiert sie sich gegen Rechtspopulismus und rechtes Gedankengut. Das war nicht immer so: "Ich war lange Zeit machtlos, hatte keine Ahnung, was ich tun könnte", erzählt sie. "Der Moment, an dem ich gesagt habe, es reicht, ich muss was tun, war 2015", erzählt sie. "Das weiß ich noch ganz genau: Damals gab es die sogenannte Flüchtlingskrise. Ich habe noch in Hamburg gewohnt und mich in Wilhelmsburg im Verein "die Insel hilft" engagiert, weil ich einfach gedacht hab, das kann nicht sein."
"Und dann hab ich gesagt: dann will ich was machen!"
In Mias Stimme schwingt Empörung mit: "Das sind Menschen, die lassen ihr zu Hause zurück, erleben ganz viel schlimme Sachen, um hierher zukommen. Die wollen vielleicht gar nicht hier sein, aber alles andere wäre noch viel schlimmer. Und dann schlägt ihnen Rassismus und Hass entgegen...". Sie seufzt. "Das war ja ein schleichender Prozess, den die AfD damals begann. Mit Aussagen, die alltagstauglich gemacht wurden. Und mittlerweile darf Faschismus und Diskriminierung einfach stattfinden in der Gesellschaft", sagt sie. "Das konnte ich nicht so stehen lassen und dann hab ich gesagt: Dann will ich was machen!". Das mit dem "was machen" nimmt sie erst.
Ein Ziel: Aufklären über die Politik der AfD
Vor vier Jahren gründet die junge Frau mit Gleichgesinnten in ihrer Heimat Henstedt-Ulzburg, das Bündnis für Demokratie und Vielfalt. Eines der Hauptanliegen des Bündnisses: Die Anwohnerinnen und Anwohner aufzuklären über die Auswirkungen, die eine rechtsgerichtete Politik hat - auf die Gesellschaft, aber auch auf die Wirtschaft. "Die AfD hat ja eine ganz klare Haltung, welche Menschen an der Demokratie teilhaben dürfen und welche nicht, welche sogar unser Land verlassen müssten. Dabei brauchen wir ja in Zeiten des demografischen Wandels jede und jeden", sagt Mia. Das Bündnis trifft allerdings auf Widerstand im Ort: "Immer wieder muss ich erklären, warum ich das mache, warum ich mich gegen die AfD stelle", sagt sie. Ungefährlich ist das nicht, wie die Vergangenheit zeigt.
Vor über drei Jahren: Fahrt in Menschenmenge in Henstedt-Ulzburg
Am 17. Oktober 2020 war es zu einem Angriff gekommen: Der damalige AfDler, Melvin S., attackierte mit seinem Pick-up vier linke Demonstranten am Rande einer AfD-Veranstaltung. Die Betroffenen wurden teils schwer verletzt. Damals hatten Demonstrierenden die Gemeinde aufgefordert, das Bürgerhaus Henstedt-Ulzburg künftig nicht mehr der AfD als Treffpunkt zur Verfügung zu stellen. Im Dezember 2023, vor rund einem Monat, fiel das gerichtliche Urteil: Der heute 22-jährigen Mann aus Föhrden-Barl (Kreis Segeberg) muss für drei Jahre ins Gefängnis. Das Bürgerhaus in Henstedt-Ulzburg sei allerdings weiterhin Versammlungsraum der AfD, so Mia. Ihr Bündnis höre auch nicht auf, dagegen zu protestieren.
"Den Leuten ist das alles doch nicht so egal!"
Mia schildert, wie ermüdend das Engagement gegen rechts sein kann, die Kundgebungen, das Unbequemsein und die vielen Diskussionen mit Anwohnenden. "Immer wieder fragt man uns: Warum wirbelt ihr so viel Wind auf? Warum lasst ihr die AfD nicht einfach in Ruhe?" Bei diesem ständigen dagegenhalten gäbe es natürlich auch des Öfteren Stimmungtiefs in ihren Runden. Umso ermutigender empfindet sie die heutige Demo. "Großartig ist das, zu spüren: Den Leuten ist das alles doch nicht so egal!". Ob sich die Bauleiterin was für die Zukunft wünscht?: "Dass jetzt Bewegung in die Politik kommt gegen die AfD".